3.2. Zeitlicher Rahmen für die Vorlage von Beweisen und die Anordnung der Beweisaufnahme
Versucht ein Beteiligter, möglicherweise sachdienliche Tatsachen durch eine von einem Zeugen abgegebene Erklärung zu beweisen, so ist diese Erklärung unbedingt so frühzeitig während der Einspruchsphase vorzulegen, dass der Zeuge gemäß Art. 117 EPÜ 1973 vernommen werden könnte, falls die Erklärung angefochten wird oder das EPA eine solche Vernehmung für erforderlich erachtet (T 953/90).
Es gilt in der Beschwerde für beide Parteien der Beibringungsgrundsatz, d. h. es obliegt den Parteien, rechtzeitig alle relevanten Tatsachen vorzubringen. So hatte in T 106/15 der Beschwerdeführer insbesondere zu keinem Zeitpunkt des Einspruchs- bzw. Einspruchsbeschwerdeverfahrens einen Antrag auf Einvernahme des Autors der eidesstattlichen Versicherung gestellt (s. auch T 2010/08 und T 41/19).
In T 753/09 hatte der Beschwerdeführer (Einsprechende) verspätet eine Sachverständigenerklärung eingereicht. Die Kammer erklärte, dass sie ein solch verspätet vorgebrachtes Beweismittel nur dann zulassen würde, wenn es hinreichend relevant wäre und die Gegenpartei angemessen darauf reagieren könnte. Die Kammer wies unter anderem darauf hin, dass, da eine Sachverständigenerklärung nach Art. 117 (1) e) EPÜ nicht einfach nur als Argument, sondern als Beweismittel anzusehen ist, der Gegenseite sicherlich Gelegenheit gegeben werden muss, diese Sachverständigenerklärung (wie vom Beschwerdegegner hilfsweise beantragt) von einem anderen, ebenso qualifizierten Sachverständigen überprüfen und gegebenenfalls widerlegen zu lassen. In diesem besonderen Fall hätte diese Verteidigung gegen das Sachverständigengutachten einige Zeit in Anspruch genommen.
In T 703/12 stellte die Kammer fest, dass die Beschwerdebegründung des Beschwerdeführers gemäß Art. 12 (2) VOBK 2007 dessen vollständigen Sachvortrag enthalten sollte; unter anderem sollten dort alle angezogenen Beweismittel ausdrücklich angeführt werden. Dem Beschwerdeführer (Einsprechenden) war aus der angefochtenen Entscheidung bekannt, dass fraglich war, ob die angebliche Vorbenutzung zweifelsfrei nachgewiesen worden war. Nichts rechtfertigte eine Aussetzung der mündlichen Verhandlung, um einen Zeugen zu vernehmen. Zudem konnte der in der Beschwerdeschrift enthaltene allgemeine Verweis auf das Vorbringen des Beschwerdeführers im Einspruchsverfahren nach der ständigen Rechtsprechung nicht als ausdrückliches Angebot ausgelegt werden, den Zeugen zu vernehmen. Daher stellte das erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Zeugenangebot eine Änderung des Vorbringens des Beschwerdeführers gemäß Art. 13 (1) VOBK 2007 dar und hätte nur durch eine Verlegung der mündlichen Verhandlung berücksichtigt werden können. Gemäß Art. 13 (3) VOBK 2007 beschloss die Kammer, den Zeugen nicht zu vernehmen. Zur Pflicht der Beteiligten, den "vollständigen Sachvortrag" vorzubringen, s. auch T 30/15 und T 1949/09 (verspätet eingereichte Versuche). S. auch die Rechtsprechung zur Anwendung des neuen Art. 12 (3) VOBK 2020 in nachstehendem Kapitel V.A.4.
In T 1201/14 befand die Kammer hinsichtlich eines vierten Arguments (implizierter Rechtsübergang nach taiwanesischem Recht) und der diesbezüglichen Belege (Rechtsgutachten und Auszüge aus dem taiwanesischen Patentgesetz), dass auch bei Anerkennung des taiwanesischen Rechts als anwendbares Recht das Ergebnis wegen mangelnder inhaltlicher Substantiierung der zugrunde liegenden Beweismittel kein anderes wäre als das des zweiten Arguments des Beschwerdeführers. Deshalb entschied die Kammer, weder das vierte Argument noch die zu seiner Stützung vorgelegten Beweismittel zuzulassen.