BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.3 vom 2. Dezember 1993 - T 371/92 - 3.3.3
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | C. Gérardin |
Mitglieder: | M. K. S. Aùz Castro |
H. H. R. Fessel |
Anmelder: Fina Research S. A.
Stichwort: Nicht eingelegte Beschwerde/FINA
Artikel: 97 (1), 106, 108, 86 (1), 121, 122, 116 (1), 109, 112 EPÜ
Schlagwort: "Entrichtung der Beschwerdegebühr ohne Beschwerdeschrift - Beschwerde nicht eingelegt" - "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (verneint) - nicht alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet" - "rechtswirksame Einlegung der Beschwerde für die Aufhebung einer angeblich nichtigen und rechtlich unwirksamen Entscheidung unerläßlich"
Leitsatz
Die Entrichtung der Beschwerdegebühr allein stellt keine rechtswirksame Einlegung einer Beschwerde dar. Liegt demnach keine Beschwerde vor, mit der die Beschwerdekammer zu befassen wäre, so obliegt es ihr auch nicht, darüber zu befinden, ob die erste Instanz einen wesentlichen Verfahrensfehler begangen hat; damit wird deren Entscheidung endgültig rechtskräftig.
Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 86 870 088.1 wurde am 19. Juni 1986 eingereicht. Auf der letzten Seite des Antrags auf Erteilung eines europäischen Patents (EPA Form 1001.1 bis 1001.9 08.81) beantragte der Anmelder in Feld XIX - Zusatzangaben - eine mündliche Verhandlung für den Fall, daß an eine Zurückweisung der Anmeldung gedacht werde. Mit Entscheidung vom 8. November 1991 wies die Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts die Anmeldung ohne vorherige mündliche Verhandlung aufgrund des Artikels 97 (1) EPÜ zurück.
In der Mitteilung betreffend die Rechtsmittelbelehrung wurde der Anmelder darüber unterrichtet, daß die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung schriftlich beim Europäischen Patentamt einzulegen, innerhalb von vier Monaten nach diesem Tag schriftlich zu begründen und eine Beschwerdegebühr zu entrichten ist. Der Wortlaut der einschlägigen Artikel 106 bis 108 EPÜ war beigefügt.
II. Am 8. Januar 1992 entrichtete der Anmelder die Beschwerdegebühr unter Verwendung des Formblatts "Zahlung von Gebühren und Auslagen" (Form 1010), auf dem das Aktenzeichen der Patentanmeldung angegeben war und die Zahlung als Entrichtung der Beschwerdegebühr bezeichnet wurde.
III. Am 9. März 1992 ordnete das Europäische Patentamt, da keine Beschwerdeschrift vorlag, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr an.
IV. Am 11. März 1992 wurde die Beschwerdebegründung eingereicht.
V. Mit Telekopie vom 28. April 1992 (eingegangen am 30. April 1992) verweigerte der Anmelder die Annahme der zurückgezahlten Beschwerdegebühr und entrichtete sie erneut, wobei er geltend machte, daß die Beschwerde in Einklang mit Artikel 108 EPÜ schriftlich innerhalb von zwei Monaten eingelegt worden sei. Es sei nämlich ein ordnungsgemäß unterzeichnetes Dokument mit Anmeldenummer, Name und Anschrift des Anmelders und der Angabe, daß dieser Beschwerde einlegen wolle, rechtzeitig beim Europäischen Patentamt eingegangen und die Beschwerdegebühr am selben Tag rechtswirksam entrichtet worden.
Er beantragte eine Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ und verwies zur Stützung seines Antrags auf die Entscheidung T 7/81 (ABl. EPA 1983, 98). Zur weiteren Untermauerung seiner Anträge verwies er auf ein anderes Verfahren, in dem das Formblatt für die Zahlung der Weiterbehandlungsgebühr ausnahmsweise implizit als Erklärung nach Artikel 86 (1) EPÜ und als Antrag auf Weiterbehandlung nach Artikel 121 EPÜ angesehen worden sei.
