4. Die technische Aufgabe
Die zu lösende Aufgabe nach Art. 56 EPÜ braucht nicht selbst neu zu sein. Nur weil die dem Patent zugrunde liegende Aufgabe im Stand der Technik bereits gelöst ist, muss die Aufgabe zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht zwangsläufig neu definiert werden, sofern der Gegenstand des Patents eine alternative Lösung der Aufgabe darstellt. (T 92/92 unter Hinweis auf T 495/91; s. auch T 1074/93, T 780/94, T 323/03, T 78/05).
Bei der Entscheidung über die erfinderische Tätigkeit braucht keine – wesentliche oder graduelle – Verbesserung gegenüber dem Stand der Technik nachgewiesen zu werden (T 100/90, T 588/93, T 620/99 T 1791/08). Eine frühere Lösung einer bestimmten technischen Aufgabe schließt spätere Versuche, dieselbe Aufgabe auf einem anderen nicht naheliegenden Weg zu lösen, nicht aus (T 615/05). In T 2081/15 war die nicht naheliegende Alternativlösung "technisch plausibel" und umfasste eine - wenn auch geringe - erfinderische Tätigkeit gegenüber D1 und dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns.
Andererseits stellte die Kammer in T 1179/16 Folgendes fest: Wenn die Erfindung als einzigen Beitrag etwas vorschlägt, das sich vom Stand der Technik unterscheidet (d. h. die Bereitstellung einer Alternative), dann ist es gewöhnlich angebracht, davon auszugehen, dass der fachkundige Leser jede Alternative in Betracht zieht, die auf dem zugrunde liegenden technischen Gebiet bekannt ist (sofern der nächstliegende Stand der Technik nicht davon wegführt). In solchen Fällen ist es möglicherweise nicht erforderlich, die Auswahl einer bestimmten Lösung zu rechtfertigen, weil angenommen wird, dass eine Erfindung, die sich auf die Aufnahme bekannter Merkmale allein deshalb stützt, um Neuheit herzustellen, durch einen entsprechenden Schritt, in dem irgendeine im Stand der Technik bekannte Alternative ausgewählt wird, nahegelegt werden muss.
In T 144/16 befand die Kammer, dass die technische Aufgabe weniger ehrgeizig formuliert werden muss, und zwar – angesichts der Lehre des Dokuments (1) – als Bereitstellung alternativer Klebstoffzusammensetzungen. Bei der Suche nach alternativen Zusammensetzungen beschränkt der Fachmann die Lehre des Dokuments (1) nicht auf dessen bevorzugte Ausführungsformen, sondern er berücksichtigt alle in diesem Dokument gelehrten Merkmale. In T 148/10 stellte die Kammer fest, dass der Fachmann kein erfinderisches Zutun benötigt, um aus bekannten Alternativen eine Auswahl zu treffen. Der Fachmann sei in der Lage, die Vor- und Nachteile seiner Auswahl zu berücksichtigen, und würde diese gegeneinander abwägen.
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”