BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.5.1 vom 29. April 1992 - T 164/92 - 3.5.1
(Amtlicher Text)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | P. K. J. van den Berg |
Mitglieder: | R. Randes |
C. E. M. Holtz |
Patentinhaber/Beschwerdegegner: Robert Bosch GmbH
Einsprechender/Beschwerdeführer: Siemens Aktiengesellschaft, Berlin und München
Stichwort: Elektronische Rechenbausteine/ROBERT BOSCH
Artikel: 111 (1), 52 (2) c), (3), 54 (1) EPÜ
Schlagwort: "Stand der Technik" - "Offenbarungsgehalt einer Vorveröffentlichung" - "Einschlägiger Fachmann" - "Programmlisten"
Leitsätze
I. Maßstab für den Offenbarungsgehalt einer Veröffentlichung ist, was vom Durchschnittsfachmann auf dem entsprechenden Fachgebiet an Kenntnissen und Verständnis erwartet werden kann und darf.
II. Unter Umständen kann es dem Durchschnittsfachmann auf dem Gebiet der Elektronik, insbesondere wenn er selbst nicht über ausreichende Kenntnisse von Programmiersprachen verfügt, zugemutet werden, einen Programmierer heranzuziehen, wenn eine Veröffentlichung genügend Hinweise darauf enthält, daß weitere Einzelheiten des darin beschriebenen Sachverhalts in einer als Anhang beigefügten Programmliste zu finden sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - besagte Programmliste Angaben in normaler Sprache enthält, die wenigstens einige der einzelnen Programmstufen (Befehle, Schritte) erläutern und in deutlichem Zusammenhang mit dem beschriebenen Sachverhalt stehen.
Sachverhalt und Anträge
I. Auf den Gegenstand der am 2. November 1984 angemeldeten europäischen Patentanmeldung Nr. 84 904 096.9 ist am 1. Februar 1989 das drei Patentansprüche umfassende europäische Patent Nr. 0 163 670 erteilt worden.
II. Gegen das erteilte Patent hat die jetzige Beschwerdeführerin (vormals Einsprechende) Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf die folgenden, erstmals genannten Dokumente beantragt:
D1: "Bedienungsanleitung Personalcomputer PC 100" vorläufige Ausgabe 1979/80, Seiten 1-4, 1-5, 3-5, 5-8, 5-10, 5-15, 5-18 und Anhang J, Seiten 009, 010, und 026 der Siemens AG.
D2: "Mikrocomputerbausteine - programmierbarer Multifunktionsbaustein SAB 8256A MUART", Datenbuch 1981, Seite 65 der Siemens AG.
D3: "Mikrocomputerbausteine - SAB 8256A MUART programmierbarer Multifunktionsbaustein", Applikation der Siemens AG aus 3/82, Seiten 8 und 15.
D4: DE-A-2 842 392.
Außerdem wurde im Rahmen einer nach Dubai gelieferten Anlage eine offenkundige Vorbenutzung des Programmteils "DEBUG MACROFILE XREF Title ('27.11.80') Name Dubaso" geltend gemacht (D5).
III. Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch durch Entscheidung vom 17. Dezember 1991 zurückgewiesen, mit der Begründung, daß die Entgegenhaltungen D1 bis D5 den Fachmann nicht in der Weise anregen könnten, daß er zu einer Einrichtung gemäß Anspruch 1 gelangen würde. Die Entgegenhaltungen D1 und D5 wiesen Programmlisten auf, die die Programme nicht in der normalen Sprache erläuterten, weshalb die Offenbarung dieser Entgegenhaltungen als unzureichend zu betrachten sei. Bezüglich D1 wird in der Entscheidung unter Ziffern 11) und 12) folgendes ausgeführt:
"11. D1 bezieht sich auf eine Bedienungsanleitung für einen Personal Computer PC 100 und umfaßt neben Teilen vom Abschnitt 1 (Gerätebeschreibung), Abschnitt 3 (das PC 100 Monitorprogramm), Abschnitt 5 (PC100 Systembeschreibung) auch Anhang J (Monitor-Listing).
12. Auf dem Gebiet der Datenverarbeitungsanlagen können in Programmiersprachen abgefaßte Programmlisten nicht als einzige Grundlagen zur Offenbarung einer Erfindung dienen. Daneben müßten diesen Listen eine Beschreibung in normaler Sprache, gegebenenfalls ergänzt durch Flußdiagramme oder andere Verständnishilfen beigefügt sein, so daß die Offenbarung für Fachleute, die nicht als Programmierexperten anzusehen sind, verständlich ist. Fehlen die Verständnishilfen, dann ist die Offenbarung als unzureichend zu betrachten (vgl. Richtlinien, Teil C Kapitel II, Paragraph 4.14a).
Für die Offenbarung des Standes der Technik sind diese Maßstäbe analog anzuwenden."
Die Einspruchsabteilung führt aus, daß die Abschnitte 1, 3 und 5 der D1 einerseits, und Anhang J der D1 andererseits keine Verweisung zueinander hätten. Weil Anhang J das Programm in der normalen Sprache nicht angebe, sei es nicht selbstverständlich für einen Fachmann, diese Teile miteinander in Zusammenhang zu bringen. Deshalb sei es auch nicht nahegelegt, die Entgegenhaltung D4, die an sich eine "Watch-Dog-Schaltung" aufweise, mit D1 so zu kombinieren, daß eine Vorrichtung gemäß Anspruch 1 entstehe.
