3.1.7 Ausnahmen vom Verbot der reformatio in peius
Die in G 1/99 genannten drei Optionen wurden in Hinsicht auf das Erfordernis des Art. 123 (2) EPÜ entwickelt. Gemäß T 648/15 könnten diese Optionen ähnlich angewandt werden, wenn es um das Erfordernis des Art. 84 EPÜ geht (s. auch T 1380/04). Die Kammer stellte weiter fest, dass die in G 1/99 genannten Optionen nicht unabhängig voneinander gelten und nicht nach Belieben ausgewählt werden können. Es ist nämlich eine bestimmte Reihenfolge der Optionen zur Beseitigung des Mangels in einem Anspruch vorgegeben.
In T 974/10 wies die Kammer auf folgende Feststellung der Großen Beschwerdekammer in G 1/99 hin: "... wenn der Aufrechterhaltung des Patents Gründe entgegenstehen, die in der ersten Instanz nicht vorgebracht wurden, verdient der nicht beschwerdeführende Patentinhaber aus Gründen der Billigkeit Schutz". Da der Einwand mangelnder Klarheit im vorliegenden Fall erstmals im Beschwerdeverfahren von der Kammer erhoben wurde, musste dem Beschwerdegegner die Möglichkeit eingeräumt werden, entsprechend der Entscheidung G 1/99, die dem Grundsatz der Billigkeit angemessen Rechnung trägt, Änderungen einzureichen.
In T 1845/16 kam die Kammer zu dem Ergebnis, dass eine Übertragung der in der G 1/99 getroffenen Ausnahmeregelung vom Verbot einer reformatio in peius angebracht war. Danach ist eine solche Ausnahmeregelung vom ansonsten verbindlichen Grundsatz des Verschlechterungsverbots aus Billigkeitserwägungen zwar zuzulassen, aber eng auszulegen. Die Große Beschwerdekammer forderte, dass die Streichung eines unzulässigen Merkmals nur dann vorgenommen werden darf, wenn es keine andere Möglichkeit der Änderung gibt, die den Einsprechenden weniger schlechter stellt. Im vorliegenden Fall vermochte die Kammer keine solche Möglichkeit zu erkennen und auch vom Beschwerdeführer wurde diesbezüglich nichts vorgetragen. Folglich rechtfertigten im vorliegenden Fall die Änderungen in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 eine Ausnahme vom Grundsatz des Verschlechterungsverbots und es war dem Patentinhaber somit gestattet, die Klarheitsmängel des Hauptantrags wie im Hilfsantrag 1 beantragt, auszuräumen.