7.2.2 Nachweis der therapeutischen Wirkung
Nachträglich veröffentlichte Beweisstücke können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie die in der Anmeldung enthaltenen Feststellungen in Bezug auf die Verwendung der Verbindung(en) als Arzneimittel stützen (T 609/02, T 950/13).
Liefert die Beschreibung in einer Patentschrift lediglich einen vagen Hinweis auf eine mögliche medizinische Verwendung einer chemischen Verbindung, die aber noch ermittelt werden muss, können zu einem späteren Zeitpunkt nicht detailliertere Beweismittel beigebracht werden, um den Mangel der grundlegenden unzureichenden Offenbarung des Erfindungsgegenstands zu beseitigen (T 609/02). Ist die therapeutische Wirkung ein funktionelles Merkmal des Anspruchs, muss die Anmeldung offenbaren, dass sich das herzustellende Erzeugnis für die beanspruchte therapeutische Anwendung eignet, und nachgereichte Beweismittel können eine grundlegende mangelnde Offenbarung nicht heilen (Beitrag aus T 609/02 zusammengefasst in T 1045/13).
Wird eine therapeutische Anwendung mithilfe der schweizerischen Anspruchsform beansprucht, so ist nach Auffassung der Kammer in T 433/05 unter Bezugnahme auf T 609/02 die Erzielung der beanspruchten therapeutischen Wirkung ein funktionelles technisches Merkmal des Anspruchs. Folglich muss die Anmeldung gemäß Art. 83 EPÜ 1973 offenbaren, dass das herzustellende Erzeugnis sich für die beanspruchte therapeutische Anwendung eignet (s. auch T 1685/10). Wird dem Gegenstand eines Anspruchs jedoch nur durch eine neue therapeutische Verwendung eines Arzneimittels Neuheit verliehen, so darf der Anspruch nach G 2/08 date: 2010-02-19 (ABl. 2010, 456) nicht mehr in der sogenannten schweizerischen Anspruchsform abgefasst werden, wie sie mit der Entscheidung G 1/83 (ABl. 1985, 60) geschaffen wurde. In Anlehnung an T 609/02 wies die Kammer in T 801/06 darauf hin, dass eine beanspruchte therapeutische Wirkung durch jede Art von Daten nachgewiesen werden kann, solange diese die therapeutische Wirkung klar und eindeutig widerspiegeln. Die bloße Tatsache, dass die Versuche im Patent nicht mit einer "wirklichen" Metastase durchgeführt wurden, reichte daher nicht aus, um eine ausreichende Offenbarung zu verneinen.
In T 2571/12 (Behandlung von Schizophrenie mit Glutathion) wies die Kammer darauf hin, dass weder das Patent noch der verfügbare Stand der Technik Hinweise auf eine therapeutische Wirkung der Glutathion-Vorläufer für die beanspruchten Störungen enthielten; folglich konnte auch das nachveröffentlichte Dokument, das eine solche Wirkung angeblich u. a. bei bipolaren Störungen untermauert, bei der Beurteilung der ausreichenden Offenbarung nicht berücksichtigt werden.
In T 1045/13, die sich auf einen Anspruch auf eine gemäß Art. 54 (5) EPÜ formulierte zweite medizinische Verwendung bezog, war die Kammer der Auffassung, dass die Anmeldung in der eingereichten Fassung keinen Hinweis darauf enthalte, worauf die Beziehung zwischen der Aktivität des pharmazeutischen Wirkstoffs (NGF) und der therapeutischen Wirkung (Linderung der Symptome der beanspruchten psychologischen Erkrankungen) beruht. Die Beschreibung enthalte keine Informationen über die Wirkungsweise von NGF. Es gebe weder einen Verweis auf Hintergrundinformationen, die einen Zusammenhang zwischen NGF und den zu erzielenden therapeutischen Wirkungen herstellen, noch werde eine solche Wirkung durch In-vitro-Prüfungen veranschaulicht. Ohne solche aktenkundigen Informationen seien die experimentellen Nachweise entscheidend. Die Nachweise in der eingereichten Anmeldung genügten jedoch nicht den Erfordernissen einer ausreichenden Offenbarung. Die experimentellen Nachweise umfassten elf Beispiele für verschiedene Erkrankungen, deckten jedoch nicht alle Erkrankungen aus Anspruch 1 ab; jedes Beispiel bezog sich nur auf einen einzigen Patienten – entgegen der gängigen Praxis, die eine statistische Analyse der Ergebnisse anstrebt. Ohne Kontrollgruppe könnten Placeboeffekte nicht ausgeschlossen werden. Die nachträglich veröffentlichten Beweisstücke könnten berücksichtigt werden, allerdings nur, wenn sie die in der Anmeldung enthaltenen Feststellungen untermauern. Die nachträglich veröffentlichten Beweisstücke konnten keine ausreichende Offenbarung an sich nachweisen. Sie mussten daher nicht behandelt werden. Für eine ausreichende Offenbarung ist nicht relevant, was der Beschwerdegegner (Patentinhaber) wusste, aber nicht offenbaren wollte.