Auch könnten die Entgegenhaltungen D2 oder D3 zusammen mit D4 nicht zu der Vorrichtung gemäß Anspruch 1 führen.
D5 beziehe sich auf eine Programmliste, so daß auch hier eine unzureichende Offenbarung vorliege. Deshalb könne eine offenkundige Vorbenutzung durch diese Programmliste nicht bewiesen werden.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 17. Februar 1992, unter gleichzeitiger Entrichtung der Gebühr, Beschwerde eingelegt und diese mit Schreiben vom 27. März begründet.
V. Zur Vorbereitung auf die von der Beschwerdegegnerin hilfsweise beantragte mündliche Verhandlung erließ die Kammer eine Mitteilung gemäß Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern. In dieser Mitteilung wurde die vorläufige Meinung vertreten, daß Anspruch 1, jedenfalls formal, den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ nicht entspreche. Es wurde auch in Frage gestellt, ob der Standpunkt der angefochtenen Entscheidung, daß ein Fachmann die genannten Programmlisten nicht heranziehen würde, korrekt sei.
VI. Vor der mündlichen Verhandlung, am 29. März 1993, wurde von der Beschwerdegegnerin ein neuer Anspruch 1 eingereicht. Er lautet wie folgt:
"Einrichtung zur Überwachung von Rechenbausteinen (1), insbesondere Mikroprozessoren, mit einer Power-On-Reset-Schaltung (5) und mit Mitteln zur Prüfung von in flüchtigen Speichern abgelegten Werten nach dem Rücksetzvorgang, dadurch gekennzeichnet, daß eine Überwachungseinrichtung (2) vorgesehen ist, die Signale abgibt, wenn der Rechenbaustein (1) keine Signale abgibt, daß die Signale der Power-On-Reset-Schaltung (5) und der Überwachungseinrichtung (2) einem einzigen Eingang (12) des Rechenbausteins (1) zugeführt sind und daß der Rechenbaustein (1) beim Auftreten eines Signals der Power-On-Reset-Schaltung (5) oder der Überwachungseinrichtung (2) die im flüchtigen Speicher (7) abgelegten Werte mit in einem nicht flüchtigen Speicher (6) vorhandenen Muster vergleicht und daß bei zumindest teilweiser Gleichheit zwischen dem Muster und den im flüchtigen Speicher (7) abgelegten Werten eine Entscheidung dahingehend durchgeführt wird, daß die Rücksetzung von der Überwachungseinrichtung (2) veranlaßt wurde."
VII. Zur Stützung ihrer Anträge trug die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende Argumente vor:
Es könne nicht richtig sein, daß Programmlisten in diesem Falle nicht als Entgegenhaltungen betrachtet würden. Wie von der Kammer in der genannten Mitteilung gesagt worden sei, bewegten sich die Erfindungsidee und die Merkmale der vermeintlichen Erfindung im Grenzland zwischen Programm und Hardware. Nach der Anmeldung werde nämlich das erwünschte Resultat erreicht - unabhängig davon wie die Aufgabe ("Maßnahmen zu schaffen, um unterschiedliche Rücksetzvorgänge erkennen zu können") gelöst werde - entweder mittels eines Programmes oder mittels schaltungstechnischer Maßnahmen.
Wenn die fertige Lösung des Patentes betrachtet werde, sei es jedoch offenbar, daß ein Programmfachmann mit guten elektronischen Kenntnissen oder ein Elektroniker mit guten Programmierkenntnissen bei der Entwicklung der Erfindung tätig gewesen sein müsse. Die Erfindung setze also voraus, daß der einschlägige Fachmann programmieren könne. Deshalb wäre es doch unlogisch, wenn zutreffende Programmlisten nicht als Entgegenhaltungen angesehen werden dürften.
In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin sich darauf beschränkt, Erläuterungen lediglich zur D1 (mit Anhang J - "Monitor-Listing") abzugeben, weil D1 im Vergleich zu den anderen Entgegenhaltungen die weitaus größte Relevanz im vorliegenden Zusammenhang besitzen dürfte.
Aus der D1 sei eine Einrichtung zur Überwachung von Rechenbausteinen mit einer Power-On-Reset-Schaltung bekannt. Aus dem Abschnitt 1 sei nämlich zu entnehmen, daß durch eine RESET-Taste die laufende Operation unterbrochen werde und die PC 100 Monitorprogramm-Initialisierung durchgeführt werde. Dieses Monitorprogramm überprüfe, ob ein "kalter" RESET oder ein "warmer" RESET durchgeführt werden solle. Ein "kalter" RESET werde durchgeführt, sobald das Monitorprogramm feststelle, daß die Versorgungsspannung angelegt worden sei. Ein "kalter" RESET bewirke die Initialisierung aller Monitorprogramm-Parameter.