VI. Mit gleichem Schreiben beantragte der Anmelder hilfsweise die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 EPÜ. Er entrichtete die Wiedereinsetzungsgebühr, erhob gegen die Entscheidung vom 8. November 1991 über die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 86 870 088.1 ausdrücklich Beschwerde und beantragte, sie in vollem Umfang aufzuheben. Diesen Antrag begründete er wie folgt:
Herr Eric de K., ein Chemieingenieur, der das Formblatt für die Zahlung von Gebühren und Auslagen unterzeichnet habe, sei damals für die Formalitäten zuständig gewesen. Dieser habe zu diesem Zeitpunkt 30 Monate Erfahrung als Vollzeitkraft in der Abteilung "Patente" des Anmelders gehabt. In den Akten des Anmelders fände sich außer dem Formblatt keinerlei Hinweis auf ein weiteres Schreiben, mit dem Beschwerde eingelegt worden wäre. Ein solches Schreiben hätte normalerweise von Herrn de K. verfaßt und an die Sekretärin, Fräulein de D., die erst seit dem 19. Dezember 1991 in dieser Funktion tätig gewesen sei, weitergeleitet werden müssen. Diese hätte es dann wiederum Herrn de K., der über eine allgemeine Zeichnungsvollmacht verfüge, zur Unterschrift und Herrn L., dem zugelassenen Vertreter, zur Gegenzeichnung vorlegen müssen. Keiner der Beteiligten könne sich daran erinnern, ob er eine der genannten Handlungen vorgenommen habe. Alle seien aber überzeugt gewesen, daß die Beschwerde rechtswirksam eingelegt worden sei; aus diesem Grund sei er, der Anmelder, überrascht gewesen, am 16. März 1992 die Mitteilung über die Rückzahlung der Beschwerdegebühr zu erhalten. Erst an diesem Tag habe er von einer möglichen Nichtbeachtung von Verfahrensvorschriften des Europäischen Patentamts erfahren.
VII. Im Verlauf des schriftlichen Verfahrens und in der mündlichen Verhandlung am 2. Dezember 1993 ergänzte der Anmelder sein Vorbringen wie folgt:
i) Da die Entscheidung der Prüfungsabteilung ungeachtet seines Antrags auf mündliche Verhandlung ergangen sei, sei diese von Anfang an nichtig und rechtlich unwirksam gewesen und könne daher auch nicht Gegenstand einer Beschwerde sein; dazu verweise er auf die Entscheidung T 766/90 (Sonderausgabe zum ABl. EPA 1993, 65).
ii) Unter Bezugnahme auf das Formblatt EPA Form 3322 06.89, mit dem ihm der Geschäftsstellenbeamte der Beschwerdekammer das Aktenzeichen der "Beschwerdeakte" und die zuständige Beschwerdekammer mit den Worten "Die von Ihnen mit Schriftsatz vom ... eingelegte Beschwerde ..." genannt habe, machte der Anmelder geltend, für ihn sei es offensichtlich gewesen, daß eine in bezug auf das Vorhandensein einer Beschwerde positive Entscheidung kraft Regel 69 (2) EPÜ getroffen worden sei, zumal man ihm mitgeteilt habe, daß die Beschwerde einer Beschwerdekammer vorgelegt worden sei.
iii) Was die von der Beschwerdekammer in ihrem Bescheid vom 7. September 1992 angeführte Entscheidung J 19/90 vom 30. April 1992 betreffe, so sei diese erst nach der Ingangsetzung des jetzigen Verfahrens ergangen, und es habe einer fünf Seiten langen Begründung bedurft, um zu einem Ergebnis zu gelangen, was zur Genüge zeige, daß dieses nicht so offensichtlich gewesen sei. Dies stelle ein wesentliches Argument zur Stützung des Wiedereinsetzungsantrags dar, das auch hinsichtlich der Bedeutung der in Artikel 122 (1) EPÜ enthaltenen Formulierung "Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt" berücksichtigt werden müsse. Wenn nämlich angesichts der Umstände angenommen werden durfte, daß die Entrichtung der Beschwerdegebühr mit einem Formblatt, das die notwendigen Angaben enthalte, ausreichen könne, dann sei auch, was die Sorgfalt bei der schriftlichen Abfassung des Antrags angehe, der im übrigen fristgerecht gestellt worden sei, ein weniger strenger Maßstab anzulegen.
VIII. Der Anmelder stellte folgende Anträge:
1. Hauptantrag: Feststellung, daß die Entscheidung über die Zurückweisung der Patentanmeldung von Anfang an nichtig und rechtlich unwirksam war und daher auch nicht Gegenstand einer Beschwerde sein kann
2. Erster Hilfsantrag: Vorlage der folgenden Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer:
"Ist eine Entscheidung, die ohne Berücksichtigung eines Antrags der beschwerten Partei auf mündliche Verhandlung ergangen ist, als von Anfang an nichtig und rechtlich unwirksam anzusehen?
