9.2. Der Aufgabe-Lösungs-Ansatz bei Mischerfindungen
Der Comvik-Ansatz geht auf die Entscheidung T 641/00 (ABl. 2003, 352) zurück. Der bis dahin gebräuchliche so genannte "Beitragsansatz" wurde dadurch ersetzt (zum Beitragsansatz siehe insbesondere T 121/85; T 38/86, ABl. 1990, 384; T 95/86; T 603/89, ABl. 1992, 230; T 71/91; T 236/91; T 833/91; T 77/92). Bereits in T 1173/97 wurde der Beitragsansatz aufgegeben (ABl. 1999, 609, Nr. 8 der Gründe; s. auch G 3/08 date: 2010-05-12, ABl. 2011, 10, Nr. 10.6 der Gründe), indem festgestellt wurde, dass Merkmale, die bereits aus dem Stand der Technik bekannt sind, die Grundlage für die Feststellung bilden können, dass die Voraussetzungen des Art. 52 (2) und (3) EPÜ erfüllt sind. Beim Comvik-Ansatz (T 641/00) handelt es sich um eine herkömmliche Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes, bei der die Unterschiede zum nächstliegenden Stand der Technik ermittelt werden und nur diejenigen Unterschiede, die zum technischen Charakter beitragen, im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit berücksichtigt werden.
Die Kammer stellte in T 641/00 fest, dass erfinderische Tätigkeit nur einer Erfindung zugesprochen werden kann, die einen technischen Beitrag zum Stand der Technik leistet (s. unter anderem T 38/86, ABl. 1990, 384; T 1173/97; T 1784/06, T 258/03 ABl. 2004, 575), d. h. einen Beitrag auf einem technischen Gebiet. In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern hat sich außerdem die Auffassung herausgebildet, dass die in Art. 52 (2) und (3) EPÜ 1973 genannten Beispiele für von der Patentierbarkeit ausgeschlossene Gebiete betreffen.
In T 258/03 (ABl. 2004, 575) stellte die Kammer fest, dass ein zwingender Grund dafür, einen technische und nichttechnische Merkmale aufweisenden Gegenstand nicht nach Art. 52 (2) EPÜ 1973 zurückzuweisen, ganz einfach darin besteht, dass sich herausstellen könnte, dass die technischen Merkmale selbst allen Erfordernissen desArt. 52 (1) EPÜ 1973 genügen. Es ist oft schwer, einen Anspruch in technische und nichttechnische Merkmale zu unterteilen, und eine Erfindung kann technische Aspekte aufweisen, die in einem weitgehend nichttechnischen Kontext verborgen sind. Solche technischen Aspekte sind im Rahmen der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit unter Umständen leichter auszumachen, die nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern den technischen Aspekten einer Erfindung gilt. So kann es neben dem restriktiven Wortlaut des Art. 52 (3) EPÜ 1973, mit dem der Anwendungsbereich des Art. 52 (2) EPÜ 1973 eingeschränkt wird, praktische Gründe dafür geben, Mischungen aus technischen und nichttechnischen Merkmalen generell als Erfindungen im Sinne des Art. 52 (1) EPÜ 1973 anzusehen.
In T 531/03 erklärte die Kammer, dass ein Versuch, bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit den Beitrag nichttechnischer und technischer Aspekte gleichberechtigt zu berücksichtigen, nicht mit dem Übereinkommen in Einklang stünde, weil das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit bei einem solchen Ansatz auf Merkmale zurückgeführt würde, die nach der Definition im Übereinkommen keine Erfindung sind.
In T 912/05 schloss sich die Kammer zwar T 641/00 (ABl. 2003, 352) und T 258/03 (ABl. 2004, 575) an, hielt es aber im vorliegenden Fall nicht für notwendig, zwischen hauptsächlich geschäftsbezogenen und somit für die Lösung einer technischen Aufgabe irrelevanten Merkmalen und solchen zu unterscheiden, die als im Wesentlichen technische Merkmale bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden sollten. Sie kam zu dem Schluss, dass der erfinderische Charakter eines geschäftsbezogenen Verfahrens auch ohne eine vorherige klare Trennung zwischen geschäftsbezogenen und technischen Merkmalen beurteilt werden könne.
In T 1462/11 befand die Kammer, dass – wie seit T 641/00 gilt – nichttechnische Elemente nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen und daher bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe aufgegriffen werden dürfen. Wenn die wesentliche Idee der Erfindung auf einem nichttechnischen Gebiet liegt (üblicherweise einem Gebiet, das gemäß Art. 52 (2) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen ist), dann nimmt die objektive technische Aufgabe oft die Form eines Katalogs von Anforderungen an, die jede Implementierung erfüllen muss.
In T 1784/06 stellte die Kammer fest, dass bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nach Art. 56 EPÜ nach ständiger Praxis auf Art. 52 EPÜ verwiesen wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Beurteilung beider Erfordernisse "vermischt" wird. Auch in T 1461/12 hielt die Kammer fest, dass der Comvik-Ansatz keine unzulässige Vermischung der Erfordernisse der Art. 52 und 56 EPÜ sei, deren Erfordernisse nach wie vor getrennt geprüft würden. Erfinderische Tätigkeit erfordert jedoch einen technischen Beitrag zum Stand der Technik (s. unter anderem T 38/86, ABl. 1990, 384; T 1173/97; T 1784/06), d. h. einen Beitrag auf einem technischen Gebiet.
- T 1594/20
Zusammenfassung
In T 1594/20 bezweifelte die Kammer, dass überhaupt eine Simulation eines technischen Gegenstands vorlag. Eine mathematisch rechnerische Optimierung bewirke nicht zwangsläufig auch eine Simulation des zugrunde liegenden physikalischen Vorgangs (hier Warentransport), sondern es seien vom hier vorliegenden Anspruchsgegenstand auch rein deterministische mathematische Optimierungen umfasst. Die optimierte Aufteilung eines Kommissionierauftrags nach rein kaufmännischen Kostenbetrachtungen (z.B. break-even-point) sei ebenso umfasst wie mathematische Optimierungsalgorithmen analog zum bekannten travelling-salesman-problem. Dabei werden kognitive geschäftsbezogene Daten verarbeitet und es liegen keine technischen Überlegungen zugrunde, die zu einer erfinderischen Tätigkeit nach Art. 56 EPÜ beitragen könnten.
Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass mit dem beanspruchten Gegenstand eine Reduktion der Anzahl von Fahrten erreicht werde und damit eine Energieeinsparung verbunden sei. Die Kammer war davon nicht überzeugt. Eine geltend gemachte Energieeinsparung sei rein spekulativ und könne nicht ohne weiteres zur Annahme eines technischen Effekts führen. Dazu wäre erforderlich, dass ein solcher Effekt mit technischen Mitteln erreicht werde. Beim beanspruchten Gegenstand wäre eine Energieeinsparung (sofern tatsächlich erzielt) aber Folge einer rein organisatorischen oder algorithmischen Optimierung, die im Wesentlichen auf einer gedanklichen Tätigkeit basiere. Daraus könne kein technischer Effekt zur Berücksichtigung einer erfinderischen Tätigkeit abgeleitet werden. Die Kammer stimmte daher der angefochtenen Entscheidung zu, dass die objektive technische Aufgabe darin bestand, das mathematische Verfahren zur Warenkommissionierung, welches vom Geschäftsmann der Logistik als Spezifikation vorgegeben wurde, auf einem Computersystem zu implementieren. Bei der Implementierung sah die Kammer keinen technischen Effekt, welcher über die reine Automatisierung hinausging.