BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer
Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer vom 12. Mai 2010 - G 3/08
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender:
P. Messerli
Mitglieder:
M. J. Vogel, D. Rees, M. Dorn, A. Klein, U. Scharen, J.-P. Seitz
Stichwort:
Computerprogramme
Relevante Rechtsnormen:
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
Art. 31
EPÜ (1973)
EPÜ (2000)
Art. 4 (2), (3), 10 ff., 15, 21 - 23, 24 (4), 31, 52, 56, 112 (1), 112a, 123 (3), 177 (1)
VOGBK
Art. 4 (1), 10
VOBK
Art. 20 (1)
Leitsätze:
I. Bei der Ausübung des Vorlagerechts kann sich der Präsident des EPA auf das ihm mit Artikel 112 (1) b) EPÜ eingeräumte Ermessen berufen, auch wenn sich seine Einschätzung der Notwendigkeit einer Vorlage nach relativ kurzer Zeit gewandelt hat.
II. Abweichende Entscheidungen, die ein und dieselbe Technische Beschwerdekammer in wechselnder Besetzung erlassen hat, können Anlass für eine zulässige Vorlage des Präsidenten des EPA sein, der die Große Beschwerdekammer nach Artikel 112 (1) b) EPÜ mit einer Rechtsfrage befasst.
III. Da der Wortlaut des Artikels 112 (1) b) EPÜ hinsichtlich der Bedeutung von "different decisions/voneinander abweichende Entscheidungen/décisions divergentes" nicht eindeutig ist, muss er nach Artikel 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜRV) im Lichte seines Zieles und Zweckes ausgelegt werden. Zweck des Vorlagerechts nach Artikel 112 (1) b) EPÜ ist es, innerhalb des europäischen Patentsystems Rechtseinheit herzustellen. In Anbetracht dieses Zwecks der Vorlagebefugnis des Präsidenten ist der englische Begriff "different decisions" restriktiv im Sinne von "divergierende Entscheidungen" zu verstehen.
IV. Der Begriff der Rechtsfortbildung ist ein weiterer Aspekt, den es bei der Auslegung des Begriffs der "voneinander abweichenden Entscheidungen" in Artikel 112 (1) b) EPÜ sorgfältig zu prüfen gilt. Rechtsfortbildung ist eine unverzichtbare Aufgabe der Rechtsanwendung, gleich, welcher Auslegungsmethode man sich bedient, und deshalb jeder richterlichen Tätigkeit immanent. Rechtsfortbildung als solche darf deshalb noch nicht zum Anlass einer Vorlage genommen werden, eben weil auf juristischem und/oder technischem Neuland die Entwicklung der Rechtsprechung nicht immer geradlinig verläuft und frühere Ansätze verworfen oder modifiziert werden.
V. Rechtsprechung wird nicht vom Ergebnis, sondern von der Begründung geprägt. Die Große Beschwerdekammer kann daher bei der Prüfung, ob zwei Entscheidungen die Erfordernisse des Artikels 112 (1) b) EPÜ erfüllen, auch obiter dicta berücksichtigen.
VI. T 424/03, Microsoft weicht in der Frage, ob ein Anspruch für ein Programm auf einem computerlesbaren Medium zwingend unter das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) EPÜ fällt, von einer in T 1173/97, IBM zum Ausdruck gebrachten Auffassung ab. Dies beruht jedoch auf einer legitimen Weiterentwicklung der Rechtsprechung und begründet keine Abweichung, die eine präsidiale Vorlage an die Große Beschwerdekammer rechtfertigen würde.
VII. Die Große Beschwerdekammer kann in den Gründen der Entscheidungen, die nach der präsidialen Vorlage voneinander abweichen sollen, keine anderen Abweichungen erkennen. Die Vorlage ist daher nach Artikel 112 (1) b) EPÜ unzulässig.
Zusammenfassung des Verfahrens
I. Die Präsidentin des EPA hat mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2008 der Großen Beschwerdekammer nach Artikel 112 (1) b) EPÜ mehrere Fragen zum patentrechtlichen Schutz von Computerprogrammen (Computer-Implemented Inventions (CII)) vorgelegt, die sie von den Beschwerdekammern abweichend voneinander beantwortet sah und denen sie grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Artikels 112 (1) EPÜ beimaß. Der Vorlage vorausgegangen war ein formloses Schreiben ihres Vorgängers, Alain Pompidou, vom 22. Februar 2007, in dem dieser eine Anregung des englischen Lord Justice Jacob in der Aerotel/Macrossan-Entscheidung vom 27. Oktober 2006 ([2006] EWCA Civ 1371), die Große Beschwerdekammer mit der Frage der patentrechtlichen Schutzfähigkeit von Computerprogrammen zu befassen, als nicht erforderlich zurückwies.
II. Stellungnahmen Dritter (Amicus-curiae-Schriftsätze)
II.1 Die Große Beschwerdekammer hat gemäß Artikel 10 ihrer Verfahrensordnung die Öffentlichkeit eingeladen, zur Vorlage der Präsidentin Stellung zu nehmen (ABl. EPA 2009, 32). Daraufhin sind rund 100 Amicus-curiae-Schriftsätze eingegangen, die auf der Website des EPA unter der Rubrik der Großen Beschwerdekammer eingesehen werden können. Diese lassen sich wie folgt aufschlüsseln:
- 30 stammten von Rechts- und Patentanwälten bzw. Kanzleizusammenschlüssen, 15 davon waren individuelle Beiträge;
- 54 kamen von Unternehmen, Industrieverbänden und anderen Interessengruppen; 17 davon hatten offensichtlich Verbindungen zu Free and Open Source Software (FOSS), und weitere 9 bezeichneten sich als Einzelentwickler (Letztere gaben Stellungnahmen ab, die denen der FOSS-Anhänger so ähnlich waren, dass sie im Folgenden mit den FOSS-Stellungnahmen zusammengefasst werden);
- 6 kamen aus der Wissenschaft
- 2 stammten von Patentämtern;
- 9 stammten aus anderen Quellen, 6 davon von Einzelpersonen.
II.2 Die Frage der Zulässigkeit der Vorlage wurde in rund einem Viertel der Eingaben aufgeworfen, vor allem von Anwälten und aus Kreisen der Industrie, die keine FOSS-Anhänger sind. Die große Mehrheit äußerte Zweifel an der Zulässigkeit oder hielt die Vorlage für eindeutig nicht zulässig.
Drei Viertel der Eingaben enthielten Antworten auf einige oder alle Einzelfragen der Vorlage. Häufig, wenn nicht gar meistens lagen diese Antworten allerdings in Form von Kommentaren oder Bemerkungen vor und nicht als klares Ja oder Nein. Aus diesem Grund verzichtet die Große Beschwerdekammer auf eine statistische Analyse der Antworten.
In rund einem Drittel aller Eingaben wurde die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA analysiert. Die übrigen enthielten überwiegend entweder Analysen der nationalen (auch US-amerikanischen) Rechtsprechung, Meinungsäußerungen dazu, wie das EPÜ ausgelegt werden sollte, oder allgemeine Feststellungen auf der Grundlage politischer Überlegungen.
II.3 Vielfach wurde die Gelegenheit ergriffen, sich dazu zu äußern, ob "Software-Patente" etwas Gutes oder etwas Schlechtes seien. Ungefähr ein Drittel, darunter alle mit FOSS sympathisierenden Unternehmen und Gruppierungen sowie Einzelentwickler, fanden, dass die Erteilungspraxis (generell sehr viel) restriktiver sein sollte als gegenwärtig, rund 30 % schienen im Großen und Ganzen für die Beibehaltung der bestehenden Erteilungsbedingungen zu plädieren und etwa 10 % sprachen sich für eine breitere Patentierbarkeit aus. Circa 30 % der Eingaben enthielten Kommentare, in denen die gegenwärtige allgemeine Rechtsprechung der Beschwerdekammern im Hinblick auf computerimplementierte Erfindungen implizit oder explizit befürwortet wurde. Es mag überraschen, dass diese 30 % nur in sehr geringem Maße mit den Eingaben korrelieren, die die Vorlage für unzulässig halten.
II.4 In einem der Amicus-curiae-Schriftsätze wurde behauptet, dass die Große Beschwerdekammer und speziell eines ihrer Mitglieder nicht unbefangen seien. Die Kammer wandte Artikel 4 (1) der Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer und Artikel 24 (4) EPÜ an. In einer Zusammensetzung ohne das betroffene Mitglied beriet die Große Beschwerdekammer und erließ eine vom 16. Oktober 2009 datierte Zwischenentscheidung, der zufolge die ursprüngliche Besetzung unverändert zu bleiben hatte.
Begründung der Stellungnahme
Zulässigkeit der Vorlage
1. Nach Artikel 112 (1) b) EPÜ kann der Präsident des EPA zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, die Große Beschwerdekammer anrufen, wenn zwei Beschwerdekammern über diese Frage voneinander abweichende Entscheidungen getroffen haben.
2. Der vorliegende Sachverhalt wirft zunächst die Frage auf, ob die Vorlage der Präsidentin möglicherweise deshalb unzulässig ist, weil nur ein Jahr zuvor ihr Vorgänger es in seinem Schreiben vom 22. Februar 2007 an Lord Justice Jacob abgelehnt hatte, die Große Beschwerdekammer mit Fragen des Patentschutzes von CII zu befassen. Mit anderen Worten: Ist das Vorlagerecht des Präsidenten zu diesem Fragenkomplex unter Umständen verbraucht, wenn in der Zwischenzeit keine neuen Entscheidungen ergangen sind, die die aufgeworfenen Rechtsfragen in einem anderen Licht erscheinen lassen?
Bei der Ausübung des Vorlagerechts kann sich der Präsident jedoch auf das ihm mit Artikel 112 (1) b) EPÜ eingeräumte Ermessen berufen. Dabei kann es sein, dass er die Notwendigkeit einer Vorlage bereits nach relativ kurzer Zeit anders einschätzt, etwa weil sich seine Beurteilung der Rechtsprechung der Beschwerdekammern geändert hat und sich deshalb für ihn die Auswirkungen einer wahrgenommenen Abweichung auf die Praxis des Amts als bedeutungsvoller erweisen als ursprünglich angenommen. Denkbar ist auch, dass - wie vorliegend - die Präsidentschaft gewechselt hat und der neue Präsident die Angelegenheit anders bewertet als sein Vorgänger. Das Vorlagerecht kann daher in dieser Sache nicht als verbraucht angesehen werden.
3. Somit hat die Große Beschwerdekammer zu prüfen, ob die mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2008 gestellten Fragen nach Artikel 112 (1) b) EPÜ zulässigerweise vorgelegt worden sind, weil
i) sie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung einer Antwort bedürfen oder es sich bei ihnen um Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung handelt
und
ii) zwei Beschwerdekammern über die vorgelegten Fragen voneinander abweichende Entscheidungen getroffen haben.
4. Hinsichtlich der ersten Zulässigkeitsvoraussetzung, die bei jeder Vorlage gegeben sein muss, gleich, ob sie nach Artikel 112 (1) a) EPÜ von einer Beschwerdekammer oder nach Artikel 112 (1) b) EPÜ vom Präsidenten des EPA ausgeht, macht die Präsidentin geltend, die Vorlage betreffe den Patentierungsausschluss von Computerprogrammen als solchen und sei daher von grundlegender Bedeutung.
4.1 Der Patentschutz von Computerprogrammen wird bekanntlich seit Langem in der behördlichen und gerichtlichen Praxis sowie in der Literatur der Länder mit entwickelten Patentsystemen, insbesondere im territorialen Geltungsbereich des EPÜ, kontrovers diskutiert. In diesen Ländern, die einzelstaatlich, wenn auch auf europäischer Basis weitgehend harmonisiert regeln, welche Gegenstände patentierbar sind, hat diese Problematik zwar weniger zu unterschiedlichen Ergebnissen, wohl aber zu bisweilen unterschiedlichen Begründungen geführt. Ferner hat es vor wenigen Jahren den - letztlich gescheiterten - Versuch des Europäischen Parlaments und des Rates gegeben, das Recht der Patentierbarkeit von CII innerhalb der EU durch eine Richtlinie zu harmonisieren (KOM (2002) 92 endgültig - 2002/0047 (COD)). Von einem einheitlichen Verständnis davon, wo die Trennungslinie verläuft zwischen Patentanmeldungen für Computerprogramme als solche, die nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind, und Anmeldungen für patentierbare technische Lösungen in Form von CII, kann trotz erheblicher Annäherungen in jüngeren Gerichtsentscheidungen weiterhin noch nicht ausgegangen werden.
(Vgl. aber die immer stärker konvergierenden Entscheidungen der Technischen Beschwerdekammer 3.5.01 des EPA vom 15. November 2006 in der Sache T 154/04 - Duns Licensing; Tribunal de grande instance de Paris in der Sache 2001/11641 PIBD No. 867 III S. 59 - Infomil (s. zu dem dortigen Streitpatent auch die Entscheidung vom 22. Oktober 2008 in der Sache T 116/06, mit der die Technische Beschwerdekammer 3.5.01 die Beschwerde der Patentinhaberin gegen den Widerruf des Patents durch die Einspruchsabteilung zurückgewiesen hat); EWCA-Entscheidung vom 8. Oktober 2008, Civ 1066 - Symbian Limited; Beschluss des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 20. Januar 2009, GRUR 2009, 479 - Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten; und in den Vereinigten Staaten US Court of Appeal for the Federal Circuit vom 10. Oktober 2008, 2007 - 1130 in der Sache Bilski).