Aus demselben Abschnitt der D1 (Seite 1-4) sei auch zu entnehmen, daß ein "warmer" RESET zu jeder Zeit durch Betätigen der RESET-Taste durchgeführt werden könne. Ein solcher RESET sollte immer dann durchgeführt werden, wenn eine unbekannte Operation stattgefunden habe oder wenn der PC 100 unkontrolliert weiterlaufe oder stehenbleibe. Es sei also offenbar, daß die Funktion eines "warmen" RESETs gemäß D1 der Funktion der Überwachungseinrichtung (2) gemäß Anspruch 1 entspreche, obwohl gemäß D1 diese Funktion nicht automatisch ausgelöst werde.
Der Programmliste der D1 (Anhang J - "Monitor-Listing"), die in Assembler abgefaßt sei, sei aber auch zu entnehmen, daß bei der dort gezeigten Einrichtung auch ein Vergleich der im flüchtigen Speicher abgelegten Werten mit einem in einem nicht flüchtigen Speicher vorhandenen Muster stattfinde. Außerdem sei der Programmliste zu entnehmen, daß die Signale der beiden RESETs einem einzigen Eingang zugeführt würden, weil am Anfang des "Vergleichprogrammes" (Schritt = line 0365, Seite 009) der Interrupt-Eingang abgeschaltet ("DISABLE INTERRUPT") und erst nach dem Vergleich wieder eingeschaltet ("CLEAR INTERRUPT") werde (Schritt 0410, Seite 010).
Die Schritte 0369 bis 0380 des Programmes befaßten sich mit dem Initialisieren der Eingabe-Ausgabe-Bauteile 6522 und 6532. Mit dem Programmschritt 0381 werde ein Monitor RAM des Eingabe/Ausgabe-Bauteils 6532 initialisiert, und es werde anschließend im Schritt 0382 eine Vergleichsgröße INTAB3 (vom ROM) geladen, um anschließend mit dem Schritt 0383 durch Vergleich (CMP) zu prüfen, ob sich der Vektor NMIV2 geändert habe. Werde dabei festgestellt, daß sich der Vektor NMIV2 in einem Wert tatsächlich geändert habe, werde dies als ein "kalter" RESET gewertet. Dieser Fall führt über Schritt 0384 im Schritt 0390 zur vollständigen Initialisierung ("INIT EVERYTHING (POWER UP)").
Ergebe demgegenüber der Programmschritt gemäß Zeile 0383 keine Veränderung des Vektors NMIV2, dann werde zunächst der Schritt 0385 durchgeführt, indem eine weitere Vergleichsgröße INTAB3 + 1 geladen werde. Anschließend werde (Schritt 0386) ein weiterer Wert NMIV2 + 1 des Vektors verglichen und bei Ungleichheit (0387) zur Adresse RS3A (0390) verzweigt. Wenn bei beiden Vergleichsvorgängen Gleichheit festgestellt worden sei, erkenne das Programm, daß ein "warmer" RESET" durchgeführt worden sei. Entsprechend den unterschiedlichen RESETs werde unterschiedlich initialisiert (0393).
Somit werde bei dem Verfahren nach D1 ein Vergleich mit einem Vektor vorgenommen, der im Sinne des angegriffenen Patents als "Muster" anzusehen sei.
Aus D1 sei deshalb eine Einrichtung bekannt, die alle Merkmale des Anspruchs 1 - außer einer Überwachungseinrichtung (2) - ausweise. Statt eine solche automatische Überwachungsanordnung ("Watch-dog") wie gemäß Anspruch 1 zu verwenden, werde die Überwachung gemäß D1 von einer Person durchgeführt, die, wenn notwendig, einen "warmen" RESET durch Betätigen der RESET-Taste ausführe. Aus der D4 sei aber, an sich, eine "Watch-Dog-Schaltung" zur Überwachung von Programmen bekannt, weshalb es für den Fachmann naheliegend wäre, zu einer Einrichtung gemäß Anspruch 1 zu gelangen.
VIII. Die Beschwerdegegnerin trug im wesentlichen folgendes vor:
In vorliegendem Falle dürften nach der bisherigen Rechtsprechung keine Programmlisten als Entgegenhaltungen herangezogen werden. Aus den Prüfungsrichtlinien Teil C, Kapitel II, 4.14a gehe unzweideutig hervor, daß selbst bei Erfindungen auf dem Gebiet der Datenverarbeitungsanlagen, die vielfach Programmabläufe zum Gegenstand hätten, der zu bemühende Fachmann nicht als Programmierexperte anzusehen sei. Es könnten deshalb keine Gründe gefunden werden, die das Heranziehen der Programmliste der D1 rechtfertigen würde.
Anspruch 1 sei gegenüber EP-A-0 027 432 abgegrenzt. Die kennzeichnenden Merkmale seien aber neu gegenüber der Lehre dieser Druckschrift. Es sei richtig, daß an sich eine Watch-Dog-Schaltung aus D4 zu entnehmen sei, jedoch seien die gemäß Anspruchs 1 definierte Einrichtung und deren Funktion keineswegs für den Fachmann naheliegend.