Wenn sie rechtlich unwirksam ist, kann sie dann trotzdem Gegenstand einer Beschwerde sein?"
3. Zweiter Hilfsantrag: Feststellung, daß die in den Artikeln 106 bis 108 und in der Regel 64 EPÜ genannten Bedingungen erfüllt waren
4. Dritter Hilfsantrag: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 EPÜ
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag
Unter Bezugnahme auf die Entscheidung T 766/90 (Sonderausgabe zum ABl. EPA 1993, 65) hat der Anmelder vorgebracht, daß die Entscheidung der ersten Instanz über die Zurückweisung seiner Patentanmeldung von Anfang an nichtig und rechtlich unwirksam gewesen sei, weil die Prüfungsabteilung seinem Antrag auf mündliche Verhandlung vor Zurückweisung der Anmeldung nicht stattgegeben habe; diese nichtige und rechtlich unwirksame Entscheidung könne daher nicht Gegenstand einer Beschwerde sein.
1.1 Das Recht auf mündliche Verhandlung ist in Artikel 116 (1) EPÜ geregelt. Gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern gilt die Ablehnung eines solchen Antrags als wesentlicher Verfahrensfehler, und in der Tat haben einige Beschwerdekammern Entscheidungen, die ohne vorherige mündliche Verhandlung ergangen sind, obwohl diese beantragt worden war, für von Anfang an nichtig und rechtlich unwirksam erklärt. Allerdings war in diesen Fällen - wie auch in dem der Entscheidung T 766/90 zugrundeliegenden Fall - der Antrag auf mündliche Verhandlung immer im Rahmen des Verfahrens zur Prüfung der Anmeldung bzw. eines Einspruchsverfahrens gestellt worden.
1.2 Man muß sich fragen, ob ein Prüfer verpflichtet ist, bei Durchsicht der Anmeldung auch das Formblatt für den Antrag auf Erteilung eines europäischen Patents anzusehen, da dies für die Prüfung der Anmeldung nicht notwendig ist. Der Prüfer müßte eigentlich annehmen können, daß der Anmelder, der eine mündliche Verhandlung wünscht, den entsprechenden Antrag im Verlauf des Prüfungsverfahrens stellt, insbesondere nach Erhalt des Recherchenberichts oder auf Bescheide der Prüfungsabteilung hin. Jedenfalls ist zu bezweifeln, daß diese Unterlassung einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellen kann. Somit läßt sich das Ergebnis, zu dem die vom Anmelder genannte Entscheidung gelangt, insoweit nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, da die damaligen Umstände wesentlich anders gelagert sind.
1.3 Die Beschwerdekammer hat im vorliegenden Fall aber nicht darüber zu entscheiden, ob die Entscheidung der ersten Instanz mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet ist; denn selbst wenn dies der Fall wäre, bedürfte es einer zulässigen Beschwerde, damit die Kammer darüber entscheiden kann.
1.4 Die Behauptung des Anmelders, daß die Entscheidung der ersten Instanz nicht Gegenstand einer Beschwerde sein könne, weil sie nichtig und rechtlich unwirksam sei, wird durch das Übereinkommen nicht gestützt.
Nach Artikel 106 (1) EPÜ sind die Entscheidungen der Prüfungsabteilungen ebenso wie die anderer Abteilungen des Europäischen Patentamts mit der Beschwerde anfechtbar. Mit der Beschwerde gelangt das Verfahren vor eine andere Instanz, nämlich vor die Beschwerdeinstanz. Die Beschwerde nach Artikel 106 ff. EPÜ ist das einzige im Übereinkommen vorgesehene Rechtsmittel, mit dem die Aufhebung einer Entscheidung der ersten Instanz erreicht werden kann. Hat die Prüfungsabteilung erst einmal über die Anmeldung entschieden, ist sie an ihre Entscheidung gebunden und nicht mehr befugt, diese zu ändern (siehe Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer G 4/91, ABl. EPA 1993, 707, Nr. 7 und G 12/91, ABl. EPA 1994, 285, Nr. 2). Dies gilt selbst dann, wenn die Entscheidung als nichtig anzusehen wäre. Solange die Entscheidung nicht aufgehoben wird, besteht sie und entfaltet ihre volle Wirkung. Der Grundsatz, daß eine Instanz nicht befugt ist, ihre eigenen Entscheidungen zu ändern, wird in Artikel 109 EPÜ - Abhilfe - deutlich, der eine Ausnahmeregelung von diesem Grundsatz bildet und überflüssig wäre, wenn es den Grundsatz der Bindungswirkung nicht gäbe.
