3.1. Wann liegt eine Entscheidung vor?
In T 830/03 erließ das EPA eine zweite schriftliche Entscheidung, die eine bereits versandte erste Entscheidung ersetzen sollte. Die Kammer stellte fest, dass nach dem Gebot der Rechtssicherheit von der Rechtsgültigkeit einer schriftlichen Entscheidung auszugehen sein muss, die den Beteiligten von einer Einspruchsabteilung entsprechend den Formerfordernissen des EPÜ 1973, insbesondere der R. 68 bis R. 70 EPÜ 1973 (R. 111 bis 113 EPÜ), zugestellt wurde. Sobald die Entscheidung ergangen und im vorliegenden Fall den Beteiligten die (erste) schriftliche Entscheidung zugestellt worden war, war die Einspruchsabteilung daran gebunden, auch wenn sie ihre Entscheidung für "rechtlich unwirksam" hielt (s. T 371/92, ABl. 1995, 324). Die Entscheidung kann nur von der zweiten Instanz unter der Voraussetzung aufgehoben werden, dass eine begründete Beschwerde nach Art. 106 EPÜ 1973 eingereicht wurde (so auch T 1093/05). Mit Einreichung der ersten Beschwerdeschrift geht die Entscheidungsbefugnis in dieser Sache von der ersten Instanz auf die Beschwerdeinstanz über (Devolutivwirkung der Beschwerde). Alle von der Einspruchskammer nach der Zustellung dieser (ersten) Entscheidung und umso mehr noch nach der Einlegung der ersten Beschwerde vorgenommenen Handlungen erfolgten in Überschreitung ihrer Befugnisse (ultra vires) und waren somit rechtsunwirksam.
In T 1257/08 entschied die Kammer mit Verweis auf T 830/03, dass in der Annahme der Rechtswirksamkeit die erste zugestellte schriftliche Entscheidung die einzig rechtswirksame schriftliche Entscheidung der Einspruchsabteilung sei. Die Einspruchsabteilung sei an diese Entscheidung gebunden und könne sie nicht selbst aufheben. Ebenso sei auch die Beschwerde nur gegen die erste – rechtswirksame – Entscheidung statthaft.
In T 1972/13 befand die Kammer, dass die zweite Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der der Antrag des Anmelders auf Erstattung einer zusätzlichen Recherchengebühr zurückgewiesen worden war, null und nichtig sei. Ob eine gesonderte Beschwerde gegen die zweite Entscheidung eingelegt wurde, sei irrelevant, da eine Beschwerde gegen eine nichtige Entscheidung logischerweise keine Rechtswirkung entfalten könnte.