6. Auslegung der Ansprüche
Dieser Abschnitt wurde aktualisiert, um die Rechtsprechung und Gesetzänderungen bis 31. Dezember 2023 zu berücksichtigen. Die vorherige Version dieses Abschnitts finden Sie in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage (PDF). |
In den Sachen T 759/91 und T 522/91 enthielten die Ansprüche den Ausdruck "comprising substantially". Die Kammer war der Auffassung, dass diese Formulierung eine klare, explizite Abgrenzung vermissen lasse und ihre Bedeutung daher der Auslegung bedürfe. Während das Wort "comprise" allgemeinsprachlich sowohl "aufweisen" oder "umfassen" als auch "bestehen aus" bedeuten könne, müsse es in Patentansprüchen im Interesse der Rechtssicherheit in der Regel im weiteren Sinne von "aufweisen" oder "umfassen" verstanden werden. Durch den Zusatz "substantially" (im Wesentlichen) werde das Wort "comprising" in seiner Bedeutung eingeschränkt und sei so zu verstehen, dass "weitgehend nur das umfasst ist, was spezifiziert wird". Die Grenzen der Formulierung "comprising substantially" seien demnach dort zu ziehen, wo die wesentlichen Merkmale des spezifizierten Gegenstands endeten. Die Wendung "comprising substantially" werde daher als gleichbedeutend mit der Formulierung "consisting essentially of" (im Wesentlichen bestehend aus) ausgelegt. Da aber "consisting of" anders als "comprising" von vornherein völlig eindeutig sei, sei der Formulierung "consisting essentially of" der Vorzug zu geben. S. auch T 1730/09, T 274/16.
In T 405/00 erklärte die Kammer, dass der Ausdruck "Zusammensetzung, die ein Persalz enthält" nach dem üblichen Sprachgebrauch in Patentansprüchen auf dem Gebiet der Chemie ausschließlich bedeute, dass mindestens eine der spezifischen chemischen Verbindungen, die zur Gruppe der Persalze gehören, vorhanden sein müsse.
In T 1023/02 hielt die Kammer fest, dass ein Anspruch, der unter Verwendung der Formel "der ... umfasst" (comprising) abgefasst ist, im Allgemeinen nicht dahin gehend ausgelegt werden darf, dass er sich auf einen Gegenstand erstreckt, der weitere Schritte beinhaltet, die den angegebenen technischen Zweck der im Anspruch genannten Schritte offenkundig konterkarieren würden.
In T 1599/06 hatte die Kammer ebenfalls den Begriff "der ... umfasst" (comprising) auszulegen. Sie betonte, dass die Bedeutung von Begriffen in einem Patentanspruch vom Standpunkt eines Fachmanns zu bestimmen ist, der den Anspruch im Gesamtzusammenhang der Anmeldung und vor dem Hintergrund seines allgemeinen Fachwissens liest. Der Anspruch war auf einen Impfstoff gerichtet, der mindestens ein spezifisches gereinigtes und isoliertes Mycobacterium-tuberculosis-Protein umfasst. Die Prüfungsabteilung hatte den Begriff "der ... umfasst" weit ausgelegt und festgestellt, dass der beanspruchte Gegenstand gegenüber einer teilweise gereinigten Proteinfraktion, die ihrer Ansicht nach unter anderem die angegebenen Proteine enthielt, nicht neu sei. Die Kammer war hingegen der Auffassung, dass der Fachmann der Anmeldung als Ganzes die Information entnehmen würde, dass die spezifischen Merkmale der erfindungsgemäßen Impfstoffe darin bestünden, dass sie aus isolierten und gereinigten Mycobacterium-tuberculosis-Proteinen gewonnen würden. Daher wäre der Fachmann davon ausgegangen, dass die Definition nach Anspruch 1 auf Impfstoffe abstelle, die erstens aus den in den Ansprüchen genannten isolierten und gereinigten Proteinen bestünden und zweitens diese Proteine als ihren Hauptbestandteil enthielten.