1.5 Artikel 109 EPÜ sieht vor, daß die erste Instanz, deren Entscheidung angefochten wird, der Beschwerde in einem ex-parte-Verfahren abzuhelfen hat, wenn sie diese für zulässig und begründet erachtet. Allein in einem solchen Fall kann eine Instanz ihre eigene Entscheidung aufheben. Im Umkehrschluß ergibt sich, daß die erste Instanz bei Nichtvorliegen einer Beschwerde an ihre Entscheidung gebunden ist, selbst wenn sie diese für nichtig hält.
1.6 Aus diesem Grund kann dem Hauptantrag nicht entsprochen werden.
2. Erster Hilfsantrag
2.1 Artikel 112 (1) EPÜ schreibt vor: Wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, befaßt die Beschwerdekammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten die Große Beschwerdekammer, wenn sie hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält.
2.2 Die erste Frage, ob eine Entscheidung, die ohne Berücksichtigung eines Antrags auf mündliche Verhandlung ergangen ist, als von Anfang an nichtig und rechtlich unwirksam anzusehen ist, stellt keine reine Rechtsfrage dar, denn zu ihrer Beantwortung müßten auch die Umstände des Falles und damit der Zeitpunkt der Antragstellung berücksichtigt werden. Aber selbst wenn man voraussetzt, daß die Große Beschwerdekammer eine solche Frage bejahen würde, wäre diese Antwort nur von Belang, wenn die zweite Frage, nämlich, ob eine rechtlich unwirksame Entscheidung gleichwohl Gegenstand einer Beschwerde sein kann, verneint würde.
2.3 Wie bereits ausgeführt, ist diese Frage im Übereinkommen selbst geregelt, und die Große Beschwerdekammer hat in den beiden zitierten Entscheidungen dazu erklärt, daß eine Instanz, die eine Entscheidung erlassen hat, nicht mehr befugt ist, diese zu ändern. Daraus folgt, daß die Aufhebung einer Entscheidung der ersten Instanz nur im Wege einer zulässigen Beschwerde möglich ist.
2.4 Aus diesem Grund hält es die Kammer nicht für notwendig, diese Frage der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
3. Zweiter Hilfsantrag
Der Anmelder macht geltend, daß er eine zulässige Beschwerde eingelegt hat.
3.1 Artikel 108 EPÜ schreibt vor, daß die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung schriftlich einzulegen ist, daß sie erst als eingelegt gilt, wenn die Beschwerdegebühr entrichtet worden ist, und daß sie innerhalb von vier Monaten nach Zustellung der Entscheidung schriftlich zu begründen ist.
Nach Regel 64 EPÜ muß die Beschwerdeschrift folgendes enthalten:
a) den Namen und die Anschrift des Beschwerdeführers nach Maßgabe der Regel 26 Absatz 2 Buchstabe c;
b) einen Antrag, der die angefochtene Entscheidung und den Umfang anzugeben hat, in dem ihre Änderung oder Aufhebung begehrt wird.
3.2 Im vorliegenden Fall bestreitet der Anmelder nicht, daß er die Beschwerdeschrift nicht so eingereicht hat, wie es diesen Bestimmungen entspricht. Es wird auch nicht bestritten, daß die Beschwerdegebühr und die Beschwerdebegründung fristgerecht eingegangen sind. Es bleibt also die Frage, ob das Formblatt für die Gebührenzahlung das fehlende Schriftstück ersetzen kann, da es die Beschwerde erwähnt, datiert und ordnungsgemäß unterzeichnet ist und das Aktenzeichen der entsprechenden Patentanmeldung enthält.