4.2 Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung derartiger Erfindungen auf vielen technischen Gebieten, der deshalb in der Öffentlichkeit heftig geführten Debatten über einen diesbezüglichen Patentschutz sowie der zahlreichen Verfahren vor den Technischen Beschwerdekammern des EPA und verschiedenen nationalen Gerichten kann die grundlegende Bedeutung des in den Vorlagefragen behandelten allgemeinen Gegenstands nicht ernsthaft bezweifelt werden.
5. Die Tatsache, dass dies weltweit diskutiert wird, bedeutet freilich nicht, dass es abweichende Entscheidungen zweier Beschwerdekammern im Sinne des Artikels 112 (1) b) EPÜ geben muss. Entscheidungen anderer (nationaler) Gerichte haben nach dem eindeutigen Wortlaut des Artikels bei der Prüfung der Zulässigkeit der Vorlage außer Betracht zu bleiben. Diese Gerichte gehören nicht zur Europäischen Patentorganisation und können mangels einer anderslautenden Bestimmung im EPÜ mit ihren Entscheidungen das Amt nicht binden.
6. Bei der Beantwortung der Frage, was unter abweichenden Entscheidungen zweier Beschwerdekammern des EPA zu verstehen ist, kann es - wie vorliegend - eine Rolle spielen, dass die für die Begründung der Vorlage angeführten Entscheidungen allein im Geschäftsbereich einer einzigen Beschwerdekammer in wechselnder Besetzung des Spruchkörpers ergangen sind. Nach einer nicht fernliegenden Meinung wäre damit dem Wortlaut von Artikel 112 (1) b) EPÜ nicht genügt, weil demnach die Zulässigkeit einer Vorlage des Präsidenten von Abweichungen in der Spruchpraxis zweier Beschwerdekammern abhängen würde.
Hierzu hat die Große Beschwerdekammer in G 4/98 (ABl. EPA 2001, 131) im Zusammenhang mit abweichenden Entscheidungen der Juristischen Beschwerdekammer Folgendes ausgeführt:
"Wie es in Artikel 112 EPÜ eingangs heißt, dient die Befassung der Großen Beschwerdekammer unter anderem zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung. Dies gilt besonders für Vorlagen durch den Präsidenten des EPA nach Artikel 112 (1) b) EPÜ, die ja voraussetzen, dass voneinander abweichende Entscheidungen ergangen sind. Wäre die Vorlagebefugnis des Präsidenten durch eine restriktive, auf der Organisationsstruktur basierenden Auslegung des Begriffs "zwei Beschwerdekammern" zu definieren, so wären Vorlagen betreffend die Juristische Beschwerdekammer, die eine einzige Organisationseinheit darstellt, unmöglich. Die Wirkung des Artikels 112 EPÜ würde dadurch ungebührlich eingeschränkt, denn es steht außer Frage, dass divergierende Entscheidungen auch im Zuständigkeitsbereich dieser Kammer vorkommen können, die als Organisationseinheit alle rechtskundigen Mitglieder der Beschwerdekammern (mit Ausnahme der rechtskundigen Vorsitzenden der Technischen Beschwerdekammern) umfasst und deshalb in ganz unterschiedlicher Besetzung zusammentritt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass das EPÜ die Juristische Beschwerdekammer nicht als Organisationseinheit, sondern nur über ihre Zusammensetzung definiert, was verstärkt dafür spricht, dass der Präsident des EPA divergierende Entscheidungen dieser Kammer jedenfalls dann zum Anlass für eine Vorlage nehmen kann, wenn die Kammer sie in unterschiedlicher Besetzung erlassen hat. Da dies hier der Fall ist, braucht nicht darauf eingegangen zu werden, ob eine Vorlage durch den Präsidenten des EPA auch zulässig wäre, wenn die Juristische Beschwerdekammer divergierende Entscheidungen in derselben Besetzung erlassen hätte. Ebenso wenig muss dazu Stellung genommen werden, ob eine Vorlage zulässig wäre, wenn diese Situation nicht innerhalb der Juristischen, sondern in einer Technischen Beschwerdekammer entstanden wäre. Dahingestellt bleiben kann schließlich auch, inwiefern die Vorlagebefugnis des Präsidenten des EPA dadurch eingeschränkt wird, dass die Juristische Beschwerdekammer ihrerseits befugt ist, ihre Rechtsprechung abweichend von früheren Entscheidungen weiterzuentwickeln (vgl. Singer/Stauder, a. a. O.). In der vorliegenden Sache gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass dies mit J 22/95 beabsichtigt war. Vielmehr heißt es unter Nummer 7.2 der Entscheidungsgründe, dass es "keine für diesen Fall relevanten divergierenden Entscheidungen ... [gibt]" (Nr. 1.2 der Entscheidungsgründe, zweiter Absatz)."
In dieser Stellungnahme konnte sich die Große Beschwerdekammer einer Meinungsäußerung zu der hier relevanten Frage enthalten, wie es sich darstellt, wenn die Vorlage auf abweichenden Entscheidungen einer einzigen Technischen Beschwerdekammer beruht. Hierzu können jedoch genau dieselben Gründe angeführt werden, die in G 4/98 für die Zulässigkeit der Vorlage bei abweichenden Entscheidungen der Juristischen Beschwerdekammer herangezogen wurden. Dies gilt umso mehr, als es Sinn und Zweck des präsidialen Vorlagerechts ist, Rechtseinheit innerhalb der Organisation herbeizuführen und damit der Rechtssicherheit zu dienen. Mangelnde Rechtseinheit, die eine Vorlage rechtfertigt, kann auch innerhalb einer einzigen - technischen oder juristischen - Kammer im Sinne einer Organisationseinheit auftreten; deshalb sollte zwischen der Juristischen Beschwerdekammer (G 4/98) und einer Technischen Beschwerdekammer kein Unterschied gemacht werden. Es wäre zu restriktiv, eine Vorlage des Präsidenten für unzulässig zu erklären, nur weil das formale Erfordernis, dass zwei Beschwerdekammern beteiligt sein müssen, nicht erfüllt ist. Dies gilt zumindest dann, wenn - wie vorliegend - die Beschwerdekammer die angeblich abweichenden Entscheidungen in unterschiedlicher Besetzung erlassen hat (s. auch Joos in: Singer/Stauder, Europäisches Patentübereinkommen, 5. Auflage, 2010, Art. 112, Rdn. 25). Wie zu entscheiden wäre, wenn die Beschwerdekammer die angeblich abweichenden Entscheidungen in derselben Besetzung erlassen hätte, braucht hier nicht geklärt zu werden. Allerdings bedeutet der Umstand, dass die Vorlage im Hinblick auf den Spruchkörper, der die angeblich abweichenden Entscheidungen getroffen hat, für zulässig erachtet wird, noch nicht, dass die Zulässigkeit insgesamt gegeben ist. Dazu muss die betreffende Kammer tatsächlich "voneinander abweichende Entscheidungen" im Sinne des Artikels 112 (1) b) EPÜ getroffen haben. Dies wird im Folgenden untersucht.
7. Im Mittelpunkt der Zulässigkeitsprüfung steht die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "abweichenden Entscheidungen" bzw. "different decisions" oder "décisions divergentes" in Artikel 112 (1) b) EPÜ. Liegen abweichende Entscheidungen etwa bereits dann vor, wenn sie zwar im Ergebnis übereinstimmen, nicht aber in der Begründung? Wie steht es, wenn zwei Entscheidungen zeitlich weit auseinanderliegen? Hält in diesen Fällen eine Technische Beschwerdekammer an einer früheren Rechtsprechung, die zur Begründung einer Abweichung angeführt worden ist, noch ersichtlich fest oder hat sie sie zwischenzeitlich explizit oder implizit aufgegeben? Wie ist der Fall zu bewerten, in dem die geltend gemachten Divergenzen das Ergebnis einer längeren Rechtsentwicklung zur patentrechtlichen Beurteilung eines neuen Schutzgegenstands sind? Wie stellen sich abweichende Entscheidungen im Zusammenhang der übrigen Rechtsprechung der Kammern dar?
7.1 Was unter dem in Artikel 112 (1) b) EPÜ verwendeten zentralen Begriff "abweichende Entscheidungen" zu verstehen ist, ist zunächst nach dem Wortlaut der Vorschrift in allen amtlichen Fassungen des EPÜ auszuloten, denen gleichwertig nebeneinander Geltung zukommt (Art. 177 (1) EPÜ). Der Wortlaut scheint sich allerdings einer eindeutigen Antwort zu verschließen. Die auf Deutsch, Englisch und Französisch verwendeten Begriffe ("abweichend", "different" bzw. "divergent") dürften nicht vollständig deckungsgleich sein. So wird in Cassell's English-German Dictionary in der Auflage von 1978 "different" im Deutschen mit "anders, verschieden, andersartig, abweichend, ungleich, verschiedenartig" übersetzt, und der französische Begriff "divergent" entspricht laut Harrap's Shorter Dictionary French-English (Nachdruck von 1988) im Englischen "divergent" und nicht "different" sowie laut Larousse Grand Dictionnaire Allemand-Français in der Auflage von 1999 im Deutschen Begriffen wie "divergierend, auseinanderlaufend, abweichend". Daraus resultieren Unterschiede im Sinngehalt (abweichend/different/divergent) der drei Sprachfassungen. "Different decisions" könnten offensichtlich Entscheidungen sein, die zeitlich weit auseinanderliegen, unabhängig davon, ob sie aufgrund von zwischenzeitlichen Änderungen der Rechtsprechung überhaupt noch Gültigkeit beanspruchen. "Divergent decisions" wären dagegen eher in dem Sinne zu verstehen, dass sie auseinanderlaufen, sich also in ihrem Aussagegehalt unterscheiden, dabei aber in zeitlicher Nähe zueinander stehen. Eindeutig lässt sich dies allein aus dem Wortlaut der Vorschrift jedoch nicht herleiten.
7.2 Ist der Wortlaut internationaler Verträge - auch auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes - nicht eindeutig, so ist es geboten, ihn im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen (Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜRV), dessen Regeln zur Vertragsauslegung auf das EPÜ anzuwenden sind (s. G 1/83, ABl. EPA 1985, 60, Nr. 3 ff. der Entscheidungsgründe; G 2/02 und G 3/02, ABl. EPA 2004, 483, Nr. 5.2 ff. der Entscheidungsgründe; G 1/07 vom 15. Februar 2010, Nr. 3.1 der Entscheidungsgründe; G 2/08 vom 19. Februar 2010, Nr. 4 der Entscheidungsgründe)). Geht man vom Ziel und Zweck des Artikels 112 (1) b) EPÜ im Gefüge des EPÜ aus, spricht vieles dafür, dass der Begriff "divergierende Entscheidungen" in dem vorstehend unter Buchstabe a als Zweites genannten Sinne zu verstehen ist (zur Auslegungsmethodik der Großen Beschwerdekammer siehe Schachenmann, Die Methoden der Rechtsfindung der Großen Beschwerdekammer, GRUR Int. 2008, 702/704 ff.; Stauder in: Singer/Stauder, Europäisches Patentübereinkommen, 5. Auflage, 2010, Art. 177; weitere Angaben passim).
7.2.1 Nach neuzeitlichem staatsrechtlichem Verständnis zählt die Berechenbarkeit und Nachprüfbarkeit allen staatlichen Handelns zu den unverzichtbaren Bestandteilen einer rechtsstaatlichen Ordnung, die auf dem Fundament der Gewaltenteilung, der Gesetzesbindung der Verwaltung und der Anerkennung der Menschenrechte einschließlich der prozessualen Grundrechte beruht. Diesen Grundsätzen haben sich auf nationaler Ebene alle Vertragsstaaten des EPÜ inhaltlich - trotz unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Traditionen und einzelner Vorbehalte verschiedener Staaten verpflichtet. Da es einem Rechtsstaat verboten ist, internationale Verträge zu schließen, durch die verfassungsrechtliche Garantien der Bürger unterlaufen würden, muss die EPO diese fundamentalen Grundsätze entweder explizit (z. B. Art. 113 EPÜ) oder implizit (z. B. Freiheit, Gleichheit) bejahen (s. z. B. G 3/98, ABl. EPA 2001, 62, Nr. 2.5.3 der Entscheidungsgründe; G 2/02 und G 3/02, Nr. 7.2 der Entscheidungsgründe; T 377/95, ABl. EPA 1999, 11, Nrn. 33 - 36 der Entscheidungsgründe; T 1193/02 vom 18. März 2005, Nr. 10 der Entscheidungsgründe; T 190/03, ABl. EPA 2006, 502, Nr. 10 der Entscheidungsgründe).
Mit der Europäischen Patentorganisation ist eine einer modernen staatlichen Ordnung nachempfundene, auf dem Gewaltenteilungsprinzip beruhende zwischenstaatliche internationale Organisation geschaffen worden, der die souveränen Vertragsstaaten auf dem Gebiet des Patentwesens einen Teil ihrer staatlichen Gewalt zur Ausübung anvertraut haben. So verleiht das EPÜ dem Amt die Exekutivgewalt, Patente zu erteilen, und dem Präsidenten, das Amt organisatorisch zu verwalten (Art. 4 (3), Art. 10 ff. EPÜ), während es dem Verwaltungsrat ein auf nachgeordnete Normen beschränktes Legislativrecht (Art. 33 EPÜ) sowie Finanz- und Kontrollbefugnisse überträgt. Den in ihrer Entscheidungsbefugnis allein an das EPÜ gebundenen Beschwerdekammern (Art. 23 (3) EPÜ) ist schließlich die Rolle einer unabhängigen Gerichtsbarkeit in diesem Patentsystem zugewiesen (Art. 21 bis 23 EPÜ; s. auch G 6/95, ABl. EPA 1996, 649, Nr. 2 ff. der Entscheidungsgründe), wenngleich sie bis auf Weiteres nach Artikel 4 (2) EPÜ und nach dem Ersten Teil Kapitel III des EPÜ nicht als selbstständiges Organ der EPO, sondern - strukturell integriert - nach Artikel 15 EPÜ als Organe des Amts gelten.