In T 1771/06 befand die Kammer, dass ein Anspruch, der sich speziell und eindeutig auf den charakterisierenden Teil (GBSS-Genfragment in Antisense-Orientierung) des Genkonstrukts bezieht und in dem Versuch einer Verallgemeinerung die anderen für die Ausführung notwendigen Strukturelemente offenlässt ("mit einem Fragment ..., welches für ... kodiert, wobei das Fragment aus einer aus … SEQ ID Nr: ... ausgewählten Nukleotidsequenz besteht"), nicht ungewöhnlich formuliert sei. Das Argument des Beschwerdeführers, der Umfang des Anspruchs erstrecke sich auf Genkonstrukte, die zusätzlich zu den GBSS-Genfragmenten jegliche DNA umfassten, konnte die Kammer nicht akzeptieren. Der Fachmann werde sicherlich berücksichtigen, dass das Genkonstrukt zur Aufnahme des GBSS-DNA-Fragments in Kartoffelzellen und zu seiner Integration in das Genom diene. Entsprechend werde davon ausgegangen, dass das Genkonstrukt alle für diese Schritte notwendigen DNA-Elemente enthält.
In T 390/08 urteilte die Kammer, dass die Definition eines Stoffgemisches als "bestehend aus" obligatorischen und fakultativen Komponenten die Erfordernisse des Art. 84 EPÜ erfüllte, da damit ein "geschlossenes" Gemisch – unter Ausschluss anderer als der angegebenen Bestandteile – definiert wurde. S. auch T 1190/01, T 1998/07.
In T 2027/13 wurde die beanspruchte Zusammensetzung durch eine (angesichts des Wortes "umfassend") offene Formulierung definiert, die das Vorhandensein nicht nur der möglichen Hilfsstoffe, sondern auch sonstiger zusätzlicher pharmazeutisch akzeptabler Bestandteile (einschließlich Unreinheiten) und sogar von Stoffen zur Freisetzungssteuerung bereits implizierte, sowie durch die Formulierung "im Wesentlichen bestehend aus", die sich auf einen einzelnen Bestandteil der Zusammensetzung bezog. Da die gewöhnliche Auslegung dieser Formulierung im vorliegenden Fall keinen Sinn machte, wurde der den Anspruch lesende Fachmann darüber im Unklaren gelassen, ob – und wenn ja, welche – Beschränkungen damit eingeführt wurden.
In T 711/90 bestätigte die Kammer die Rechtsprechung, wonach sich die Frage der Klarheit des Anspruchs stellt, wenn in einem Anspruch der Begriff "enthalten" durch "bestehen aus" ersetzt wird. Wenn ein Glas, wie im vorliegenden Anspruch, aus den Komponenten i), ii) und iii) bestehe, sei das Vorhandensein einer weiteren Komponente ausgeschlossen, sodass die in Prozent angegebenen Anteile der Komponenten i), ii) und iii) bei jeder beanspruchten Zusammensetzung zusammen 100 Mol-% ergeben müssten.
Hinsichtlich Art. 123 (2) EPÜ siehe Kapitel II.E.1.15. "Umfassend", "bestehend aus", "im Wesentlichen bestehend aus", "enthaltend".