3.3 Dazu gibt es die Entscheidung T 275/86 der Beschwerdekammer 3.3.1 vom 3. Oktober 1990 (nicht veröffentlicht), in der festgestellt wurde, daß ein mit Formblatt EPA Form 4212 05.80 erteilter Abbuchungsauftrag im wesentlichen die Informationen enthalte, die für eine Beschwerdeschrift nach Regel 64 EPÜ vorgeschrieben sind, d. h. den Namen und die Anschrift des Beschwerdeführers, die Nummer des Patents zwecks Feststellung der angefochtenen Entscheidung und die Angabe des Zahlungsgrunds, nämlich die Entrichtung der Beschwerdegebühr. Aus diesem Grund wurde in der genannten Entscheidung festgestellt, daß das Formblatt für die Zahlung allein eine zulässige Beschwerde darstelle.
3.4 In der Entscheidung J 19/90 der Juristischen Beschwerdekammer vom 30. April 1992 wurde im Gegensatz zur vorgenannten Entscheidung festgestellt, daß die Entrichtung der Beschwerdegebühr allein noch keine rechtswirksame Einlegung einer Beschwerde darstelle.
Die einschlägigen Entscheidungsgründe treffen auch auf den vorliegenden Fall zu, und die Beschwerdekammer macht sie sich zu eigen.
3.5 Einer rechtsgültigen Beschwerdeschrift muß zumindest die ausdrückliche Erklärung zu entnehmen sein, daß eine bestimmte Entscheidung mit der Beschwerde angefochten werden soll. Erst mit dieser formalen Handlung wird das Rechtsmittel eingelegt, die höhere Instanz befaßt (Devolutiveffekt) und die aufschiebende Wirkung nach Artikel 106 (1) EPÜ begründet.
3.6 Die Entrichtung der Beschwerdegebühr läßt höchstens vermuten, daß der Anmelder die Absicht hat, Beschwerde einzulegen, stellt aber für sich genommen nicht die Beschwerdeschrift dar, mit der das Beschwerdeverfahren eingeleitet wird. Zum Zeitpunkt der Entrichtung der Beschwerdegebühr, ja selbst danach, kann der Anmelder noch entscheiden, ob er Beschwerde einlegt oder nicht. Wenn er seine Meinung ändert und die Angelegenheit nicht weiterverfolgt, dann gilt die nicht existente Beschwerde nicht als zurückgenommen, sondern die Gebühr wird zurückgezahlt, weil keine Beschwerde eingelegt worden ist.
Zu bedenken ist auch, daß es gefährlich ist, wollte man Bestimmungen, die, wie im Falle der Erfordernisse für die Einlegung einer rechtsgültigen Beschwerde, klar und eindeutig sind, in der einen oder anderen Richtung auslegen, um einer Unterlassung abzuhelfen, denn dies würde nur zu Rechtsunsicherheit führen. Eine Auslegung, wonach contra legem allein die Entrichtung der Beschwerdegebühr mittels Formblatt 1010 der rechtsgültigen Beschwerdeeinlegung gleichzusetzen wäre, wäre in ihren Auswirkungen widersinnig. Wenn nämlich jemand, der die Beschwerdegebühr bereits entrichtet hat, später von der Einlegung einer Beschwerde Abstand nähme, hätte er gewiß Schwierigkeiten, die Rückzahlung der entsprechenden Beschwerdegebühr zu erreichen.
Die für die Beschwerdeschrift vorgeschriebene Schriftform ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut der Artikel 106 (1) und 108 sowie der Regel 64 EPÜ. Die Entrichtung der Beschwerdegebühr ist ein weiteres Erfordernis, das die Beschwerdeschrift nicht ersetzen kann, selbst wenn die Zahlung mittels des ordnungsgemäß ausgefüllten Formblatts erfolgt.
3.7 Der Anmelder bezieht sich zu Unrecht auf die Entscheidung T 7/81, deren Feststellungen sich nicht auf den vorliegenden Fall übertragen lassen. In jener Sache war nämlich schriftlich Beschwerde eingelegt und nur der Umfang der Beschwerde nicht näher angegeben worden. Im vorliegenden Fall kann die Beschwerdekammer dagegen den Umfang der Beschwerde nicht durch Auslegung feststellen, weil ihr gar keine Beschwerdeschrift vorliegt.
3.8 Was schließlich den Verweis des Anmelders auf den Antrag auf Weiterbehandlung nach Artikel 121 EPÜ betrifft, so kann man auch nicht schon allein daraus Schlüsse zur Stützung des vorliegenden Falles ziehen, daß in einem anders gelagerten Verfahren vor dem Europäischen Patentamt das Formblatt für die Zahlung von Gebühren als rechtswirksamer Antrag auf Weiterbehandlung betrachtet werden konnte.