7.2.2 Wie die Gerichtsbarkeit eines jeden auf dem Prinzip der Gewaltenteilung beruhenden rechtsstaatlichen Gemeinwesens gewährleisten die Beschwerdekammern des EPA als unabhängige Gerichtsbarkeit die Rechtsweggarantie innerhalb der EPO. Dazu ist ihnen die Deutungshoheit hinsichtlich des EPÜ für dessen Geltungsbereich anvertraut (vgl. auch Art. 23 (3) EPÜ). Nach Artikel 21 (1) EPÜ haben sie die im Erteilungs- und im Einspruchsverfahren ergangenen Entscheidungen des Amts zu überprüfen. Ihre Auslegung des EPÜ hat das EPA seiner Praxis bei der Prüfung von Patentanmeldungen und Einsprüchen gegen erteilte Patente zugrunde zu legen. Andernfalls bedürfte es des präsidialen Vorlagerechts nicht.
Keine unmittelbare Wirkung für die Organe des EPA entfaltet hingegen die Auslegung des EPÜ oder entsprechender nationaler Vorschriften durch die Gerichte der Vertragsstaaten. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Beschwerdekammern einschlägige nationale Entscheidungen zu harmonisiertem europäischem Patentrecht bei der Auslegung des Übereinkommens nicht lege artis berücksichtigen sollten. Dies folgt aus dem Harmonisierungsgedanken, dem das EPÜ verpflichtet ist.
7.2.3 Für eine rechtsstaatliche Ordnung ist ferner das Prinzip der Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht konstitutiv. Ergänzend tritt das Prinzip der Einheit der Rechtsprechung hinzu. Beide Prinzipien dienen der Berechenbarkeit hoheitlichen Handelns und damit der Rechtssicherheit durch die Verhinderung von Willkür. Die Rechtsunterworfenen, im Fall des EPÜ die Beteiligten an den Verfahren des EPA, aber auch die Allgemeinheit müssen davon ausgehen können, dass gleiche Fallgestaltungen vom EPA als Patenterteilungsbehörde und in deren Folge von den Beschwerdekammern gleich entschieden und sachliche Unterschiede in den Entscheidungen argumentativ und methodisch nachvollziehbar begründet werden. Diese Prinzipien bilden aus den angeführten Gründen auch die unverzichtbaren Leitlinien der Patentverwaltung und der Patentgerichtsbarkeit des im EPÜ kodifizierten europäischen Patentsystems. Ihre Bewahrung obliegt letztinstanzlich den Beschwerdekammern, einschließlich der Großen Beschwerdekammer, Letzterer jedoch nur im Rahmen des Vorlagerechts der Beschwerdekammern und des Präsidenten nach Artikel 112 (1) EPÜ und in Zusammenhang mit Anträgen auf Überprüfung (Art. 112a EPÜ).
7.2.4 Im Sinne dieser Grundsätze normiert Artikel 112 EPÜ - ähnlich entsprechenden Vorschriften in den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten - die Voraussetzungen, unter denen die Rechtseinheit innerhalb des europäischen Patentsystems durch Anrufung der Großen Beschwerdekammer herzustellen ist. Er verlangt, dass die Beschwerdekammern (Art. 112 (1) a) EPÜ) oder der Präsident (Art. 112 (1) b) EPÜ) die Anrufung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder bei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für erforderlich erachten und - dies kommt als Zulässigkeitsvoraussetzung im Falle einer Vorlage des Präsidenten hinzu - dass zwei Beschwerdekammern über die vorgelegte Frage voneinander abweichende Entscheidungen getroffen haben. Folglich hat die Große Beschwerdekammer nicht über abstrakte, sondern immer nur über konkrete sich aus den angeführten abweichenden Entscheidungen ergebende Rechtsfragen zu befinden und auch über konkrete, von Rechtssuchenden an sie herangetragene Sachverhalte (s. Moser in: Europäisches Patentübereinkommen, Münchner Gemeinschaftskommentar, 20. Lieferung 1997, Art. 112 Rdn. 28; van Empel, The Granting of European Patents, 1975, Rdn. 524). Zu beachten ist, dass der Präsident im Vorlageverfahren keine Beteiligtenstellung hat, weil er durch die Antworten der Großen Beschwerdekammer nicht beschwert werden kann.
7.2.5 Daran ist klar zu erkennen, dass die Auslegung des EPÜ vorrangig den Beschwerdekammern anvertraut ist. Sie haben im Regelfall die Deutungshoheit hinsichtlich des EPÜ, weil ihre Entscheidungen nur unter den eng begrenzten Voraussetzungen der Artikel 112 (1) und 112a (2) EPÜ überprüft werden können. Nur wenn diese vorliegen, hat die Große Beschwerdekammer das letzte Wort. Zieht man in Betracht, dass die Große Beschwerdekammer überhaupt nur auf Vorlage der Beschwerdekammern oder des Präsidenten tätig wird (mit Ausnahme der Anträge auf Überprüfung nach Art. 112a EPÜ, die jedoch nur Verfahrensfragen betreffen und eine sehr geringe Tragweite haben), sie also keine den Beschwerdekammern übergeordnete weitere Instanz innerhalb der Gerichtsbarkeit des EPÜ darstellt, lässt sich das Maß ihrer Bedeutung für die Rechtseinheit einschätzen. Die abschließende Aufzählung der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Vorlage nach Artikel 112 (1) a) und b) EPÜ impliziert, dass die Große Beschwerdekammer Entscheidungen zu Einzelfragen trifft und dass weder die Beschwerdekammern noch der Präsident berechtigt sind, sie nach Gutdünken zur Klärung abstrakter Rechtsfragen anzurufen. Dazu steht dem Präsidenten innerhalb des Amts eine eigene Rechtsabteilung zur Verfügung.
7.2.6 Aus denselben restriktiven Gründen verlangt Artikel 112 (1) b) EPÜ - anders als bei der Vorlage durch eine Beschwerdekammer - als zusätzliche einschränkende Voraussetzung einer präsidialen Vorlage, dass Abweichungen in der Rechtsprechung zweier Beschwerdekammern (im bereits erörterten Sinn) zu derselben Rechtsfrage bestehen. Das Kriterium der "abweichenden Entscheidungen" scheint darauf hinzudeuten, dass dem Präsidenten die Anrufung der Großen Beschwerdekammer nur dann gestattet sein soll, wenn eine Divergenz oder besser gesagt ein Konflikt in der Rechtsprechung es dem Amt erschwert oder gar unmöglich macht, seine Patenterteilungspraxis mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern in Einklang zu bringen. Keine Rolle spielt dabei, ob die Anregung zur Vorlage von dritter Seite gegeben wurde, wenn nur objektiv eine Divergenz in der Rechtsprechung aufgezeigt werden kann.
7.2.7 Das durch seinen Sinn und Zweck definierte Vorlagerecht findet dort seine Grenzen, wo der Präsident durch eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer die Rechtsprechung der Beschwerdekammern zum Schutz von CII aus welchen Gründen auch immer durch die Entscheidung einer vermeintlich höheren Instanz zu ersetzen versuchen sollte. Die Umstände etwa, dass das Europäische Parlament und der Rat mit der Verabschiedung einer Richtlinie zum Schutz von CII gescheitert sind oder dass eine lautstarke Interessengruppe die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern in Zweifel zieht (vgl. aktuelle Vorlage, Seite 2, Abschnitt 1, Nr. 3), können die Zulässigkeit einer präsidialen Vorlage nicht begründen. Auch dem grundsätzlich zu begrüßenden integrativen Bestreben, dem Lord Justice Jacob in der Aerotel/Macrossan-Entscheidung Ausdruck verliehen hat, kann die Große Beschwerdekammer nur im Rahmen des nach dem EPÜ Möglichen entsprechen, selbst wenn seine Anregung die Rechtseinheit in Europa einen bedeutenden Schritt voranbringen könnte. Denn wo die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten werden, beginnt der Aufgabenbereich des Gesetzgebers.
7.3 Mit dem Begriff der Rechtsfortbildung kommt ein weiterer Aspekt ins Spiel, der bei der Auslegung des Begriffs der "abweichenden Entscheidungen" in Artikel 112 (1) b) EPÜ sorgfältig im Auge zu behalten ist, was verschiedentlich in der Literatur (etwa Teschemacher, Der Beitrag des Präsidenten des Europäischen Patentamts zur Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer - eine erste Bestandsaufnahme, GRUR 1993, 320/326 f.) und in einigen Amicus-curiae-Schriftsätzen angesprochen wurde.
7.3.1 Rechtsfortbildung ist eine unverzichtbare Aufgabe der Rechtsanwendung, gleich, welcher Auslegungsmethode der Richter sich bedient, und deshalb jeder richterlichen Tätigkeit immanent. So gesehen wird man sogar in jeder Subsumtion eines konkreten Falles unter eine abstrakte Norm ein Stück Rechtsfortbildung sehen können. Das gilt insbesondere für den angelsächsischen Rechtskreis, in dem der Einzelfallentscheidung eine deutlich größere präjudizielle Wirkung zukommt als der Rechtsprechung im Bereich des kontinentalen Zivilrechts. Daraus folgt, dass Rechtsfortbildung als solche noch nicht zum Anlass einer Vorlage genommen werden darf, eben weil auf juristischem Neuland die Entwicklung der Rechtsprechung nicht immer geradlinig verläuft und frühere Ansätze verworfen oder modifiziert werden.
Andernfalls verlöre das Merkmal der "abweichenden Entscheidungen" in Artikel 112 (1) b) EPÜ seinen Sinn. Zwar können sich oberflächlich betrachtet abweichende Entscheidungen im Sinne der Vorschrift auch bei der Fortbildung des Rechts ergeben, sie vermögen eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer aber nicht allein wegen ihres rechtsfortbildenden Charakters zu rechtfertigen, sondern nur dann, wenn mindestens zwei Beschwerdekammerentscheidungen mit dem Prinzip der Rechtseinheit in einen Konflikt treten. Sinn und Zweck des Artikels 112 (1) b) EPÜ ist es, eine erkennbar gestörte Rechtseinheit durch eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer wieder herzustellen, nicht hingegen in die Rechtsentwicklung einzugreifen. Dies sei im Folgenden näher ausgeführt.
7.3.2 De lege lata hat das Übereinkommen die Auslegung des EPÜ mit seinen zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen letztendlich den Beschwerdekammern zugewiesen (s. vorstehend Nr. 7.2.5). Ihre Aufgabe ist es festzulegen, wie das Gesetz anzuwenden und gegebenenfalls infolge der Entwicklung des Patentrechts fortzubilden ist. Dabei geht es in jedem Fall mehr oder minder darum, ob der jeweilige Sachverhalt von einer abstrakt formulierten Norm erfasst ist oder nicht. So haben z. B. die Begriffe der Erfindung, der Neuheit, der erfinderischen Tätigkeit und der gewerblichen Anwendbarkeit durch die Rechtsprechung im Laufe der Zeit immer genauere Inhalte erfahren, an denen sich das EPA ebenso wie die am Patentrecht interessierten Kreise in ihrer täglichen Praxis orientieren können. Angesichts der Entwicklung, die das Patentrecht aufgrund der Rechtsprechung der Beschwerdekammern genommen hat, bewegen sich somit die Beschwerden gegen Beschlüsse der Prüfungs- und Einspruchsabteilungen weitgehend auf rechtlich gesichertem Boden.
7.3.3 Namentlich auf dem Gebiet neuer Technologien haben die Technischen Beschwerdekammern ihre gefestigte Rechtsprechung immer wieder kritisch zu hinterfragen. Dabei müssen sie unter Anwendung anerkannter juristischer Methodik und allgemeiner Rechtsprinzipien entscheiden, ob die häufig weit gefassten unbestimmten Rechtsbegriffe des EPÜ auf die sachverhaltlichen Besonderheiten neuer Materien anwendbar sind, d. h. insbesondere, ob die bisherige, weitgehend als sachgerecht anerkannte Rechtsprechung auch dort zu tragfähigen Lösungen führt. Es ist durchaus denkbar, dass die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe im Lichte des Normzwecks und der Systematik des EPÜ weitere Differenzierungen erfordert, die aufgrund der dabei vorgenommenen Aus- bzw. Eingrenzungen im Einzelfall zu einem Patentschutz oder zu seiner Verneinung führen können.
7.3.4 Betritt die Rechtsprechung juristisches Neuland, bedarf es eines behutsamen Vorgehens, um Aussagen zu vermeiden, die sich schon beim nächsten Fall als nicht mehr haltbar erweisen. Dennoch lässt sich nicht ausschließen, dass im Laufe der Zeit wiederholt Korrekturen erforderlich sind, wenn von den Beschwerdekammern zunächst für richtig gehaltene rechtliche Lösungen sich im Zusammenhang neuer Sachverhalte als Irrweg erweisen und im rechtswissenschaftlichen Dialog nicht mehr zu überzeugen vermögen. Derartige Richtungsänderungen innerhalb der Rechtsfortbildung gehören zur richterlichen Tätigkeit, ohne dass gleich von abweichenden Entscheidungen im Sinne des Artikels 112 (1) b) EPÜ die Rede sein muss, wenn beim Herantasten an die richtige Lösung eines Falles Abweichungen von einer früheren Spruchpraxis für erforderlich gehalten werden (vgl. aber Moufang in: Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, 8. Auflage 2008, Art. 112 EPÜ (Anhang zu § 73) Rdn. 42).