Auf eine Frage des Vorsitzenden, ob die Beschwerdegegnerin diese, von ihr in diesem Falle verteidigte Auffassung, daß Programmlisten nicht als Entgegenhaltungen anzusehen seien, auch ganz allgemein verteidige, hat die Beschwerdegegnerin folgendes ausgeführt:
Für die Patentinhaber im allgemeinen könnte es nicht zufriedenstellend sein, zu wissen, daß ein eigenes Patent, das sich teilweise auf Programmschritte stütze, vielleicht schon von einem Konkurrenten offenkundig gemacht worden sei. Es könne doch nicht richtig sein, daß ein Patent auf etwas erteilt würde, was schon irgendwie ausgeübt worden sei. Solchen Patenten würde deshalb nicht ein solcher Wert zukommen wie nach dem EPÜ beabsichtigt sei.
Offenbar sei das EPA bei der Herausarbeitung der Richtlinien zum Schluß gekommen, daß seine Prüfer nicht mit der Prüfung von Programmen belastet werden dürften. Es sei natürlich auch verständlich, daß Recherche und Prüfung von Programmen zu Schwierigkeiten führen könnten. Es sei zwar verhältnismäßig einfach für eine technisch geschulte Person, sich in den höheren Programmiersprachen zu orientieren und diese auch zu verstehen, jedoch würde eine mehr maschinenorientierte Sprache, wie in diesem Fall Assembler, schon viel mehr fordern. Die Vertreter der Patentinhaberin hätten schon große Probleme gehabt, die Programmliste gemäß D1 zu interpretieren. Ganz unmöglich erscheine, daß die Prüfer des EPA bei der Recherche oder Prüfung eine reine Maschinensprache in Binärform dechiffrieren müßten.
IX. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
X. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent aufrechtzuerhalten auf der Grundlage des am 29. März 1993 eingereichten Anspruchs 1 und der Ansprüche 2 und 3 wie erteilt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Der Anspruch 1 ist, nach Hinweisen des Berichterstatters in der genannten Mitteilung, so geändert worden, daß das Patent zweifelsohne den Erfordernissen des Artikels 123 (2) entspricht, weil der Gegenstand des jetzigen Anspruchs deutlich aus der ursprünglichen Beschreibung (mit Figuren 1 und 2) hervorgeht.
Auch verbleibt die Änderung des Anspruchs 1 im Rahmen dessen, was durch Artikel 123 (3) EPÜ erlaubt ist.
Im ersten Teil des erteilten Anspruchs 1 wurde der Ausdruck "mit einer Rücksetzeinrichtung (5), die bei Störungen der Stromversorgung anspricht" durch den Ausdruck "mit einer Power-On-Reset-Schaltung (5)" ersetzt. Die Kammer hat in der genannten Mitteilung den Schluß gezogen, daß der Ausdruck "Störungen" im erteilten Anspruch als "Unterbrechungen" zu interpretieren sei. Der Oberbegriff des Anspruchs 1 des erteilten Patents ist nämlich von der EP-A-0 027 432 abgeleitet. Die Einrichtung gemäß dieser Druckschrift spricht bei Unterbrechungen - sowohl bei Störungen als auch bei gewollten Unterbrechungen (d. h. Abschalten/Einschalten) - an. In der Beschreibung des vorliegenden Patents (auch in den ursprünglichen Unterlagen) aber ist ausdrücklich nur angegeben, daß die Rücksetzeinrichtung (Power-On-Reset-Schaltung 5) beim Einschalten der Versorgungsspannung eine unbedingte Rücksetzung auslöst. Wenn der erteilte Anspruch 1 im Sinne des Artikels 69 (1) EPÜ interpretiert wird, zieht der Fachmann deshalb den Schluß, daß das Wort "Störungen" im Anspruch 1 als "Unterbrechungen" ausgelegt werden muß. Deshalb bedeutet die Änderung des Oberbegriffs des Anspruchs 1 nur eine Begrenzung des Schutzumfanges.
Auch stehen die im kennzeichnenden Teil durchgeführten Klarstellungen ("Rücksetzvorrichtung" wurde als "Power-On-Reset-Schaltung" und "eine weitere Überwachungseinrichtung" am Anfang des kennzeichnenden Teiles als "eine Überwachungseinrichtung" identifiziert) in Einklang mit Artikel 123 (3) EPÜ.
3.1 In der Beschreibungseinleitung des Streitpatents wird der Stand der Technik gemäß u. a. D4 und DE-A-2 903 638 angegeben. Diese Druckschriften beschreiben programmgesteuerte Vorrichtungen, welche Überwachungseinrichtungen aufweisen, die Störungen erkennen und dabei den momentanen Programmablauf stoppen, wobei eine Rücksetzung wieder auf den Programmbeginn erfolgt.
3.2 Aus der Beschreibung des Streitpatents ("Vorteile der Erfindung") geht ebenfalls hervor, daß die erfindungsgemäße Einrichtung der Überwachung von elektronischen Bausteinen, insbesondere Mikroprozessoren, dem genannten Stand der Technik gegenüber den Vorteil hat, daß eine einfache programmgesteuerte Entscheidung zu Beginn des der Rücksetzung folgenden Programmteiles eine Erkennung ermöglicht, ob die Rücksetzung unbedingt oder durch die Tätigkeit einer Überwachungseinrichtung bedingt ausgelöst wurde.