Ein solcher Antrag ist nicht vergleichbar mit der Beschwerdeschrift und ihren vorstehend beschriebenen Besonderheiten. Zweck des Antrags nach Artikel 121 EPÜ ist allein die Weiterbehandlung vor derselben Instanz; eine andere Wirkung hat er nicht. Die Entscheidung, die aufgrund der Versäumung der vom Amt gesetzten Frist ergangen ist, wird nicht aufgehoben; nur ihre Folgen können aufgehoben werden.
3.9 Somit stellt das Formblatt, auf dem ein Zahlungsgrund angegeben ist, für sich genommen keine Beschwerdeschrift dar. Aus diesem Grund gilt die Beschwerde als nicht eingelegt.
4. Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ
Der Anmelder geht auch fehl, wenn er das Formblatt des Geschäftsstellenbeamten mit Angabe des Aktenzeichens und der zuständigen Beschwerdekammer als eine Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ wertet, mit der, wenn auch implizit, so doch zwangsläufig das Vorliegen einer Beschwerde anerkannt wird.
Die Regel 69 EPÜ bezieht sich auf einen Rechtsverlust, der eingetreten ist, ohne daß eine Entscheidung über die Zurückweisung der Anmeldung ergangen ist. Sie ist daher auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil die Prüfungsabteilung eine Entscheidung über die Zurückweisung der Anmeldung getroffen hat.
Daß das vorstehend genannte Formblatt keine Entscheidung darstellt, die das Vorliegen einer Beschwerde impliziert, ergibt sich aus dem Inhalt der übermittelten Informationen, aus der Form, die nicht der einer Entscheidung entspricht, und aus der Tatsache, daß das Formblatt offensichtlich von einem Geschäftsstellenbeamten unterzeichnet worden ist.
5. Dritter Hilfsantrag
Dieser Antrag betrifft die Wiedereinsetzung in das Recht auf eine Beschwerde.
5.1 Nach Artikel 122 (1) EPÜ wird der Anmelder, der trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt verhindert worden ist, gegenüber dem Europäischen Patentamt eine Frist einzuhalten, auf Antrag wieder in den vorigen Stand eingesetzt.
Absatz 2 dieses Artikels bestimmt, daß der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses schriftlich einzureichen und die versäumte Handlung innerhalb dieser Frist nachzuholen ist.
Absatz 3 desselben Artikels schreibt vor, daß der Antrag zu begründen ist, wobei die zur Begründung dienenden Tatsachen glaubhaft zu machen sind, und daß die Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet werden muß.
5.2 Das Datum des Wegfalls des Hindernisses ist der 16. März 1992; an diesem Tag hat der Anmelder nach eigener Aussage die Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 9. März 1992 über die Rückzahlung der Beschwerdegebühr erhalten, die damit begründet wurde, daß keine Beschwerde eingelegt worden sei.
Der begründete Wiedereinsetzungsantrag ist am 30. April 1992 eingegangen und die entsprechende Gebühr am selben Tag entrichtet worden. Damit sind die formalen Erfordernisse der Absätze 2 und 3 erfüllt. Zu prüfen bleibt, ob die materiellrechtlichen Erfordernisse des Artikels 122 (1) EPÜ ebenfalls erfüllt sind.
5.3 Die Tatsache, daß keine Beschwerde eingelegt worden ist, stellt keinen Rechtsirrtum dar, der durch die Unkenntnis darüber, daß die Beschwerde schriftlich eingelegt werden muß, bedingt ist; ein solcher Rechtsirrtum würde von einer späteren Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließen (siehe die Entscheidungen J 19/90, Nr. 3.2 und D 6/82, ABl. EPA 1983, 337).
Der Anmelder hat in seiner Argumentation in der Hauptsache zwar vorgebracht, daß das Formblatt "Zahlung von Gebühren und Auslagen" die Beschwerdeschrift darstelle, nach weiteren Ausführungen jedoch eingeräumt, daß er gewöhnlich zusätzlich zur Einreichung des Formblatts auch schriftlich nach Artikel 108 EPÜ Beschwerde einlege. Somit ist das Fehlen der Beschwerdeschrift auf eine reine Unterlassung und nicht auf einen Rechtsirrtum zurückzuführen.