7.3.5 So kann selbst eine radikale Kehrtwende der Rechtsprechung nicht zwingend als abweichende Entscheidung im Sinne des Artikels 112 (1) b) EPÜ gegenüber einer früheren Rechtsprechung verstanden werden, sofern die Kammer sich selbst korrigiert und - meist ausdrücklich - ihre bisherige Spruchpraxis für nicht mehr einschlägig erklärt. Deshalb steht dem Präsidenten nicht schon dann ein Vorlagerecht zu, wenn er eine frühere Entscheidung bevorzugt (so auch Joos in: Singer/Stauder, Europäisches Patentübereinkommen, 5. Auflage 2010, Art. 112 Rdn. 24; vgl. aber Moufang in: Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, 8. Auflage 2008, Art. 112 EPÜ (Anhang zu § 73) Rdn. 42). Solche Korrekturen sind Teil der Rechtsfindung und Rechtsentwicklung, ohne den Tatbestand einer Abweichung zu begründen, die unter Durchbrechung der grundsätzlichen Deutungshoheit der Beschwerdekammern durch eine Vorlage des Präsidenten an die Große Beschwerdekammer zu korrigieren wäre. Vielmehr lassen als solche gekennzeichnete Kehrtwenden auch gegenüber dem EPA als Patenterteilungsbehörde keine Zweifel, wie nach neuester Erkenntnis der Beschwerdekammern das EPÜ auszulegen ist. Dies mag eine Änderung der Prüfungsrichtlinien erfordern, nicht aber eine Überprüfung der Rechtsprechung durch die Große Beschwerdekammer. Anders liegen die Dinge, wenn die Kammern selbst es im Hinblick auf eine Änderung ihrer Rechtsprechung für erforderlich halten, der Großen Beschwerdekammer Rechtsfragen zur Beantwortung vorzulegen.
7.3.6 Nichts anderes sollte gelten, wenn die Rechtsprechung der Kammern sich über einen längeren Zeitraum fortentwickelt hat und dabei im Zuge mehrerer Entscheidungen allmählich zu Lösungen gekommen ist, die sich erkennbar und wohlbegründet vom ursprünglichen Ausgangspunkt wegbewegen, selbst wenn sie bis dahin die Öffentlichkeit und die Patenterteilungsbehörde überzeugt haben. Denn auch insoweit liegt eine - wenn auch nicht unbedingt geradlinige - Rechtsentwicklung vor, die, sofern sie transparent ist, nicht berechtigt, von abweichenden Entscheidungen zu sprechen, die ein Vorlagerecht zu begründen vermögen.
7.3.7 Rechtsprechung wird nicht vom Ergebnis, sondern von der Begründung geprägt. Nur daran lässt sich die jeweilige Auffassung der Gerichte ermessen, deren Einschätzbarkeit wiederum für die Rechtssicherheit unerlässlich ist. In diesem Sinne hat sich die Große Beschwerdekammer bereits in der Entscheidung G 3/93 (ABl. EPA 1995, 18, Nr. 2 der Entscheidungsgründe) geäußert und bei der Prüfung einer Divergenz auch obiter dicta berücksichtigt (ebenso Moufang in: Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, Art. 112 EPÜ (Anhang zu § 73) Rdn. 45).
7.3.8 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Große Beschwerdekammer das Recht nicht in gleicher Weise fortzubilden vermag wie die Beschwerdekammern, weil sie nicht über Sachverhalte in anhängigen Beschwerden zu entscheiden hat, sondern nur punktuell und nur im erwähnten engen Rahmen der ihr nach Artikel 112 (1) EPÜ vorgelegten Rechtsfragen. Dies gilt umso mehr bei Vorlagen des Präsidenten, die nicht einmal aus einem konkreten Beschwerdeverfahren erwachsen.
Liegen zu Rechtsfragen - wie bei einer Vorlage des Präsidenten erforderlich - divergierende Entscheidungen vor, kann die Große Beschwerdekammer sich der Rechtsauffassung einer dieser Entscheidungen anschließen und die Auffassung der anderen als unzutreffend verwerfen oder einen dritten Weg für zutreffend halten. Sie kann also auf die Beurteilung einzelner Sachverhalte nur Einfluss nehmen, indem sie eine bisherige Entscheidungspraxis abbricht und in eine neue Richtung lenkt oder indem sie den von einer Kammer eingeschlagenen Weg bekräftigt.
Dabei hat die Große Beschwerdekammer jedoch auch zu prüfen, ob die divergierenden Entscheidungen nicht Teil einer stetigen und unter Umständen noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der Rechtsprechung zu neueren patentrechtlichen Fragen sind, im Rahmen derer ältere Entscheidungen ihre Bedeutung verloren haben und deshalb nicht mehr in einen Bezug zu neueren Entscheidungen gesetzt werden dürfen. Derartige vermeintliche Differenzen können keine präsidialen Vorlagen rechtfertigen, gehört doch die Rechtsfortbildung zu den wesentlichen Aufgaben der Beschwerdekammern, insbesondere auf Neuland.
Deshalb endet das Vorlagerecht des Präsidenten nach Artikel 112 (1) b) EPÜ dort, wo es um einen wie auch immer begründeten Eingriff in die bloße Rechtsentwicklung geht, ohne dass - wenn man den englischen Begriff "different decisions" im Sinne von divergierenden Entscheidungen auslegt - von einer Korrekturnotwendigkeit zur Herstellung der Rechtseinheit gesprochen werden kann.
Die Vorlagefragen
8. Unter Berücksichtigung dieser grundsätzlichen Erwägungen zur Auslegung von Artikel 112 (1) b) EPÜ werden nun die Vorlagefragen geprüft.
9. Vorbemerkungen
9.1 Zum einleitenden Teil der Vorlage
Die Vorlage (Seite 3) enthält eine Definition des Begriffs "Programm für Datenverarbeitungsanlagen" ("eine Abfolge von Schritten (Anweisungen), die von einer Datenverarbeitungsanlage beim Ablaufen des Programms ausgeführt werden"). "Programm für Datenverarbeitungsanlagen" ist gleichbedeutend mit "Programm", "Software" und "Computerprogramm". Definitionsgemäß ist unter "Datenverarbeitungsanlage" "jede programmierbare Vorrichtung" zu verstehen, unter anderem z. B. ein Mobiltelefon. Ferner wird klargestellt, dass "die in den hypothetischen Beispielen genannten Verfahren als Verfahren zu verstehen sind, die vollständig von einer Datenverarbeitungsanlage ausgeführt werden können."
Diese Begriffsbestimmungen vermögen der Großen Beschwerdekammer bei der Auslegung der Vorlage dienlich zu sein, doch ist klarzustellen, dass sie keinerlei Bindungswirkung entfalten können, wenn die Kammer die Rechtsprechung auslegt. Vielmehr muss die Bedeutung dieser Begriffe in Patenten und Beschwerdeverfahren ermittelt werden, indem man analysiert, wie der Fachmann sie im jeweiligen Kontext verstehen würde.
Anzumerken ist: wenn "Datenverarbeitungsanlagen" auch Mobiltelefone einschließen und die hypothetischen Verfahren solche Verfahren sein sollen, die vollständig von einer Datenverarbeitungsanlage ausgeführt werden können, so würden dazu beispielsweise auch Verfahren zur Erzeugung von Funkträgerschwingungen anhand von bestimmten Analogschaltungen zählen. Dies ist im Sinne der Vorlage wohl nicht mit der Definition eines "computerimplementierten Verfahrens" gemeint.
9.2 Der Begriff "technisch"
Die Kammer wird nicht versuchen, den Begriff "technisch" zu definieren. Abgesehen davon, dass sie diesen Begriff bei Zitaten aus der Rechtsprechung verwenden wird, stellt sie im Folgenden lediglich fest, dass "ein computerlesbares Datenspeichermedium" und eine Tasse technischen Charakter haben und dass die Konstruktion eines Fahrrads mit technischen Überlegungen einhergeht, damit sie in der Lage ist, die Konsequenzen dieser Rechtsprechung auszuloten. Es ist zu hoffen, dass die Leser diese Feststellungen akzeptieren werden, ohne eine genaue Definition dessen zu verlangen, was unter "technisch" fällt. Diese Frage wird für den Sonderfall der Computerprogramme im Abschnitt zu Frage 4 näher erörtert (s. nachstehend Nr. 13).
10. Frage 1
"Kann ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen nur dann als Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden, wenn es ausdrücklich als Programm für Datenverarbeitungsanlagen beansprucht wird?"
Zulässigkeit
10.1 Zunächst bedarf die Frage der Auslegung. Dem Anschein nach wird nur gefragt, ob man die Worte "Programm für Datenverarbeitungsanlagen" verwenden muss. Legt man die Frage so aus, ist sie leicht zu beantworten; ein Anspruch mit einem Synonym für "Programm für Datenverarbeitungsanlagen" wie etwa "eine Abfolge von computerausführbaren Anweisungen" oder vielleicht "ein ausführbares Software-Modul" würde das Patentierungsverbot eindeutig nicht überwinden, wenn es der äquivalente Anspruch auf ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen nicht täte. Doch die in der Vorlage festgestellte angebliche Abweichung bezieht sich nicht nur auf die Wortwahl. Darüber hinaus heißt es in den Hintergrundinformationen zu Frage 1:
"Auf diesem Gebiet sind Anspruchsformulierungen in Anlehnung an Folgendes gebräuchlich:
- Verfahren
- Systeme (d. h. Computersysteme)
- computerimplementierte Verfahren
- Computerprogramme
- Computerprogrammprodukte, auf denen ein Computerprogramm gespeichert ist.
Der Inhalt dieser Ansprüche, d. h. das zugrunde liegende, von einer Datenverarbeitungsanlage durchzuführende Verfahren, ist jedoch oft identisch" (Vorlage, Seite 4).
Die Diskussion erstreckt sich auch auf "die Funktion des Computerprogramms (hat das beanspruchte Programm technischen Charakter) und nicht auf die Art und Weise, wie es beansprucht wird (z. B. als Computerprogramm, als Computerprogrammprodukt oder als computerimplementiertes Verfahren)" (Vorlage, Seite 5).
So scheint es, dass mit dem ersten Verweis auf ein "Programm für Datenverarbeitungsanlagen" in der Frage eigentlich Ansprüche auf verschiedene Gegenstände gemeint sind, die mit einem Computerprogramm einhergehen können, ohne selbst unbedingt eines zu sein, und dass die Frage, die mit der Vorlage beantwortet werden soll, in etwa wie folgt lautet:
Wenn ein bestimmter Anspruch auf ein Computerprogramm ("1. Programm für eine Datenverarbeitungsanlage, das Anweisungen zur Ausführung der Schritte x, y, z umfasst") nach Artikel 52 (2) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen ist, ist dann nach demselben Artikel auch einer der folgenden Gegenstände (oder noch etwas anderes) automatisch ausgeschlossen?
"2. Computersystem, auf dem das Programm nach Anspruch 1 geladen ist."
"3. Verfahren zum Betrieb eines Computers, umfassend die Ausführung des Programms nach Anspruch 1."
"4. Computerprogrammprodukt, auf dem das Programm nach Anspruch 1 gespeichert ist."
10.2 Die einzige "Abweichung" in der Rechtsprechung, die die Vorlage diesbezüglich aufzeigt, besteht zwischen den Entscheidungen T 1173/97, IBM (ABl. EPA 1999, 609) und T 424/03, Microsoft vom 23. Februar 2006. In der Vorlage (s. Seiten 5 und 6) heißt es, dass nach T 424/03 überhaupt nur ein Anspruch der Form "Computerprogramm für Verfahren X" als Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sein könne, während Ansprüche der Art "computerimplementiertes Verfahren X" oder "Computerprogrammprodukt zum Speichern eines ausführbaren Codes für Verfahren X" nicht ausgeschlossen wären (unabhängig davon, worin das Verfahren X besteht). In T 1173/97 wird hingegen auf die Funktion des Programms für Datenverarbeitungsanlagen abgehoben und nicht auf die Art und Weise, wie es beansprucht wird, z. B. als Computerprogrammprodukt oder als computerimplementiertes Verfahren.
Bei der Anmeldung, um die es in T 1173/97 ging, war die Prüfungsabteilung zu dem Schluss gelangt, dass eine Erfindung vorlag, und war bereit, ein Patent mit Ansprüchen der Art zu erteilen, die zumindest seit T 208/84, VICOM (ABl. EPA 1987, 14) akzeptiert war, nämlich Ansprüche auf ein Verfahren zum Betrieb eines Computers sowie auf einen Computer, der so eingerichtet ist, dass er das Verfahren ausführen kann (d. h. ein Computer, auf dem ein geeignetes Programm geladen ist). Der Anmelder hatte jedoch Ansprüche aufgenommen, die nicht auf das System als Ganzes oder auf ein Verfahren zum Betrieb des Systems als Ganzen gerichtet waren, sondern auf ein Programm, und zwar wie folgt in zweierlei Form (T 1173/97, Sachverhalt und Anträge, Nr. II):
"Computerprogrammprodukt, das direkt in den internen Speicher eines digitalen Computers geladen werden kann und Softwarecodeabschnitte umfasst, mit denen die Schritte gemäß [dem unabhängigen Verfahrens-]Anspruch 1 ausgeführt werden, wenn das Produkt auf einem Computer läuft,"
und
"Computerprogrammprodukt, das auf einem computergeeigneten Medium gespeichert ist und Folgendes umfasst: computerlesbare Programmmittel, die einen Computer veranlassen, [die verschiedenen Schritte des Verfahrensanspruchs 1 auszuführen]".