Da diese Entscheidung programmgesteuert durch den Mikroprozessor vorgenommen werde, sei es möglich, Änderungen bzw. weitere Entscheidungen in den Entscheidungsablauf zu implementieren. Das habe den Vorteil, den Wiederanlauf des Programms erheblich zu verkürzen, da eine vollständige Reinitialisierung der Register und ein Neuladen des Benutzerprogramms nicht mehr notwendig sei. Von weiterem Vorteil sei, daß eine Entscheidung keine besondere schaltungstechnische Ausarbeitung erfordere.
3.3 Nach Auffassung der Kammer bewegt sich die vermeintliche Erfindung, nach diesen Angaben beurteilt, somit auf einem Gebiet, das nicht auf Computerprogramme als solche im Sinne von Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ beschränkt ist, sondern sich vielmehr mit einer Art und Weise befaßt, wie mit fertigen Programmen, die an sich Programme als solche im obengenannten Sinne des Artikels 52 (2), (3) darstellen, weiter verfahren wird.
Sowohl dem Wortlaut des jetzt vorliegenden, neu eingereichten Anspruchs 1, der sich auf eine Einrichtung zur Überwachung von Rechenbausteinen richtet, als den oben genannten erzielten Vorteilen ist zu entnehmen, daß die beanspruchte Erfindung auf eine geeignete ProgHrammierung der im Anspruch genannten Einrichtung abstellt.
3.4 Der Kammer scheint es deshalb, daß bei denjenigen, die sich mit Erfindungen dieser Art beschäftigen, ein gewisses Mindestmaß an Programmierkenntnissen vorausgesetzt werden muß. Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, weil es darum geht, ein Programm ab einem ausgewählten Programmschritt wieder anlaufen zu lassen, um den Wiederanlauf zu verkürzen; und zwar aus klaren Gründen nicht nur für den Erfinder, sondern ebensogut für den Durchschnittsfachmann, der die Erfindung verstehen will bzw. können muß.
In diesem Zusammenhang ist auch zu bemerken, daß die meisten Patentanmeldungen abgesehen von der benutzten gemeinverständlichen "Menschensprache" außerdem eine Fülle an Symbolen und Fachausdrücken enthalten, die für einen "Durchschnittsleser mit guten Kenntnissen der Verfahrenssprache" unverständlich sind, obwohl sie von einem Fachmann auf dem betreffenden Gebiet verstanden werden. Es kann und muß daher davon ausgegangen werden, daß die Patentanmeldung sich an den Fachmann richtet.
Es wird aber auch Anmeldungsunterlagen geben, die der Fachmann auf dem betreffenden Gebiet nicht ohne weitere Erläuterungen zu verstehen vermag, sondern dazu selbst zusätzliche Kenntnisse einholen oder einen anderen Fachmann (eines Nachbargebiets) um Rat fragen muß.
3.5 Diese Überlegungen führen die Kammer zu der Auffassung, daß im vorliegenden Fall als der hier maßgebliche Fachmann ein Elektroniker besonderer Art, nämlich mit ausreichenden Programmierkenntnissen, oder ein Team von Elektronikern ohne und Programmierern mit Programmierkenntnissen angesehen werden muß.
4. Im Zusammenhang mit Artikel 52 (2) EPÜ werden als von der Patentierbarkeit ausgeschlossene Gebiete meistens nicht-technische Gebiete gemeint. Dies gilt aber nicht für Computerprogramme als solche, denn die sind auch dann ausgeschlossen, wenn deren "Inhalt" technischer Art ist.
Jedoch ist es seit langem ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, daß Programmschritte, wenn in der Verfahrenssprache, also in einer normalen menschlichen, allgemeinverständlichen Sprache wiedergegeben, auch in den Ansprüchen enthalten sein dürfen.
Entscheidend ist im Hinblick auf Artikel 52 (2) c), (3) EPÜ in solchen Fällen nur, daß der Gegenstand des Anspruchs als Ganzes einen Beitrag zum Stand der Technik auf einem vom Patentschutz nicht ausgeschlossenen Gebiet leistet (vgl. T 38/86, ABl. EPA 1990, 384, Leitsatz II).
Auch Programmschritte können, selbst wenn sie an sich betrachtet in dem genannten ausgeschlossenen Gebiet liegen, zusammen mit den anderen Merkmalen des Anspruchs trotzdem zu einem technischen Effekt des ganzen Gegenstandes führen und, ebenso wie die normalen technischen Merkmale, die Patentierbarkeit beeinflussen.
5.1 Im vorliegenden Fall scheint es der Kammer, daß beim Anspruchsgegenstand ein Vergleichsprogramm im Sinne eines Programms für Datenverarbeitungsanlagen gemäß Artikel 52 (2) EPÜ gleichermaßen wie die in der Beschreibung der Patentschrift - Spalte 3, zweiter Absatz - als Alternative genannten schaltungstechnischen Maßnahmen zu einem deutlichen technischen Charakter des Gegenstands beiträgt, weil der im Anspruch genannte Vergleich (also auch wenn mit Hilfe eines Computerprogramms ausgeführt) einen technischen Effekt ermöglicht, der darin besteht, daß die Arbeitszeit des Rechenbausteins erheblich verkürzt und damit die Effektivität der Einrichtung zweifelsohne verbessert wird.
Besagtes Vergleichs-(Computer)-Programm wäre somit als technisches Mittel zur Durchführung der Erfindung anzusehen (vgl. Vicom T 208/84, ABl. EPA 1987, 14).
