4. Bedeutung von nationalen Entscheidungen für die Rechtsprechung der Beschwerdekammern
In J 9/07 verwies die Kammer darauf, dass nach Art. 1 EPÜ 1973 das EPÜ ein den Vertragsstaaten gemeinsames Recht für die Erteilung von Erfindungspatenten schafft. Dieses gemeinsame Recht gilt für alle europäischen Patentanmeldungen unabhängig davon, welche Vertragsstaaten in der europäischen Anmeldung benannt wurden. Auch wenn generell ein hohes Maß an Harmonisierung zwischen dem EPÜ und nationalen Gesetzen erstrebenswert ist und auch erreicht wurde, werden diesbezügliche Abweichungen zwischen dem nationalen Recht und dem EPÜ nicht durch Art. 2 (2) EPÜ 1973 oder Art. 66 EPÜ 1973 ausgeschlossen. Soweit das EPÜ nicht ausdrücklich etwas anderes vorsieht – so stellte die Kammer fest –, darf das EPA im Hinblick auf den jeweiligen benannten Staat eine spezifische nationale Vorschrift, die für den Anmelder günstiger wäre als die Bestimmungen des EPÜ, nicht berücksichtigen. Dies würde nämlich dazu führen, dass die europäischen Anmeldungen hinsichtlich der Erfordernisse für die Erteilung abhängig davon, welcher Staat oder welche Staaten benannt worden sind, entgegen Art. 1 EPÜ 1973 ungleich behandelt würden. Es würde auch dem in Art. 118 EPÜ 1973 verankerten Grundsatz der Einheit der Anmeldung zuwiderlaufen, denn wenn eine günstigere nationale Vorschrift im Hinblick auf den jeweiligen benannten Staat angewendet würde, so würde die Unterscheidung zwischen dem Fall, dass der jeweilige benannte Staat als Einziger benannt wurde, und dem Fall, dass weitere Staaten benannt wurden, willkürlich und ungerechtfertigt erscheinen.
Was Art. 31 (3) a) und b) des Wiener Übereinkommens anbelangt, sind legislative und administrative Entwicklungen in rund einem Viertel der Vertragsstaaten keine spätere Übereinkunft oder spätere Übung (G 3/19).