10.2.1 Die Kammer ging der Frage nach, ob möglicherweise ein Computerprogramm beansprucht werden könnte, und wenn ja, unter welchen Umständen ein solcher Anspruch gewährbar wäre. Ihre Schlussfolgerung unter Nummer 13 der Entscheidungsgründe lautete wie folgt:
"Nach Auffassung der Kammer ist ein allein beanspruchtes Computerprogramm nicht von der Patentierung ausgeschlossen, wenn das auf einem Computer laufende oder in einen Computer geladene Programm einen technischen Effekt bewirkt oder bewirken kann, der über die "normale" physikalische Wechselwirkung zwischen dem Programm (Software) und dem Computer (Hardware), auf dem es läuft, hinausgeht.
"Auf einem Computer laufend" bedeutet, dass das aus Computerprogramm samt Computer bestehende System ein Verfahren durchführt, das so geartet sein kann wie dasjenige gemäß Anspruch 1.
"In einen Computer geladen" bedeutet, dass der so programmierte Computer zur Durchführung eines Verfahrens, das so geartet sein kann wie dasjenige gemäß Anspruch 1, fähig oder hierfür entsprechend angepasst ist und somit ein System (oder eine Vorrichtung bzw. ein Gerät) verkörpert, das so geartet sein kann wie dasjenige gemäß Anspruch 14."
10.2.2 Die Kammer hat ganz bewusst nicht über eine bestimmte Formulierung entschieden; dazu heißt es in der Entscheidungsformel: "Die Angelegenheit wird ... an die erste Instanz zurückverwiesen, die ... zu prüfen hat, ob die Ansprüche im vorliegenden Wortlaut unter das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ fallen, ...". Sie äußerte sich aber sehr wohl dazu, ob das Patentierungsverbot überwunden werden könnte, wenn das Programm auf einem Medium beansprucht würde (s. ebenfalls Nr. 13 der Entscheidungsgründe):
"Darüber hinaus ist die Kammer der Ansicht, dass es im Hinblick auf das Patentierungsverbot gemäß Artikel 52 (2) und (3) EPÜ keinen Unterschied macht, ob ein Computerprogramm allein beansprucht wird oder als Aufzeichnung auf einem Datenträger ... ."
10.2.3 Da die Kammer zu dem Schluss gelangt war, dass einige - allein beanspruchte - Programme von der Patentierung ausgeschlossen sind, folgt daraus zwangsläufig, dass ein solches Programm auch dann ausgeschlossen ist, wenn es als "Aufzeichnung auf einem Datenträger" beansprucht wird, d. h. auf einem computerlesbaren Medium. Die Begründung für diese Schlussfolgerung ist den nachstehenden Zitaten zu entnehmen.
T 1173/97, Nummer 5.3 der Entscheidungsgründe: "Dies bedeutet, dass Computerprogramme dann als patentfähige Erfindungen anzusehen sind, wenn sie technischen Charakter aufweisen." Nummer 6.2 der Entscheidungsgründe: "[D]ie bei Ausführung von Programmbefehlen auftretenden physikalischen Veränderungen bei der Hardware (die beispielsweise elektrische Ströme fließen lassen) [können] nicht per se den technischen Charakter ausmachen [...], durch den das Patentierungsverbot für ein solches Programm gegenstandslos würde." Nummer 6.3 der Entscheidungsgründe: "Solche Veränderungen können zwar als etwas Technisches angesehen werden, ... eignen sich [aber] nicht zur Unterscheidung von Computerprogrammen mit technischem Charakter einerseits und Computerprogrammen als solchen andererseits." Dasselbe gilt offensichtlich für die physikalischen Modifikationen eines Mediums (z. B. die in einer CD-ROM entstehenden Pits), die durch das Speichern eines Programms hervorgerufen werden, was die Kammer wohl unter Nummer 9.3 der Entscheidungsgründe sagen wollte: "[K]lar ist, dass die Hardware ... nicht zu [der Erfindung] gehört. ... Klar ist ferner, dass ein gegebenenfalls zum Computerprogrammprodukt gehöriges computerlesbares Medium, auf dem das Programm gespeichert ist, nur das physische Trägermaterial für die Archivierung des Programms und damit Hardware darstellt."
10.2.4 Bedenkt man, dass nach Artikel 52 (1) EPÜ (sowohl 1973 als auch 2000) "europäische Patente ... für Erfindungen erteilt" werden, sofern sie neu, erfinderisch und gewerblich anwendbar sind, so macht die Argumentation unter Nummer 9.3 - wonach i) wenn ein Computerprogrammprodukt ein computerlesbares Medium umfasst, das Medium Hardware darstellt und ii) Hardware nicht zur Erfindung gehört - deutlich, dass nach Ansicht der Kammer ein Anspruch auf ein Computerprogrammprodukt das Patentierungsverbot des Artikels 52 (2) EPÜ nicht schon dadurch überwinden kann, dass er ein computerlesbares Medium umfasst. Die oben genannten Nummern 6.2 und 6.3 der Entscheidungsgründe lassen zumindest vermuten, dass nach Auffassung der Kammer auch ein beanspruchter Computer, in den ein Programm geladen wird, oder die Ausführung eines Programms auf einem Computer nicht ausreicht, um das Patentierungsverbot zu überwinden.
10.3 In der Entscheidung wurde der "technische Effekt ..., der über die "normale" physikalische Wechselwirkung zwischen dem Programm (Software) und dem Computer (Hardware), auf dem es läuft, hinausgeht" auch nach allgemeinem Sprachgebrauch als "weiterer technischer Effekt" bezeichnet (s. Nr. 9.4 der Entscheidungsgründe). Wie den obigen Zitaten zu entnehmen ist, galt als allgemeine Voraussetzung dafür, dass eine beanspruchte Erfindung nicht durch Artikel 52 (2) und (3) EPÜ von der Patentierung ausgeschlossen war, dass der Anspruchsgegenstand "technischen Charakter" hat. Im besonderen Fall eines Anspruchs auf ein Computerprogramm ist dieser "technische Charakter" daher nur dann gegeben, wenn das Programm bei seiner Ausführung einen "weiteren technischen Effekt" erzeugt. (Dieses Thema wird bei der Erörterung der Frage 4 wieder aufgegriffen.)
10.4 Bemerkenswert ist, dass bei der Definition des weiteren technischen Effekts unter Nummer 13 der Entscheidungsgründe nicht auf den Stand der Technik Bezug genommen wird. Laut dieser Entscheidung lässt sich also unabhängig vom Stand der Technik ermitteln, ob ein Anspruch auf ein Computerprogramm nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist. Das heißt, dass der festgestellte weitere technische Effekt nicht neu sein muss. Mit dieser Auffassung hat die Kammer bewusst den sogenannten Beitragsansatz aufgegeben, der in der älteren Rechtsprechung - nicht ganz konsistent - angewandt wurde. Dies war eindeutig eine gewollte Weiterentwicklung der Rechtsprechung (nachdem die inkonsistente frühere Rechtsprechung in einem mit "Patentability of computer-software-related inventions" überschriebenen Artikel des damaligen Vorsitzenden P. van den Berg in dem von Mitgliedern der Großen Beschwerdekammer herausgegebenen Werk "Zehn Jahre Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer im Europäischen Patentamt", 1996, Seiten 29 bis 47, thematisiert worden war). Soweit der Großen Beschwerdekammer bekannt ist, wurde die von der Kammer in T 1173/97 getroffene Wahl seither von keiner anderen Beschwerdekammerentscheidung infrage gestellt. Sie ist somit ständige Rechtsprechung und kann durch die vorliegende Stellungnahme aus den oben genannten Gründen nicht aufgehoben werden (s. Nr. 7).
10.5 In T 1173/97 wurde aus der Abkehr vom "Beitragsansatz" auch die folgende Konsequenz gezogen: "Die Ermittlung des technischen Beitrags, den eine Erfindung zum Stand der Technik leistet, ist daher eher ein probates Mittel zur Prüfung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit als zur Entscheidung der Frage, ob das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ greift" (Nr. 8 der Entscheidungsgründe, zweiter Absatz).
10.6 Für Leser, die mit der Fachsprache nicht vertraut sind, mag eine Analogie den Unterschied zwischen dem "Beitragsansatz" und dem von der Kammer in T 1173/97 herangezogenen Ansatz verdeutlichen. Die folgenden Ausführungen sind jedoch nur zur Veranschaulichung gedacht und nicht definitiv.
Angenommen, in einer Patentanmeldung wird eine Tasse mit einem bestimmten Bild (z. B. einem Unternehmenslogo) beansprucht. Die Kammer nimmt weiter an, dass dem Bild kein Effekt zugeschrieben wird, der über Information, "Markenbewusstsein" oder ästhetischen Genuss hinausgeht. Dem "Beitragsansatz" zufolge sind Tassen bekannt, sodass der "Beitrag zum Stand der Technik" nur auf einem nach Artikel 52 (2) EPÜ von der Patentierung ausgeschlossenen Gebiet liegt und die Anmeldung gemäß dieser Bestimmung zurückgewiesen werden kann, d. h. man geht davon aus, dass sich die europäische Patentanmeldung (vgl. Artikel 52 (3) EPÜ) auf eine ästhetische Formschöpfung, auf die Wiedergabe von Informationen oder möglicherweise sogar auf ein Verfahren für geschäftliche Tätigkeiten "als solches" bezieht.
Dem Ansatz nach T 1173/97 zufolge ist der beanspruchte Gegenstand für die Zwecke des Artikels 52 (2) EPÜ unabhängig vom Stand der Technik zu betrachten. Unter diesem Gesichtspunkt ist ein Anspruch auf eine Tasse eindeutig nicht durch Artikel 52 (2) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen. Ob der Anspruch auch noch das Merkmal aufweist, dass die Tasse mit einem bestimmten Bild versehen ist, ist unerheblich. Dieser Ansatz wurde, jedenfalls so, wie er z. B. in T 258/03, Hitachi (ABl. EPA 2004, 575) und T 424/03 formuliert wurde, in einigen der Amicus-curiae-Schriftsätze als "Any-hardware"- oder "Any-technical-means"-Ansatz bezeichnet.
10.7 In einer Reihe von Entscheidungen haben sich die Beschwerdekammern (und insbesondere die Kammer 3.5.01) mit dieser Folge der Abkehr vom Beitragsansatz auseinandergesetzt. Zuerst wurde in T 931/95, Pension Benefit Systems (ABl. EPA 2001, 441) entschieden, dass eine Vorrichtung zur Ausführung einer Tätigkeit, die als solche durch Artikel 52 (2) und (3) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sei, ihrerseits nicht vom Patentschutz ausgeschlossen sei (Leitsatz III). Insbesondere sei ein Anspruch auf einen Computer, in den ein Programm geladen wurde, nicht durch Artikel 52 (2) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen, auch wenn das Programm selbst ausgeschlossen wäre, d. h. wenn das Programm bei der Ausführung keinen "weiteren technischen Effekt" hervorruft. Auf Verfahren, die technische Mittel verwenden, wurde diese Logik allerdings nicht ausgedehnt (Leitsatz II). Im Hinblick auf Verfahren wurde diese Auffassung durch T 258/03, Hitachi explizit insoweit verworfen (Leitsatz I), als man darin zu dem Schluss kam, dass ein Anspruch, der technische Mittel umfasst, nicht durch Artikel 52 (2) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen sei (Nrn. 3 und 4 der Entscheidungsgründe), und da ein Anspruch für ein Verfahren zum Betrieb eines Computers einen Computer umfasse, könne er nicht durch Artikel 52 (2) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen sein. Keine dieser Entscheidungen befasste sich jedoch mit der Frage, ob ein Anspruch für ein Programm auf einem computerlesbaren Medium unter das Patentierungsverbot fällt. In T 424/03, Microsoft wurde die Begründung aus T 258/03 schließlich dahin gehend ausgeweitet, dass ein Anspruch für ein Programm (im betreffenden Anspruch "durch Computer ausführbare Anweisungen") auf einem computerlesbaren Medium ebenfalls zwingend dem Patentierungsverbot des Artikels 52 (2) EPÜ entgeht (s. Orientierungssatz 2 und Nr. 5.3 der Entscheidungsgründe: "Der Gegenstand des Anspruchs 5 hat technischen Charakter, weil er sich auf ein computerlesbares Medium bezieht, d. h. auf ein technisches Erzeugnis, das einen Datenträger umfasst (s. Entscheidung T 258/03 - Auktionsverfahren/Hitachi ...)"). Diese Aussage ist ziemlich klar und steht bereits für sich als ausreichende Begründung dafür, dass der Anspruch nicht durch Artikel 52 (2) EPÜ ausgeschlossen ist.
10.7.1 In der Entscheidung T 424/03 wurde darüber hinaus festgestellt (ebenfalls in Nr. 5.3 der Entscheidungsgründe), dass das betreffende Programm bei seiner Ausführung das Potenzial zur Erzielung eines weiteren technischen Effekts habe und dadurch ebenfalls zum technischen Charakter des Anspruchsgegenstands beitrage. Dies war jedoch gar nicht erforderlich für die Schlussfolgerung, dass der beanspruchte Gegenstand nicht unter das Patentierungsverbot fiel, denn nach der Begründung in T 258/03 reichte die Beanspruchung beliebiger technischer Mittel aus, um das Patentierungsverbot des Artikels 52 (2) EPÜ zu überwinden. Die Frage, ob das Programm selbst bei der Ausführung einen "weiteren technischen Effekt" hervorrufe und damit ebenfalls als technisches Mittel bezeichnet werden könne, war nur für die Feststellung der erfinderischen Tätigkeit von Bedeutung - parallel zu diesen Entscheidungen hatte die Kammer einen Ansatz zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit entwickelt und dabei der Tatsache Rechnung getragen, dass einige Anspruchsmerkmale isoliert betrachtet unter die Ausschlussbestimmungen des Artikels 52 (2) EPÜ fallen könnten (Näheres dazu s. T 154/04, Duns, ABl. EPA 2008, 46). Wichtig bei diesem Ansatz ist, welche Merkmale zum technischen Charakter des Anspruchsgegenstands beitragen, denn nur diese werden bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt. In der Sache T 424/03 waren sowohl das computerlesbare Medium als auch das Programm selbst Merkmale, die dem Gegenstand eines bestimmten Anspruchs als Ganzem technischen Charakter verliehen, weshalb beide bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt wurden.