5.2 Demgemäß kommt die Kammer zu dem Schluß, daß die Erfindung wie in dem neu eingereichten Anspruch 1 und in den Ansprüchen 2 und 3 wie erteilt beansprucht, in Verbindung mit der Beschreibung und den Zeichnungen der Patentschrift wie erteilt und unter Berücksichtigung des dort zitierten Standes der Technik (eine an den neuen Anspruch angepaßte Beschreibung liegt nicht vor), nicht durch Artikel 52 (2), (3) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist.
5.3 Hierzu sei noch bemerkt, daß die die genannten Vorteile versprechende Erfindung gemäß dem Wortlaut des vorliegenden, neu eingereichten Anspruchs 1 eine Einrichtung zur Überwachung von Rechenbausteinen betrifft mit dem wesentlichen Merkmal "daß die Signale der Power-On-Reset-Schaltung (5) und der Überwachungseinrichtung (2) einem einzigen Eingang (12) des Rechenbausteins (1) zugeführt sind".
Ohne dieses Merkmal, das zweifelsohne als von technischer Art anzusehen ist, wäre die vermeintliche Erfindung sinnlos; gerade dieses Merkmal hat die Erfindung ausgelöst.
Dieses Merkmal könnte den technischen Charakter der beanspruchten Erfindung entweder zusätzlich oder unter Umständen sogar schon für sich allein begründen.
5.4 Obwohl weder die Parteien noch die Einspruchsabteilung die Problematik bezüglich Artikel 52 (2) im vorliegenden Fall aufgegriffen haben, hielt die Kammer es hier für angebracht, sich trotzdem damit zu befassen, weil sie einen Zusammenhang mit den übrigen in diesem Fall zu entscheidenden Fragen sehen zu müssen glaubt, indem Programmschritte unter Umständen, wenn in normaler Sprache abgefaßt, in den Ansprüchen zuzulassen sind.
Die Tatsache, daß erstinstanzlich keine Einwände unter Artikel 52 (2) erhoben wurden, deutet darauf hin, daß bei den Parteien und auch bei der Einspruchsabteilung offenbar keine Zweifel an der Patentierbarkeit des beanspruchten Gegenstands bezüglich Artikel 52 (2) bestehen.
Wie im Vorhergehenden dargelegt, teilt die Kammer diese Auffassung, insoweit sie den jetzigen Verfahrensstand betrifft.
6. Da in Anhang J der D1 das Programm nicht in normaler Sprache erläutert werde, ist die Einspruchsabteilung der Meinung, daß ein Zusammenhang zwischen Anhang J und den Abschnitten 1, 3 und 5 von D1 für einen Fachmann nicht eindeutig zu erkennen sei.
Die Kammer ist aber der Meinung, daß die in den Abschnitten 1 und 3 des Dokuments D1 vorkommenden Begriffe und Erklärungen (z. B. Seiten 1 bis 5, "Monitorprogramm-Befehle" und Seite 3 bis 5, Paragraph 3.2.6, "Reset - Eingabe und Initialisierung des Monitorprogrammes") den Durchschnitts-"Elektroniker", der normalerweise keine ausgeprägten Programmierkenntnisse hat, darauf hinweisen, daß mehr über die Funktionsweise der dort beschriebenen Vorrichtung in der "Monitor-Listing" des Anhangs J zu finden sein wird.
Bei Betrachtung des Anhangs J wird er dann feststellen, daß dort in Klartext Ausdrücke gegeben werden, wie z. B. "IF IT HAS THEN ASSUME A COLD RESET" (Schritt 0383) "THEY ARE EQUAL - IT'S A WARM RESET" (Schritt 0388).
Aus diesen Schlüsselwörtern wird er ohne weiteres schließen, daß die Programmliste Befehle enthält, die Maßnahmen zum Erkennen von unterschiedlichen Rücksetzvorgängen betreffen, und nähere Angaben über die Ausführungen der Reset-Funktionen enthalten muß.
Bei dieser Sachlage würde sich der genannte Elektroniker zweifelsohne umgehend an einen Programmierexperten wenden - unabhängig davon, ob dieser als Fachmann im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des EPA anzusehen wäre oder nicht -, um mehr über die Einzelheiten dieses Systems herauszufinden.
Weder im Einspruchsverfahren noch im Beschwerdeverfahren sind Zweifel an der öffentlichen oder rechtzeitigen Zugänglichkeit von D1 einschließlich Anhang J zum Ausdruck gebracht worden. Auch die Kammer sieht keine Gründe, an dieser Zugänglichkeit zu zweifeln.
7. Sowohl die Einspruchsabteilung als auch die Beschwerdegegnerin haben sich auf die Richtlinien, Teil C, Kapitel II, Unterabschnitt 4.14.a bezogen, wobei in Abschnitt 4 dieses Kapitels die Beschreibung der europäischen Patentanmeldung abgehandelt wird. Im genannten Unterabschnitt wird u. a. gesagt:
"Die Beschreibung ist ebenso wie auf anderen technischen Gebieten im wesentlichen in normaler Sprache, gegebenenfalls ergänzt durch Flußdiagramme oder andere Verständnishilfen, abzufassen, so daß die Erfindung für Fachleute, die nicht als Programmierexperten anzusehen sind, verständlich ist".