5.4 Gleichwohl kann der Anmelder nicht belegen, daß er die Frist für die Beschwerdeeinlegung trotz Beachtung "aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt" nicht einzuhalten vermochte.
Der Anmelder hat sein System zur Bearbeitung der Post wie folgt erläutert: Für Verfahrensfragen sei Herr de K. zuständig, für Sachfragen Herr L.. Im vorliegenden Fall hätte die Beschwerdeschrift von Herrn de K. verfaßt und von Herrn L., dem zugelassenen Vertreter, gegengezeichnet werden müssen. In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter vorgebracht, daß beide davon ausgegangen seien, der andere nehme sich der Sache an. Dies zeigt nach Auffassung der Kammer, daß die Zuständigkeiten nicht immer strikt beachtet wurden, denn sonst hätte Herr de K. nicht annehmen können, Herr L. werde die Beschwerdeschrift allein abfassen.
Im übrigen hat der Anmelder keinerlei Auskünfte darüber gegeben, nach welchem System er die Fristenüberwachung sicherstellt. Im vorliegenden Fall ist die Frist von zwei Monaten nur bei der Entrichtung der Gebühren, nicht aber bei der Einlegung der Beschwerde eingehalten worden.
Der Anmelder hat auch keine Angaben über die Beaufsichtigung der Assistenten des zugelassenen Vertreters, Herrn L., gemacht, sondern lediglich erläutert, daß die von Herrn de K. verfaßte Beschwerdeschrift durch die Hände von Herrn L. hätte gehen müssen. Eine solche Kontrolle findet also lediglich bei Arbeiten statt, die einer vorherigen Genehmigung bedürfen. Die Beaufsichtigung der Assistenten spielt aber ebenfalls eine wichtige Rolle und soll sicherstellen, daß sie die notwendigen Handlungen innerhalb der vorgeschriebenen Fristen vornehmen. Die Erklärungen für das Fehlen der Beschwerdeschrift können die Kammer nicht davon überzeugen, daß der Anmelder über ein zweckmäßiges System zur Fristenüberwachung verfügt und es sich im vorliegenden Fall nur um ein einmaliges Versehen innerhalb eines ansonsten gut funktionierenden Systems handelt (Entscheidungen J 2/86 und J 3/86, ABl. EPA 1987, 362, Nr. 4).
5.5 Der Anmelder kann auch nicht geltend machen, bis zum Erlaß der Entscheidung J 19/90 habe man nach den Umständen annehmen dürfen, daß die Entrichtung der Beschwerdegebühr mit dem Formblatt 1010 ausreichend sei. In Artikel 108 Satz 1 EPÜ wird nämlich klar gesagt, daß die Beschwerde schriftlich einzulegen ist; erst im zweiten Satz des Artikels wird die Beschwerdegebühr erwähnt. Dies bedeutet, daß es für die Beschwerde im wesentlichen auf die Beschwerdeschrift, in der ausdrücklich auf die Beschwerde verwiesen wird, und nicht auf die Entrichtung der Gebühr ankommt. Nur wenn die Gebühr nicht in der vorgeschriebenen Frist entrichtet wird, gilt die Beschwerde als nicht eingelegt. Der Anmelder kann daher nicht aus dem Übereinkommen ableiten, daß die Abfassung der Beschwerdeschrift weniger wichtig ist als die Entrichtung der entsprechenden Gebühr, die erst in zweiter Linie eine Rolle spielt.
Auch die Länge der Entscheidung J 19/90 ist kein Argument gegen die Eindeutigkeit der Artikel 106 und 108 sowie der Regel 64 EPÜ. Sie hat im wesentlichen mit dem Vorbringen der Beteiligten und der sprachlichen Ausdrucksweise der betreffenden Beschwerdekammer zu tun.
5.6 Aus diesen Gründen kann der Anmelder nicht in die Frist für die Einlegung der Beschwerde wiedereingesetzt werden. Da somit keine Beschwerde vorliegt, ist die zweite Instanz nicht befaßt.
6. Da keine Beschwerdeschrift vorliegt, ist die entsprechende Gebühr grundlos entrichtet worden und daher zurückzuzahlen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Hauptantrag und die Hilfsanträge werden zurückgewiesen.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.