4.4.4 Erfordernis rechtfertigender Gründe seitens der Beteiligten
In T 2688/16 wies die Kammer darauf hin, dass nach Art. 13 (1) VOBK 2020 die Angabe von Gründen für die Einreichung erst in dieser Phase des Beschwerdeverfahrens eine elementare Voraussetzung der im Ermessen der Kammer liegenden Berücksichtigung geänderten Beschwerdevorbringens ist. Im vorliegenden Fall zeigte der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichte zweite Versuchsbericht des Patentinhabers eine für die erfinderische Tätigkeit ausschlaggebende synergetische Wirkung. Diese Wirkung wurde von den Einsprechenden bestritten. Ihre erst etwa einen Monat vor der mündlichen Verhandlung eingereichten Beweismittel (u. a. Versuchsberichte) wurden von der Kammer jedoch nicht zugelassen. Die Kammer sah weder den bloßen Hinweis, dass die Beweismittel in Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer eingereicht wurden, noch einen Hinweis auf Mängel in den Versuchsberichten des Patentinhabers als hinreichende Gründe für die späte Einreichung an. Sie merkte auch an, dass die Einsprechenden genügend Zeit (über 1,5 Jahre) gehabt hätten, um geeignete Beweismittel einzureichen. Vgl. aber auch T 23/17 (Vorbringen des Einsprechenden, dass die Einreichung neuer Dokumente in Reaktion auf die vom Patentinhaber in seiner Beschwerdeerwiderung vorgelegten Versuchsdaten erfolgte, plausibel und nachvollziehbar).
In T 256/17 ließ die Kammer zwei neue, auf mangelnde erfinderische Tätigkeit gegründete Angriffslinien nicht zu, die der Beschwerdeführer (Einsprechende) auf die Erwiderung des Beschwerdegegners hin eingereicht hatte. Beide Linien stützten sich auf im erstinstanzlichen Verfahren eingereichte Unterlagen. Der Beschwerdeführer begründete nicht, warum er diese Einwände erstmals nach Einreichung der Beschwerdebegründung erhob und auch die Kammer konnte keine Gründe dafür erkennen. Sie wies darauf hin, dass der Beschwerdeführer durch seine Vorgehensweise verhindert hatte, dass der Beschwerdegegner während des Einspruchsverfahrens auf den Angriff reagieren und die Einspruchsabteilung über die Sache entscheiden konnte.
Für weitere Fälle, bei denen der Beteiligte keine Gründe für die Einreichung neuer Anträge in dieser Phase des Verfahrens angab und die Änderungen nicht zugelassen wurden, siehe T 2112/16 (worin die Kammer auch feststellte, dass die erhobenen Einwände durch die Änderungen in Antrag 1A nicht ausgeräumt wurden) und T 967/16 (kein Grundsatz der "letzten Chance", siehe Kapitel V.A.4.5.10 g)).
In T 938/14 ließ die Kammer jedoch ausnahmsweise, obwohl für die späte Wiedereinführung keine Begründung angegeben wurde, den Hilfsantrag 2 zu, der in Reaktion auf das Vorbringen des Beschwerdegegners eingereicht wurde und der mit dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hauptantrag identisch war, da der Antrag es der Kammer ermöglichte, die angefochtene Entscheidung zu überprüfen.
Die Frage, ob die späte Einreichung des Vorbringens gerechtfertigt war, wird von den Kammern bei ihrer Ermessensausübung berücksichtigt, siehe insbesondere die Kapitel V.A.4.5.10 d).