10.7.2 So war die Kammer letztlich zu einem Schluss gelangt, der klar im Widerspruch zu der Position (bzw. einer der Positionen) der Entscheidung T 1173/97 stand. In T 1173/97 hieß es: "Darüber hinaus ist die Kammer der Ansicht, dass es im Hinblick auf das Patentierungsverbot gemäß Artikel 52 (2) und (3) EPÜ keinen Unterschied macht, ob ein Computerprogramm allein beansprucht wird oder als Aufzeichnung auf einem Datenträger ..." (Nr. 13 der Entscheidungsgründe), während in T 424/03 festgestellt wurde: "Der Gegenstand des Anspruchs 5 hat technischen Charakter, weil er sich auf ein computerlesbares Medium bezieht, d. h. auf ein technisches Erzeugnis, das einen Datenträger umfasst (s. Entscheidung T 258/03 - Auktionsverfahren/Hitachi ...)" (Nr. 5.3 der Entscheidungsgründe).
10.8 In diesem Punkt bestand also ein Unterschied zwischen den in T 1173/97 und T 424/03 vertretenen Positionen. Zu klären bleibt jedoch, ob dieser Unterschied eine Abweichung darstellt, die eine präsidiale Vorlage rechtfertigt. Die Überlegungen, die es dabei zu beachten gilt, wurden vorstehend in den Nummern 5 bis 7 erörtert.
10.8.1 Beide Verfahren wurden von der Kammer 3.5.01 als Organisationseinheit entschieden, allerdings in völlig unterschiedlicher Besetzung, so dass eine Vorlage auf der Grundlage dieser beiden Entscheidungen nicht ausgeschlossen ist (s. vorstehend Nr. 6). Es spricht jedoch einiges dafür, dass der Unterschied als Weiterentwicklung der Rechtsprechung behandelt werden sollte, wie vorstehend unter Nummer 7.3 erörtert.
Als Erstes und Wichtigstes ist festzuhalten, dass in der Vorlage nicht eine einzige Entscheidung einer Beschwerdekammer des EPA genannt wird und es auch nach Kenntnis der Großen Beschwerdekammer keine gibt, die der Entscheidung T 1173/97 in diesem Punkt folgt (obwohl T 1173/97 offensichtlich als wegweisend angesehen wird, was ihre Definition des "weiteren technischen Effekts" und die Abkehr vom Beitragsansatz beim Patentierungsausschluss betrifft).
10.8.2 Zweitens wurde die in T 424/03 getroffene Schlussfolgerung später in keiner Entscheidung infrage gestellt; sie erfolgte auch nicht isoliert, sondern kam vielmehr als letzte in einer Reihe von Entscheidungen zustande, deren Logik durchgängig ist, und es gibt, zumindest nach Wissen der Kammer, auch keine spätere Entscheidung einer Beschwerdekammer des EPA, die sie infrage gestellt hätte (nationale Gerichtsurteile sind etwas anderes, können aber - wie vorstehend unter Nr. 5 erörtert - in Bezug auf die Zulässigkeit nicht herangezogen werden). Um dem Leser den Überblick zu erleichtern, fasst die Kammer diese Logik aus ihrer Sicht im Folgenden zusammen.
10.8.3 Wie vorstehend erläutert, hat die Kammer in der Sache T 1173/97 den "Beitragsansatz" bewusst aufgegeben und darüber hinaus die Ansicht vertreten (Nr. 13 der Entscheidungsgründe), dass "es im Hinblick auf das Patentierungsverbot gemäß Artikel 52 (2) und (3) EPÜ keinen Unterschied macht, ob ein Computerprogramm allein beansprucht wird oder als Aufzeichnung auf einem Datenträger ...". Im Gesamtkontext der Rechtsprechung der Beschwerdekammern sind diese zwei Positionen allerdings widersprüchlich.
10.8.4 In T 1173/97 wird erklärt, dass ein Anspruch auf ein Computerprogramm nicht unter das Patentierungsverbot fällt, wenn das Programm bei seiner Ausführung einen "weiteren technischen Effekt" erzeugt, d. h. einen technischen Effekt, der über diejenigen technischen Effekte hinausgeht, die bei der Ausführung eines jeden Programms zwangsläufig entstehen. Ferner heißt es, dass dieser "weitere technische Effekt" nicht neu sein müsse und bei der Beurteilung, ob ein solcher "weiterer technischer Effekt" vorliegt, kein Vergleich mit dem Stand der Technik angestellt werden sollte. Es kann nicht beabsichtigt gewesen sein, bei Computerprogrammen keinen Vergleich mit dem Stand der Technik anzustellen, bei anderen beanspruchten Gegenständen hingegen schon. Daher kann gefolgert werden, dass die Beurteilung, ob ein Gegenstand nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ von der Patentierung ausgeschlossen ist, gemäß T 1173/97 stets unabhängig vom Stand der Technik zu erfolgen hat.
10.8.5 Nach diesem Prinzip ist ein Anspruch auf eine bestimmte Art von computerlesbarem Speichermedium mit bestimmten Spezialeigenschaften, z. B. eine Blu-Ray-Disk, offensichtlich nicht durch Artikel 52 (2) und (3) EPÜ von der Patentierung ausgeschlossen, unabhängig davon, ob es zum maßgebenden Zeitpunkt neu ist oder nicht. Bei konsequenter Anwendung dieses Prinzips muss aber gar keine spezielle Art von Speicher beansprucht werden - "Ein computerlesbares Datenspeichermedium" ohne Angabe weiterer Details weist die "technischen Effekte" auf, computerlesbar zu sein und Daten speichern zu können. Da die Auflistung in Artikel 52 (2) EPÜ keine Angabe enthält, die sich auf computerlesbare Medien als solche bezieht, fällt auch das Erfordernis eines "weiteren" Effekts weg, der über die grundlegenden Eigenschaften eines computerlesbaren Speichermediums hinausgeht. Kurz gesagt, in der Logik von T 1173/97 ist folgender Anspruch nicht durch Artikel 52 (2) und (3) EPÜ von der Patentierung ausgeschlossen: "Computerlesbares Speichermedium".
10.8.6 In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern findet sich kein Hinweis darauf, dass ein Anspruch aufgrund einer Beschränkung unter die Ausschlussbestimmungen des Artikels 52 (2) und (3) EPÜ fallen könnte, was eine Gewichtung der Merkmale erfordern würde oder eine Entscheidung darüber, welche Merkmale das "Wesen" der Erfindung ausmachen (vgl. T 26/86, Koch & Sterzel, ABl. EPA 1988, 19, Nr. 3.4 der Entscheidungsgründe und T 769/92, Sohei, ABl. EPA 1995, 525, Leitsatz I). Anders verfuhr dagegen beispielsweise das Bundespatentgericht, wo die Gewichtung von Merkmalen einige Zeit üblich war (bekannt als "Kerntheorie", siehe z. B. Ganahl, Ist die Kerntheorie wieder aktuell?, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 2003, 537). Da also der Anspruch "Ein computerlesbares Speichermedium" nicht unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (2) und (3) EPÜ fällt, fällt nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern der Anspruch "Ein computerlesbares Speichermedium, das ein Computerprogramm X speichert" ebenso wenig darunter (vgl. "Eine Tasse, die mit dem Bild X dekoriert ist").
10.8.7 Es ließe sich einwenden, dass zwar "Eine Blu-Ray-Disk, auf die das Programm X geschrieben ist" dem Patentierungsverbot des Artikels 52 (2) EPÜ entgehen würde, dass aber "Ein computerlesbares Speichermedium, auf das das Programm X geschrieben ist" unter das Verbot fallen sollte. Die einzige für die Große Beschwerdekammer vorstellbare Basis für dieses Argument wäre, dass das Merkmal "computerlesbares Speichermedium" seinen technischen Charakter verliert, weil es zu allgemein oder "funktionell definiert" ist. Der Großen Beschwerdekammer ist jedoch keine Rechtsprechung bekannt, die diese Sichtweise unterstützen würde.
10.8.8 Die in T 424/03 vertretene Position, dass ein Anspruch für ein Programm auf einem computerlesbaren Speichermedium zwangsläufig nicht unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (2) und (3) EPÜ fällt, ist eigentlich eine Konsequenz aus den in T 1173/97 dargelegten Grundsätzen; die in dieser Entscheidung vertretene gegenteilige Auffassung ist mit ihren eigenen Prämissen unvereinbar. Anscheinend hat die Kammer in dieser Sache implizit eine Position bezogen, die sich an das "Wesen der Erfindung" anlehnt ("... dass die Hardware ... [nicht] zu der Erfindung ... gehört. ... Klar ist ferner, dass ein gegebenenfalls zum Computerprogrammprodukt gehöriges computerlesbares Medium, auf dem das Programm gespeichert ist, nur das physische Trägermaterial für die Archivierung des Programms und damit Hardware darstellt"). Wie schon erläutert, findet ein solcher Ansatz aber keine Stütze in der allgemeinen Rechtsprechung der Beschwerdekammern.
Die obigen Argumente gelten unvermindert auch für Ansprüche, in denen ein Computer "erwähnt wird" (wie es in der Vorlagefrage 2 heißt).
10.9 Unmittelbar auf die Zulässigkeit der Vorlagefrage bezogen, ist ferner festzuhalten, dass zwischen dem Ergehen der beiden Entscheidungen rund sieben Jahre liegen, ein Zeitraum, der aus juristischer Sicht zwar nicht sehr lang, aber dennoch mit dem Begriff der Weiterentwicklung der Rechtsprechung vereinbar ist.
10.10 Es mag bedauerlich sein, dass die Kammer in T 424/03 ihre Abkehr von einer früheren Entscheidung nicht erwähnt hat, wie dies in Artikel 20 (1) (vorher Artikel 15 (1)) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern vorgesehen ist. Die Große Beschwerdekammer hält dies allein jedoch nicht für ausreichend, um diesem Vorgehen den Charakter einer legitimen Entwicklung der Rechtsprechung abzusprechen.
10.11 Auch wenn der Verfahrensausgang nicht der entscheidende Faktor für die Zulässigkeit einer Vorlage ist (s. vorstehend Nr. 7.3.7), verweist die Große Beschwerdekammer zudem darauf, dass die Vorlage keinen Hinweis darauf enthält, dass die Änderung der Vorgehensweise von Artikel 52 (2) EPÜ zu Artikel 56 EPÜ irgendeine Auswirkung auf das Endergebnis von T 424/03 hatte.
10.12 Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer weicht die Entscheidung T 424/03 somit zwar durchaus von einem in T 1173/97 vertretenen Standpunkt ab, stellt aber eine legitime Weiterentwicklung der Rechtsprechung dar, und, nachdem sich keine Kammer in dieser einen Frage der Entscheidung T 1173/97 angeschlossen hat, liegt keine Abweichung vor, die eine präsidiale Vorlage dieses Punkts an die Große Beschwerdekammer erlauben würde. Frage 1 ist somit unzulässig.
10.13 Die gegenwärtige Position der Rechtsprechung sieht folglich so aus, dass (wenn man die Schlussfolgerung im Einklang mit der Vorlagefrage 2 formuliert) ein Anspruch auf dem Gebiet der Programme für Datenverarbeitungsanlagen das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ allein schon dadurch überwinden kann, dass ausdrücklich die Verwendung einer Datenverarbeitungsanlage oder eines computerlesbaren Datenspeichermediums erwähnt wird. Jegliche Darlegung dieser Position wäre jedoch unvollständig ohne den Hinweis darauf, dass aus der Rechtsprechung der Beschwerdekammern seit T 1173/97 auch ganz klar hervorgeht, dass - wenn ein Anspruch auf das Programm X unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (2) und (3) EPÜ fällt - ein Anspruch, der nichts Näheres spezifiziert als "Programm X auf einem computerlesbaren Speichermedium" oder "Verfahren zum Betrieb eines Computers gemäß Programm X" immer noch nicht patentierbar wäre, weil er nach den Artikeln 52 (1) und 56 EPÜ nicht erfinderisch ist. Es ändert sich lediglich der anzuwendende EPÜ-Artikel. Der Großen Beschwerdekammer ist bewusst, dass die Zurückweisung wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit statt eines Ausschlusses nach Artikel 52 (2) EPÜ für viele in gewisser Weise ungewohnt ist, doch wurde dieser Ansatz seit T 1173/97 konsequent entwickelt, und da in der Vorlage keine Abweichungen von dieser Entwicklung aufgezeigt wurden, sieht die Große Beschwerdekammer aus den oben genannten Gründen ihre Aufgabe in dieser Stellungnahme nicht darin, diese Entwicklung rückgängig zu machen (s. Nr. 7.3.8).