Die Einspruchsabteilung hat diesen Satz so interpretiert, daß der einschlägige Fachmann nicht programmieren könne.
Die Mitglieder der Kammer sind gemäß Artikel 23 (3) EPÜ für ihre Entscheidungen an Weisungen nicht gebunden und nur dem Übereinkommen unterworfen. Die Beschwerdekammern des EPA sind somit an sich nicht an die Richtlinien für die Prüfung gebunden, die als Weisungen des Präsidenten des EPA aufzufassen sind. Die Kammer ist aber der Auffassung, daß die genannte Textstelle anders als von der Einspruchsabteilung auszulegen ist. Zunächst stellt sie klar, daß die Beschreibung für eine Personengruppe verständlich gemacht werden sollte, d. h. nicht nur für einen einzelnen Fachmann (im Text ist "Fachleute" angegeben), sondern für ein Produktionsteam, das sich mit dem zu lösenden datenverarbeitungsorientierten Problem beschäftigt. In den Richtlinien, Teil C, Kapitel IV, Unterabschnitt 9.6, wo auf T 32/81 (ABl. EPA 1982, 225) Bezug genommen wird, ist nämlich angegeben, daß es Fälle geben könnte, in denen es zweckmäßig ist, eher an Personengruppen statt an eine einzelne Person als Fachmann zu denken, "dies könnte beispielsweise für gewisse fortgeschrittene Techniken, wie Datenverarbeitungs- ... Verfahren ...zutreffen". Mit einer solchen Interpretation wird auch der letzte Satz des Unterabschnittes 4.14a verständlich, der auf den oben zitierten Satz folgt und wie folgt lautet:
"Kurze Auszüge aus Programmen in üblichen Programmiersprachen können zugelassen werden, wenn sie der Verdeutlichung eines Ausführungsbeispiels dienen."
Hier (im genannten Unterabschnitt 4.14a) wird offenbar, wie die Kammer meint, an eine Gruppe von Personen gedacht, welche auch Programmierexperten umfassen könnte. Würden nämlich keine Personen in der Gruppe Programmierkenntnisse haben (oder wenn ein einziger Fachmann, der an dem Problem arbeitet, keine solchen Kenntnisse hätte), könnte wohl eine Verdeutlichung eines Ausführungsbeispiels nicht damit erreicht werden, daß Auszüge aus Programmen in üblichen Programmiersprachen in die Beschreibung eingeführt werden.
Der Kammer scheint es deshalb, daß die Richtlinien der unter Punkt 3 oben ausgedrückten Auffassung der Kammer nicht widersprechen. Wenn im gegebenen Falle nicht ein Fachmann mit ausreichenden Programmierkentnissen vorausgesetzt werden kann, muß offenbar angenommen werden, daß ein ganzes Produktionsteam sich mit der Lösung der Aufgabe zu befassen hätte. Die Kammer kann weder im EPÜ noch in der ständigen Rechtsprechung der Kammern (siehe z. B. T 60/89, ABl. EPA 1992, 268) Hinweise finden, die zeigen würden, daß diese Betrachtungsweise der Kammer nicht korrekt wäre.
8.1 Die Beschwerdegegnerin hat in der mündlichen Verhandlung die Meinung vertreten (siehe unter VIII oben), daß das EPA bei der Ausarbeitung der Richtlinien vermeiden wollte, daß die Prüfer mit der Recherche und Prüfung von Programmen belastet würden. Diese Auffassung scheint der Kammer, jedenfalls teilweise, richtig zu sein, da gemäß den Richtlinien, wie oben gezeigt, die Programmiersprache in der Anmeldung tunlichst nicht verwendet werden sollte.
8.2 Jedoch ist in dieser Frage schließlich entscheidend, wie das EPÜ zu interpretieren ist (vgl. unter 7). Weil das Übereinkommen selbst in dieser Hinsicht wenig Anhaltspunkte bietet, scheint es der Kammer angebracht, zu untersuchen, wie im PCT (Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens) diese Frage behandelt wird. Das EPÜ ist mit dem PCT eng verknüpft und wurde schon während seiner Ausarbeitung mit dem PCT harmonisiert. Auch ist das EPA als PCT-Behörde tätig und führt sowohl die internationale Recherche als auch die vorläufige internationale Prüfung durch. Die Artikel 150 bis 158 EPÜ beziehen sich sogar auf die internationale Anmeldung nach dem PCT. Dabei ist besonders zu bemerken, daß in Artikel 150 (2) EPÜ angegeben ist: "Stehen die Vorschriften dieses Übereinkommens denen des Zusammenarbeitsvertrags entgegen, so sind die Vorschriften des Zusammenarbeitsvertrags maßgebend". Daraus folgt, daß das EPA, wenn es als PCT-Behörde tätig ist, die Vorschriften des PCT zu befolgen hat.
8.3 In der Ausführungsordnung zum PCT wird in der Tat die Recherche und Prüfung von Programmen von Datenverarbeitungsanlagen angeschnitten. Regel 39 lautet (bezüglich des Anmeldungsgegenstandes nach Artikel 17 PCT Absatz 2 Buchstabe a Ziffer i) wie folgt:
"39.1 Begriffsbestimmung
Die internationale Recherchenbehörde ist nicht verpflichtet, eine internationale Recherche für eine internationale Anmeldung durchzuführen, wenn und soweit der Anmeldungsgegenstand folgende Gebiete betrifft:
.