- T 438/22
Catchword:
1. There is no provision stipulating that examples within the meaning of Rule 42(1)(e) EPC should not be in the form of claim-like clauses, i.e. in the form of one or more independent clauses followed by a number of clauses referring to previous clauses, at the end of or in another part of the description. There is no justification for deleting such examples just because they were drafted as claim-like clauses. They are to be treated like any other part of the description and thus, inter alia, must support the claims (Article 84 EPC). (Reasons 3.4 and 3.5) 2. It is a general and overarching objective, and as such also a "requirement" of the Convention, that authorities, courts and the public interpreting the claims at a later stage should, as far as possible, arrive at the same understanding of the claimed subject-matter as the EPO bodies deciding on the patentability of the same subject-matter. The only tool for achieving this objective is the patent specification as the expression of a unitary legal title. The description, as an integral part of the patent specification, should therefore also serve this overriding objective, i.e. it should provide a common understanding and interpretation of the claims. If the description contains subject-matter which manifestly impedes a common understanding, it is legitimate to insist on its removal under Articles 84 and 94(3) EPC and Rules 42, 48 and 71(1) EPC. (Reasons 5.5.3) 3. The board approves the practice where instead of a direct removal, i.e. the deletion of the subject-matter not covered by the claims, a "removal" by way of an appropriate statement is made, leaving the technical disclosure unaffected. (Reasons 5.7.2) 4. A referral to the Enlarged Board of Appeal whose sole purpose is to correct the Guidelines and which is not necessary either for ensuring a uniform case law within the boards or for the board's decision is not admissible. Such a referral could be perceived as an attempt to encroach on the President's powers under Article 10(2)(a) EPC. (Reasons 8.2.2)
- T 147/22
Zusammenfassung
In T 147/22 the respondent (opponent) raised several clarity objections, which were mainly directed to the expression "consisting essentially of" and to the fact that the ingredients cited in claim 1 were associated with a function.
On the first aspect, the board noted that the expression "consisting essentially of" limited the ingredients in the composition of claim 1 to those defined in components (a) to (d), although further non-active ingredients could be present provided they did not materially affect the chemical stability of TAS-102. The respondent had argued that the expression "consisting essentially of" rendered claim 1 unclear because the skilled person would not know which were the compounds that did not impair the stability of TAS-102 in the composition, and the patent did not contain any information in that respect. According to the board, however, the nature and amount of those additional ingredients was strongly limited by the condition that they must not impair TAS-102 stability. Furthermore, the skilled person confronted with a composition containing components (a) to (d) and additional ingredients could easily determine whether or not the additional ingredients impair TAS-102 stability. Testing the chemical stability of active compounds in a composition was standard practice in the field of pharmaceutical formulations. Such tests were illustrated in Test Examples 1 to 5 of the patent for the particular case of TAS-102. Therefore, the skilled person could easily determine by standard comparative tests whether or not a given composition consisted essentially of components (a) to (d).
With regard to the functional definition of the ingredients in claim 1, the board held that the criterion for assessing whether a compound had the function assigned to it was the function (or functions) that the skilled person would assign to that compound in the context of a given formulation. Contrary to the respondent's view, the formulator's intention was irrelevant in that respect. It was undisputed that the functional features "excipient", "disintegrating agent", "binder", "lubricant", "flavouring agent", "colourant" and "taste-masking agent" were standard in the technical field of pharmaceutical formulations. The skilled person would have no difficulty in determining whether a given formulation ingredient fulfils one or more of these functions on the basis of common general knowledge. These were functional features which were generally allowed if the invention could not be defined more precisely without unduly restricting the scope of the invention. Furthermore, in the present case, the main ingredients were not solely defined by functional features. They were further limited by structural features: for instance, the excipient according to component (b) was selected from lactose, sucrose, mannitol and erythritol. In view of common general knowledge and the structural limitations of the functional features, the board considered that the definition of the ingredients in claim 1 was not unclear.
The respondent's objection was based on the possibility that an ingredient fulfilled more than one function and, depending on its function, the amount of the compound in the composition could vary. For instance, polyvinyl alcohol was generally known to be a binder and a lubricant. If it was considered a binder, it could be present in an amount of 0.001 to 5% by mass while it could not be present if it was considered a lubricant.
The board disagreed. The fact that polyvinyl alcohol was known to be a binder and a lubricant did not render the claim unclear. If polyvinyl alcohol was present in the composition, it necessarily played the role of a binder, even if it also fulfilled the function of a lubricant. Therefore, it should be counted as a binder that may be present in an amount of 0.001 to 5% by mass in the composition. Considering arbitrarily that polyvinyl alcohol could function exclusively as a lubricant and that therefore its presence would render the composition different from the one in claim 1 would be unrealistic. Certainly this was not how the skilled person would read the claim.
Moreover, the board stated that the fact that "excipient" was a very broad term did not mean that it was unclear. "Excipient" was a standard term in pharmaceutical formulations.