10.13.1 In Abschnitt 3.1.IV der Vorlage, "Konsequenzen" (Seite 6), heißt es, dass "der Argumentation von T 424/03 zufolge ... die Überwindung des Patentierungsverbots für Computerprogramme eine reine Formsache [wäre], da der Anspruch lediglich als computerimplementiertes Verfahren oder als Computerprogrammprodukt formuliert werden müsste." Halten sich die Kammern tatsächlich weiter an die Leitlinien der Entscheidung T 1173/97, so folgt daraus, dass ein Anspruch auf ein computerimplementiertes Verfahren oder ein Computerprogramm auf einem computerlesbaren Speichermedium nie unter die Ausschlussbestimmungen des Artikels 52 (2) und (3) EPÜ fällt, genauso wenig wie ein Anspruch für ein Bild auf einer Tasse. Das bedeutet aber nicht, dass die Auflistung von Gegenständen in Artikel 52 (2) EPÜ (die insbesondere "Programme für Datenverarbeitungsanlagen" enthält) bei solchen Ansprüchen nicht greifen würde. Es wurde ein differenziertes System entwickelt, um deren Wirkung bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen (s. T 154/04, Duns). Die Große Beschwerdekammer hat in dieser Stellungnahme nicht zu beurteilen, ob dieses System korrekt ist, denn keine der vorgelegten Fragen bezieht sich direkt auf seine Anwendung. Ihre häufige Anwendung in Beschwerdekammerentscheidungen macht aber deutlich, dass die Auflistung der "Nichterfindungen" in Artikel 52 (2) EPÜ bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands eine sehr wichtige Rolle spielen kann.
10.13.2 Es überrascht, nebenbei bemerkt, freilich etwas, dass in keiner der Vorlagefragen thematisiert wird, ob diese Art der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit überhaupt stichhaltig ist, denn dieser Punkt dürfte von allgemeinem Interesse sein (und sollte auf Anregung von Lord Justice Jacob der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden - "Wie ist bei der Prüfung einer Erfindung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit gemäß den Artikeln 54 und 56 EPÜ mit den Teilen eines Anspruchs zu verfahren, die sich auf einen ausgeschlossenen Gegenstand beziehen?", Aerotel/Macrossan, 76, Frage 2). Die Kammer kann nur vermuten, dass die Präsidentin in diesem Punkt keinerlei Abweichung in der Rechtsprechung erkannt hat, obwohl (bisher) in rund 70 Entscheidungen von insgesamt 15 verschiedenen Kammern (im Sinne von Organisationseinheiten) T 641/00, COMVIK (ABl. EPA 2003, 352) und in über 40 Entscheidungen von acht Kammern T 258/03, Hitachi angeführt wird, die diesen Ansatz im Wesentlichen geprägt haben. Auch der Großen Beschwerdekammer ist keinerlei Divergenz in dieser Rechtsprechung bekannt, was darauf schließen lässt, dass die Kammern generell gut damit zurechtkommen. Offenbar hat die Rechtsprechung, wie in T 154/04 zusammengefasst, ein praktikables System dafür entwickelt, patentwürdige Innovationen abzugrenzen.
11. Frage 2
"a) Kann ein Anspruch auf dem Gebiet der Programme für Datenverarbeitungsanlagen das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ allein schon dadurch überwinden, dass ausdrücklich die Verwendung einer Datenverarbeitungsanlage oder eines computerlesbaren Datenspeichermediums erwähnt wird?
b) Wenn Frage 2 a verneint wird, ist zur Überwindung des Patentierungsverbots eine weitere technische Wirkung erforderlich, die über die Wirkungen hinausgeht, die mit der Verwendung einer Datenverarbeitungsanlage oder eines Datenspeichermediums zur Ausführung bzw. Speicherung eines Programms für Datenverarbeitungsanlagen inhärent verbunden sind?"
Zulässigkeit
11.1 Wiederum muss die Frage zunächst ausgelegt werden, auch wenn die Intention in diesem Fall recht klar ist. Ungeachtet der Formulierung "allein schon dadurch, dass ... ausdrücklich ... erwähnt wird" kann davon ausgegangen werden, dass die Vorlage von einer funktionellen Beziehung wie "Verfahren zum Betrieb einer Datenverarbeitungsanlage gemäß Programm X" ausgeht.
11.2 In der Vorlage heißt es, dass "einem Anspruch auf Computerprogramme und einem Anspruch auf ein computerimplementiertes Verfahren derselbe Schutzumfang zugesprochen werden" kann und dass "der Schutzumfang eines Verfahrensanspruchs auch ein Computerprogramm zur Ausführung dieses Verfahrens umfassen [würde]" (beides s. Vorlage, Seite 8), was nicht ganz dasselbe sein dürfte, denn Letzteres lässt anklingen, dass der Schutzumfang des Verfahrensanspruchs größer sein könnte als der eines Anspruchs auf ein Computerprogramm. Es wird sodann auf T 258/03 verwiesen, wonach ein Verfahren, das technische Mittel umfasst, nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist (s. Leitsatz I). Nachdem Verfahrens- und Programmansprüche gleichwertig seien, liege eine Unvereinbarkeit mit dem Erfordernis der Entscheidung T 1173/97 vor, der zufolge Programme für Datenverarbeitungsanlagen einen "weiteren technischen Effekt" aufweisen müssen, um das Patentierungsverbot des Artikels 52 (2) EPÜ zu überwinden.
11.2.1 Das Argument dafür, dass Ansprüche auf Computerprogramme und Ansprüche auf computerimplementierte Verfahren denselben Schutzumfang haben, lautet wie folgt:
"Verfahrensansprüche sind im Wesentlichen eine Abfolge von Anweisungen oder Schritten, die von einer dazu geeigneten Entität auszuführen sind (dies könnte eine Person, eine Maschine, eine Kombination derselben oder eben eine Datenverarbeitungsanlage sein). Ein computerimplementiertes Verfahren entspricht dem besonderen Fall, dass die Entität zur Ausführung der Schritte eine Datenverarbeitungsanlage ist. Analog dazu ist ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen eine Abfolge von Anweisungen oder Schritten, die ein Verfahren darstellen, bei dem die Anweisungen oder Schritte von einer Datenverarbeitungsanlage ausgeführt werden. Demnach kann einem Anspruch auf Computerprogramme und einem Anspruch auf ein computerimplementiertes Verfahren derselbe Schutzumfang zugesprochen werden" (Vorlage, Seite 8).
Dabei geht diese Argumentation wohlgemerkt davon aus, dass die beanspruchten Merkmale tatsächlich dieselben sind, und es nicht um den Schutzbereich z. B. im Sinne von Artikel 123 (3) EPÜ geht.
11.2.2 Diese Argumentation scheint zwei logische Schwachstellen aufzuweisen. Die erste besteht in der Aussage, dass ein Verfahren von dem Gerät, auf dem es ausgeführt wird (bzw. werden soll), getrennt werden kann, was als allgemeine Feststellung vorgebracht und nicht auf computerimplementierte Verfahren beschränkt wird. Dies ist eindeutig nicht zutreffend. Ein "Verfahren zum Betrieb einer Schuhputzmaschine, umfassend das Positionieren eines Schuhs, sodass eine in einer Richtung rotierende Fläche berührt wird ..." erfordert ganz klar das Vorhandensein und die Einbeziehung der Schuhputzmaschine.
11.2.3 Die zweite logische Schwachstelle besteht darin, dass eine Befehlsfolge zur Ausführung von Schritten offenbar mit den Schritten selbst verwechselt wird. Dies zeigt sich bereits in den "Begriffsbestimmungen" der Vorlage ("Ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen ist eine Abfolge von Schritten (Anweisungen) ..."). In der Logik muss generell zwischen einem Objekt und einem Namen oder einer Beschreibung des Objekts unterschieden werden. Man nehme folgenden Beweis:
Tiger fressen Fleisch. Fleisch ist ein Wort. Also fressen Tiger Wörter.
Die Ableitung ist natürlich falsch, und zwar deshalb, weil "Fleisch" in den zwei Prämissen unterschiedlich verwendet wird. In der zweiten Prämisse geht es nicht um die Substanz Fleisch, sondern um die Benennung der Substanz. Dies sind zweierlei Dinge, und der Unterschied wird in der Regel dadurch kenntlich gemacht, dass man die Benennung in Anführungszeichen setzt. Eine berühmte, aber ungleich kompliziertere Illustration für diese Art von Wortspiel findet man in Lewis Carrolls "Through the Looking Glass (and what Alice Found There)" unter dem Suchbegriff "The name of the song is called". In derart komplizierten Situationen kann man leicht die Namen oder Benennungen und die Dinge, auf die sie sich beziehen, verwechseln.
11.2.4 In der vorliegenden Sache besteht ein logischer Unterschied zwischen einem Verfahren, das von einem Computer durchgeführt wird, und der sequenziellen Liste von Anweisungen, die dieses Verfahren spezifizieren. Dieser Unterschied ist durchaus real; man stelle sich beispielsweise ein Programm mit einer Anweisung vor, die den Wert einer Variablen erhöht. Diese Anweisung gibt es in dem Programm vielleicht nur einmal, wenn sie aber in einer Schleife auftritt (z. B. in einer While-Schleife), so kann im Zuge des entsprechenden, von einem Computer durchgeführten Verfahrens der Schritt der Erhöhung viele Male vorgenommen werden. Ein Computer, in den eine Befehlsfolge geladen wird, oder ein computerlesbares Medium, auf dem eine Befehlsfolge gespeichert ist, sind mögliche Ausdrucksweisen. Dagegen erscheint die Begrifflichkeit eines Computers (oder eines anderen Geräts), in den ein Verfahren "geladen" wird, oder eines computerlesbaren Mediums, auf dem ein Verfahren "gespeichert" wird, sinnlos. Ein Sinn ergibt sich daraus nur, wenn man sie als Auslassung versteht für einen Computer, in den Befehle zur Durchführung eines Verfahrens geladen bzw. als computerlesbares Medium, auf dem Befehle zur Durchführung eines Verfahrens gespeichert werden.
11.2.5 Da Formulierungen wie "ein in einen Computer geladenes Programm" oder "eine Disk, auf der ein Computerprogramm gespeichert ist" auf diesem Gebiet gang und gäbe sind, geht die Große Beschwerdekammer davon aus, dass Fachleute das Wort "Programm" stellvertretend für die Befehlsfolge verstehen, die ein Verfahren spezifiziert, und nicht als das Verfahren selbst. (Dieser Punkt wurde nur in ganz wenigen Amicus-curiae-Stellungnahmen angesprochen, wo dies aber der Fall war, wurde genau diese Position vertreten, mitunter in sehr energischen Worten.)
11.2.6 Die diesbezügliche Verwechslung in der Vorlage scheint daher zu rühren, dass ein Verfahrensanspruch, der eine Beschreibung (oder zumindest eine Abgrenzung) eines Verfahrens ist, mit dem Verfahren gleichgesetzt wird, das er abgrenzt: "Verfahrensansprüche sind im Wesentlichen eine Abfolge von Anweisungen oder Schritten, ... Analog dazu ist ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen eine Abfolge von Anweisungen oder Schritten, die ein Verfahren darstellen, bei dem die Anweisungen oder Schritte von einer Datenverarbeitungsanlage ausgeführt werden. Demnach kann einem Anspruch auf Computerprogramme und einem Anspruch auf ein computerimplementiertes Verfahren derselbe Schutzumfang zugesprochen werden."
11.2.7 Während bei korrekter Auslegung ein Unterschied zwischen einem Computerprogramm und dem entsprechenden computerimplementierten Verfahren besteht, ist durchaus denkbar, dass trotzdem eine Abweichung in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern entstanden ist, weil die Kammern das Wort "Programm" falsch verwendet haben. In der Vorlage wird geltend gemacht, dass auch in zwei Entscheidungen die Auffassung vertreten wird, dass einem Anspruch auf ein Computerprogramm derselbe Schutzumfang zugesprochen werden könne wie einem Anspruch auf ein computerimplementiertes Verfahren (bzw. dass das Verfahren das Programm umfasst), nämlich in T 1173/97 unter Nummer 9.6 der Entscheidungsgründe, zweiter Absatz, Zeilen 1 bis 4, und in T 38/86, IBM (ABl. EPA 1990, 384), Nummer 14 der Entscheidungsgründe (Vorlage, Seite 8). Auch wenn das Argument der Vorlage, ein Programm sei dasselbe wie ein Verfahren, nicht überzeugend ist, muss doch in Betracht gezogen werden, ob die Kammern nicht in den Fällen, die die Vorlage als Beleg anzieht, mit dem Begriff "Computerprogramm" eigentlich ein Verfahren gemeint haben.
11.2.8 Das erste Zitat (d. h. T 1173/97, Nr. 9.6 der Entscheidungsgründe, zweiter Absatz, Zeilen 1 bis 4) lautet: "Es versteht sich von selbst, dass ein Anspruch für ein solches Computerprogrammprodukt alle Merkmale enthalten muss, die die Patentfähigkeit des Verfahrens gewährleisten, das das Produkt ausführen soll, wenn es auf einem Computer läuft." Dies lässt sich jedoch ohne Weiteres als Bezugnahme auf die Befehle auslegen, die das Programm ausmachen. Es impliziert nicht, dass die Kammer in T 1173/97 die Merkmale eines Anspruchs auf ein Computerprogrammprodukt zwingend als Verfahrensschritte aufgefasst hat. Tatsächlich vermittelt der direkt anschließende Satz genau den gegenteiligen Eindruck: "Durch Laden des Computerprogrammprodukts wird aus dem programmierten Computer eine Vorrichtung, die ihrerseits das betreffende Verfahren ausführen kann." Dies lässt eher darauf schließen, dass die Kammer in der betreffenden Sache Computerprogramme genauso aufgefasst hat wie die Große Beschwerdekammer.