.
vi) Programme von Datenverarbeitungsanlagen insoweit, als die Internationale Recherchenbehörde nicht dafür ausgerüstet ist, für solche Programme eine Recherche über den Stand der Technik durchzuführen."
In ähnlicher Weise wird in Regel 67 PCT angegeben, daß die mit der internationalen vorläufigen Prüfung beauftragte Behörde nicht verpflichtet ist, die Prüfung durchzuführen, wenn der Anmeldungsgegenstand Programme betrifft und die Behörde dafür nicht ausgerüstet ist.
Die Kammer versteht somit diese Regeln in der Weise, daß die genannten Behörden nicht verpflichtet sind, eine Recherche oder vorläufige Prüfung mit Bezug auf Programme durchzuführen, wenn sie z. B. keine Prüfer besitzen, die dafür ausgebildet sind, oder wenn die Behörden nicht mit geeignetem Recherchenmaterial ausgerüstet sind.
Diesen Regeln ist aber nicht zu entnehmen, daß eine Recherche oder Prüfung auf dem Software-Gebiet bei den internationalen Behörden ausgeschlossen sein soll. Im Gegenteil scheint es der Kammer, daß gemäß dem PCT eine solche Recherche und ggf. eine solche Prüfung sehr wohl durchgeführt werden kann und darf (vielleicht sogar soll), wenn die zuständige Behörde dafür ausgerüstet ist.
8.4 Die genannten Regeln handeln nur von der internationalen Recherche und der internationalen vorläufigen Prüfung und daher nicht von der regionalen europäischen Recherche oder Prüfung. Im vorliegenden Falle entstammt die europäische Anmeldung aus einer PCT-Anmeldung, bei der das EPA als internationale Recherchenbehörde tätig war. Obwohl dem EPA erst im Einspruchsverfahren, d. h. in der regionalen Phase, eine Entgegenhaltung bekannt wurde, deren Lehre sich auf dem Gebiet der Programme bewegt, zieht die Kammer somit den Schluß, daß das EPA die in Frage stehende Druckschrift (Anhang J der D1), die von der Beschwerdeführerin auch in normale Sprache übersetzt wurde, nicht als Entgegenhaltung verwerfen kann.
Wäre nämlich die Entgegenhaltung schon während der Recherche ermittelt worden, hätte das EPA (als PCT-Behörde) offenbar nicht von ihrer Berücksichtigung absehen können. Daraus scheint aber zu folgen, daß diese Entgegenhaltung auch später im Verfahren vor dem EPA akzeptiert werden muß, weil nirgendwo im EPÜ angedeutet ist, daß eine gewisse Art von Entgegenhaltungen ab einer gewissen Verfahrensstufe der Erstinstanz nicht mehr berücksichtigt werden dürfte.
8.5 Wenn dem Europäischen Patentamt, bei einer Recherche oder Prüfung, eine Entgegenhaltung, die teilweise in einer Programmiersprache abgefaßt ist, vorliegt, und das Amt für eine solche Recherche oder Prüfung ausgerüstet ist, kann sich der PCT nach Ansicht der Kammer nicht in der Weise auf die Tätigkeit des Amts auswirken, daß diese Entgegenhaltung nicht berücksichtigt werden dürfte.
9. Die Kammer zieht deshalb den Schluß, daß die Entgegenhaltung D1 zusammen mit Anhang J bei der Beurteilung der Patentfähigkeit des Patentgegenstandes berücksichtigt werden muß.
10. Die Kammer ist weiter der Meinung, daß die Beschwerdeführerin die Funktion der Vorrichtung gemäß D1, wie sie aus Anhang J zu entnehmen ist, korrekt wiedergegeben hat (vgl. unter VII oben). Auch hat die Beschwerdegegnerin diese Wiedergabe nicht bestritten. Die Kammer kann deshalb nur den vorläufigen Schluß ziehen, daß D1 relevant ist, d. h. so relevant, daß der darin angegebene Stand der Technik die erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 in Frage stellen könnte.
Eine abschließende Prüfung der Bedeutung dieser Entgegenhaltung für die erfinderische Tätigkeit durch die Kammer hätte aber einen Instanzenverlust zur Folge. In Ausübung ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ verweist sie deshalb die Sache zur weiteren Prüfung (unter Berücksichtigung des Artikels 111 (2) EPÜ) an die Einspruchsabteilung zurück.
Die Beschwerdeführerin hat die Einwände basierend auf den noch im Einspruchsverfahren genannten Entgegenhaltungen D2, D3 und D5 nicht zurückgezogen, hat aber in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß D1 im Vergleich zu den anderen Entgegenhaltungen die weitaus größte Relevanz besitzen dürfte (vgl. unter VII). Es ist auch zu bemerken, daß die behauptete offenkundige Vorbenutzung gemäß D5, die nach Ansicht der Einspruchsabteilung nicht bewiesen wurde (Punkt 19 in der Entscheidung), im Beschwerdeverfahren von der Beschwerdeführerin überhaupt nicht diskutiert wurde.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur Fortsetzung des Verfahrens an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.