4.4.6 Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 – neue Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel
In T 256/17 musste die Kammer entscheiden, ob sie zwei neue auf mangelnde erfinderische Tätigkeit gegründete Angriffslinien gegen Anspruch 1 des Patents wie erteilt zuließ, die der Beschwerdeführer (Einsprechende) auf die Erwiderung des Beschwerdegegners hin eingereicht hatte. Beide Linien stützten sich auf im erstinstanzlichen Verfahren eingereichte Unterlagen, wobei eine der Angriffslinien die erstmalige Kombination zweier zuvor als nächstliegender Stand der Technik erörterter Dokumente beinhaltete und die andere ausgehend von einer bekannten Kombination eine abweichende technische Aufgabe zugrunde legte. Der Beschwerdeführer begründete nicht, warum er diese Einwände erstmals nach Einreichung der Beschwerdebegründung erhob, und auch die Kammer konnte keine Gründe erkennen. Sie wies darauf hin, dass der Beschwerdeführer durch seine Vorgehensweise verhindert hatte, dass der Beschwerdegegner während des Einspruchsverfahrens auf den Angriff reagieren und die Einspruchsabteilung über die Sache entscheiden konnte. Mit seiner verspäteten Einreichung hatte der Beschwerdeführer die Kammer und den Beschwerdegegner mit einem neuen Vorbringen ("fresh case") konfrontiert, was dem eigentlichen Ziel des Beschwerdeverfahrens zuwiderläuft, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (vgl. Art. 12 (2) VOBK 2020). Die Kammer entschied daher, ihr Ermessen auszuüben, die neuen Angriffslinien nicht zum Verfahren zuzulassen (Art. 12 (4) VOBK 2007 i. V .m Art. 12 (2) VOBK 2007, der im Wesentlichen Art. 12 (3) VOBK 2020 entspricht, und Art. 25 (2) VOBK 2020 sowie Art. 13 (1) VOBK 2020 i. V .m Art. 25 (1) VOBK 2020).