11.2.9 Das zweite Zitat (d. h. T 38/86, IBM, Nr. 14 der Entscheidungsgründe) lautet: "Auch wenn ein Computerprogramm in Anspruch 1 nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist für einen fachkundigen Leser klar, dass der Anspruch die Verwendung eines Computerprogramms abdeckt; tatsächlich wird im einzigen Ausführungsbeispiel, das in der Anmeldung offenbart ist, das Textverarbeitungssystem mittels eines im Speicher gespeicherten Programm- und Datensatzes gesteuert." Anspruch 1 war ein Verfahrensanspruch. Das besagt aber nicht, dass ein Computerprogramm ein Verfahren ist, sondern lediglich, dass der Anspruch durch die Verwendung eines Computerprogramms erfüllt werden kann. Das oben erwähnte Schuhputzverfahren kann durch eine bestimmte Verwendung der Schuhputzmaschine ausgeführt werden, was aber nicht heißt, dass Ansprüche auf die Maschine und auf das Verfahren denselben Schutzumfang haben oder dass der Schutzumfang des Verfahrens den der Maschine mit umfasst. Allenfalls umfasst der Schutzumfang (im Sinne des gewährten Schutzbereichs) eines Anspruchs auf die Maschine auch den Schutzumfang eines Anspruchs auf ein Verfahren zur Nutzung der Maschine - siehe G 2/88 (ABl. EPA 1990, 93, Leitsätze I und II).
11.3 Somit wurde in der Vorlage keine Abweichung in der Rechtsprechung aufgezeigt, die diese Frage stützt; sie ist daher nicht zulässig.
12. Frage 3
"a) Muss ein beanspruchtes Merkmal eine technische Wirkung auf einen physikalischen Gegenstand in der realen Welt hervorrufen, um einen Beitrag zum technischen Charakter des Anspruchs zu leisten?
b) Wenn Frage 3 a bejaht wird, ist als physikalischer Gegenstand eine nicht näher bestimmte Datenverarbeitungsanlage ausreichend?
c) Wenn Frage 3 a verneint wird, können Merkmale einen Beitrag zum technischen Charakter eines Anspruchs leisten, wenn die einzigen Wirkungen, zu denen sie beitragen, unabhängig von der jeweils verwendeten Hardware sind?"
Zulässigkeit
12.1 Nach der Vorlage ergibt sich eine Abweichung aus folgendem Sachverhalt: "In den Entscheidungen T 163/85 [BBC, ABl. EPA 1990, 379] und T 190/94 [Mitsubishi, vom 26. Oktober 1995] wurde eine technische Wirkung auf einen physikalischen Gegenstand in der realen Welt als erforderlich angesehen. In T 125/01 [Henze, vom 11. Dezember 2002] und T 424/03 war dies hingegen nicht der Fall. In diesen Entscheidungen waren die technischen Wirkungen im Wesentlichen auf die jeweiligen Programme für Datenverarbeitungsanlagen beschränkt" (Vorlage, Seite 10).
12.2 Bei dieser Behauptung gibt es zwei offenkundige Probleme. Das erste besteht darin, dass sich die Vorlagefrage auf Einzelmerkmale und nicht auf den Anspruchsgegenstand als Ganzes bezieht. In der Vorlage ist eine auf einzelne Merkmale bezogene Passage der angezogenen Entscheidungen nicht angeführt, und auch die Große Beschwerdekammer kann eine solche nicht entdecken. In der Vorlage wird bei der Erörterung der angeblichen Abweichung in der Tat nicht einmal erwähnt, dass es in der Frage um Einzelmerkmale geht.
12.2.1 Dies ist ein wichtiger Punkt. Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern im Ganzen ist insoweit konsistent, dass es alle beanspruchten Merkmale zu betrachten gilt. Wie oben erwähnt, haben die Kammern Ansätze, die mit der Gewichtung von Merkmalen einhergehen oder mit der Entscheidung, welche Merkmale das "Wesen" der Erfindung ausmachen, stets vermieden. Zwar kann es vorkommen, dass im Zuge des COMVIK/Hitachi-Ansatzes bei der Entscheidung, ob eine erfinderische Tätigkeit vorliegt, einige Merkmale unberücksichtigt bleiben; zunächst aber werden alle Merkmale zusammen betrachtet, um zu bestimmen, ob der Anspruchsgegenstand technischen Charakter hat. Erst danach kann sich die Kammer der Frage zuwenden, welche beanspruchten Merkmale zum technischen Charakter beitragen und deshalb in die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit einbezogen werden sollten.
12.2.2 Es ist in der Tat ein fest verankerter Grundsatz, dass Merkmale, die isoliert betrachtet zu den nach Artikel 52 (2) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossenen Gegenständen gehören würden, dennoch zum technischen Charakter einer beanspruchten Erfindung beitragen können und deshalb nicht aus der Betrachtung der erfinderischen Tätigkeit ausgeklammert werden können. Dieser Grundsatz wurde bereits - wenn auch im Kontext des sogenannten Beitragsansatzes - in einer der frühesten Entscheidungen der Beschwerdekammern zu Artikel 52 (2) EPÜ festgelegt, nämlich in T 208/84, VICOM (Nr. 4 ff. der Entscheidungsgründe).
12.3 Das zweite Problem mit der angeblichen Abweichung liegt darin, dass nach der Vorlage die Entscheidungen T 163/85 und T 190/94 eine technische Wirkung auf einen physikalischen Gegenstand in der realen Welt als erforderlich ansehen sollen, was schlicht nicht stimmt. Sie haben lediglich akzeptiert, dass dies für die Überwindung des Patentierungsverbots ausreicht; für notwendig erklärt haben sie es nicht. Passagen, denen zufolge ein solcher Effekt erforderlich sein soll, sind in der Vorlage nicht angeführt und können auch von der Großen Beschwerdekammer nicht ausfindig gemacht werden.
12.4 Eine Abweichung ist daher nicht gegeben. Die zwei anderen angeführten Entscheidungen gingen davon aus, dass technische Wirkungen vorlagen; ob sie diese als technische Wirkungen auf einen physikalischen Gegenstand in der realen Welt auffassten, ist unerheblich.
12.5 Diese Frage ist somit ebenfalls unzulässig.
13. Frage 4
"a) Erfordert die Tätigkeit des Programmierens einer Datenverarbeitungsanlage notwendigerweise technische Überlegungen?
b) Wenn Frage 4 a bejaht wird, leisten dann alle Merkmale, die sich aus der Tätigkeit des Programmierens ergeben, einen Beitrag zum technischen Charakter eines Anspruchs?
c) Wenn Frage 4 a verneint wird, können Merkmale, die sich aus der Tätigkeit des Programmierens ergeben, nur dann einen Beitrag zum technischen Charakter eines Anspruchs leisten, wenn sie bei der Ausführung des Programms zu einer weiteren technischen Wirkung beitragen?"
Zulässigkeit
13.1 Auch diese Frage bedarf der Auslegung. Die Große Beschwerdekammer setzt voraus, dass mit der "Tätigkeit des Programmierens einer Datenverarbeitungsanlage" die geistige Tätigkeit gemeint ist, in deren Rahmen die in ein Computerprogramm aufzunehmenden Schritte ausgearbeitet werden, und nicht die bloße physische Tätigkeit der Eingabe eines Programms in einen Computer.
13.2 In der Vorlage wird (auf den Seiten 11 und 12) - nach Auffassung der Kammer zutreffend - festgestellt, dass die Entscheidung T 1177/97, SYSTRAN vom 9. Juli 2002 das Programmieren zumindest implizit immer mit technischen Überlegungen einhergehen sieht und dass davon auch die Entscheidung T 172/03, Ricoh vom 27. November 2003 ausgeht, weil sie den Fachmann, der - so die ausdrückliche Betonung - ein technischer Sachverständiger sei, als Softwareprojektteam verstehe, das aus Programmierern bestehe. Im Gegensatz dazu sei in T 833/91, IBM vom 16. April 1993, in T 204/93, AT&T vom 29. Oktober 1993 und in T 769/92, Sohei, ABl. EPA 1995, 525 die Auffassung vertreten worden, dass die Tätigkeit eines Programmierers - das Programmieren - eine gedankliche Tätigkeit sei, die unter das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) EPÜ falle.
13.3 Diese Positionen sind jedoch nicht widersprüchlich. Dies wird deutlich, wenn man denselben Sachverhalt auf einem nicht kontroversen Gebiet, etwa des Fahrradbaus betrachtet. Das Entwickeln eines Fahrrads geht eindeutig mit technischen (u. U. auch mit nichttechnischen, z. B. ästhetischen) Überlegungen einher, aber es ist ein Prozess, der zumindest anfänglich im Kopf des Ingenieurs stattfinden kann, d. h. es kann eine gedankliche Tätigkeit sein und wäre insoweit von der Patentierbarkeit ausgenommen, genau wie dies in den angeführten Entscheidungen T 833/91, T 204/93 und T 769/92 der Fall war (vgl. auch T 914/02, General Electric, vom 12. Juli 2005, Nr. 2.3 der Entscheidungsgründe, und T 471/05, Philips, vom 6. Februar 2007, Nrn. 2.1 und 2.2 der Entscheidungsgründe).
13.4 Somit erfüllt die Frage nicht das Erfordernis einer Abweichung in der Rechtsprechung und ist daher unzulässig.
13.5 Die Vorlage hat zwar nicht wirklich eine Abweichung in der Rechtsprechung aufgezeigt, es ist aber zumindest potenziell die Gefahr einer Verwechslung gegeben, die von der Annahme herrührt, dass technische Überlegungen genügen, um einem beanspruchten Gegenstand technischen Charakter zu verleihen - diese Haltung wurde offenbar in einigen Fällen vertreten (z. B. T 769/92, Sohei, Leitsatz I). In T 1173/97, IBM wird die Messlatte für Computerprogramme jedoch höher gelegt. Dort wird argumentiert, dass alle Computerprogramme technische Effekte haben, weil beispielsweise verschiedene Programme bei ihrer Ausführung bewirken, dass verschiedene elektrische Ströme in dem Computer fließen, auf dem sie laufen. Solche technischen Effekte reichen aber nicht aus, um den Programmen "technischen Charakter" zu verleihen. Sie müssen vielmehr weitere technische Effekte hervorrufen. Desgleichen dürfte es nach Auffassung dieser Kammer so sein, dass - auch wenn zugegebenermaßen jede Computerprogrammierung mit technischen Überlegungen einhergeht, da sie auf die Festlegung eines von einer Maschine ausführbaren Verfahrens gerichtet ist - dies allein nicht ausreicht, um dem aus der Programmierung hervorgehenden Programm technischen Charakter zu verleihen. Dazu muss der Programmierer technische Überlegungen angestellt haben, die über das "bloße" Ermitteln eines Computeralgorithmus zur Ausführung eines Verfahrens hinausgehen.
13.5.1 Das Definieren eines Computeralgorithmus kann unter zwei verschiedenen Aspekten betrachtet werden. Auf der einen Seite kann man es als rein mathematisch-logische Übung sehen, auf der anderen als Definieren eines Verfahrens, das bewirkt, dass eine Maschine eine bestimmte Aufgabe ausführt. So gibt beispielsweise Knuth, "The Art of Computer Programming", Volume 1/Fundamental Algorithms, zweite Auflage, 1973, eine rein abstrakte mathematische Definition eines Algorithmus und stellt unmittelbar danach fest: "Es gibt viele andere, im Wesentlichen äquivalente Wege, um das Konzept einer effektiven Berechnungsmethode zu formulieren (z. B. unter Verwendung von Turingmaschinen)" (Seiten 8 und 9). Turing hat in "On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem" ein rein mathematisches Ergebnis bewiesen, indem er eine hypothetische, aber plausible Maschine zur Ausführung von Algorithmen definierte ("The Essential Turing", Hrsg. B.J. Copeland, Clarendon Press, Oxford, 2004, Seiten 58 - 90). Je nachdem, welcher dieser Ansichten man den Vorzug gibt, kann man die Frage, ob das Programmieren von Datenverarbeitungsanlagen immer mit "technischen Überlegungen" einhergeht, verneinen oder bejahen. Offenbar können beide Ansichten mit voller Überzeugung vertreten werden, was am mangelnden Konsens der Amicus-curiae-Vorbringen abzulesen ist. Zu welcher Ansicht man tendiert, hängt davon ab, wie man den Begriff "technisch" intuitiv versteht. Die Verfasser des EPÜ wollten offenbar die verneinende Haltung einnehmen, d. h. die abstrakte Formulierung von Algorithmen als nicht zu einem Gebiet der Technik gehörend betrachten (s. z. B. den Hinweis auf die Travaux préparatoires in der Vorlage auf Seite 12). In T 1173/97 hob die Kammer auf den Effekt ab, den die Ausführung eines Algorithmus auf einem Computer hervorruft; sie stellte fest, dass es immer technische Effekte gibt, weshalb sie - weil sie die Haltung der Väter des Übereinkommens anerkannte - das Erfordernis eines "weiteren" technischen Effekts formulierte. Nur wenn ein Computerprogramm bei der Ausführung weitere technische Effekte hervorrufe, sei dem Programm ein technischer Charakter zuzuerkennen. Ebenso scheint die Tatsache, dass grundsätzlich die Formulierung eines jeden Computerprogramms technische Überlegungen in dem Sinne erfordert, dass der Programmierer ein von einer Maschine ausführbares Verfahren zu entwerfen hat, nicht auszureichen, um einen technischen Charakter des Programms (oder die Darstellung "technischer Mittel", wie es z. B. in T 258/03, Hitachi heißt) zu gewährleisten. Analog dazu würde man sagen, dass dies nur gewährleistet ist, wenn das Schreiben des Programms "weitere technische Überlegungen" erfordert.
Schlussfolgerung
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die vom 22. Oktober 2008 datierte Vorlage von Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer durch die Präsidentin des EPA ist nach Artikel 112 (1) b) EPÜ unzulässig.