2. Billigkeit einer anderweitigen Kostenverteilung – Fallgruppen
Eine Beschwerdeführerin hat immer das Recht, die Beschwerde zurückzuziehen. Dieses auf dem Verfügungsgrundsatz basierende Recht kann nicht – auch nicht implizit durch Androhung einer Kostenverteilung – eingeschränkt werden, weil eine mündliche Verhandlung anberaumt ist und weil die betroffene Gegenpartei nicht rechtzeitig unterrichtet werden kann. Es ist in der Regel davon auszugehen, dass die Vorteile einer Beschwerderücknahme für die Beschwerdegegnerin die ihr erwachsenen – wenn auch vermeidbaren – Kosten aufwiegen. Dies ist auch der Fall, wenn die Beschwerde nur noch formal wegen des Kostenverteilungsantrags anhängig ist (T 490/05).
In T 85/84 hatte der Beschwerdeführer 48 Stunden vor dem Termin für die mündliche Verhandlung die Beschwerde per Telex an das EPA sowie an den Vertreter des Beschwerdegegners zurückgenommen. Als der Vertreter des Beschwerdegegners davon Kenntnis erhielt, war er bereits abgereist, um die mündliche Verhandlung in München vorzubereiten. Die Kammer hielt die Zurücknahme zwar für äußerst kurzfristig, ordnete jedoch keine Kostenverteilung an, da dem Vertreter des Beschwerdegegners noch rechtzeitig mitgeteilt worden sei, dass die mündliche Verhandlung nicht stattfinden werde. Interne Verzögerungen bei der Weiterleitung der Mitteilung seien nicht vom Beschwerdeführer zu vertreten und der Aufbruch nach München einen Tag vor der mündlichen Verhandlung sei nicht durch die Entfernung gerechtfertigt und daher nicht für die mündliche Verhandlung erforderlich gewesen.
In T 614/89 und T 772/95 wurden die Beschwerden vier bzw. drei Tage vor dem Termin für die mündliche Verhandlung zurückgenommen, wobei die Kammern das Vorliegen eines Verfahrensmissbrauchs aufgrund der kurzfristigen Absage allein verneinten.
So wurde auch in T 674/03 entschieden, wo der Einsprechende seine Beschwerde neun Tage vor der anberaumten mündlichen Verhandlung zurücknahm. Die Kammer stellte fest, dass der Gebrauch eines absoluten unbeschränkten Verfahrensrechts grundsätzlich keinen Missbrauch darstellt und dass keinerlei Hinweise auf schuldhaftes oder leichtfertiges Handeln vorlägen (s. auch T 626/15).
In T 1663/13 wartete der Einsprechende bis zum letzten Arbeitstag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung damit, sowohl seinen Antrag auf mündliche Verhandlung als auch seine Beschwerde zurückzuziehen. Die Kammer sagte die mündliche Verhandlung ab. Sie stimmte den in T 490/05 dargelegten Grundsätzen zu, stellte aber fest, dass es in der vorliegenden Sache nicht einfach um die Rücknahme einer Beschwerde am letzten Arbeitstag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung gehe. Sie wies auf die besonderen Umstände des Falls hin, dass nämlich u. a. der Einsprechende nicht der Anweisung der Kammer gefolgt sei zu erklären, ob er seinen Antrag auf mündliche Verhandlung angesichts der negativen Auffassung der Kammer in Bezug auf die Zulässigkeit der Beschwerde aufrechterhalte, sondern stattdessen zweimal eine Fristverlängerung beantragt habe, ohne eine Erwiderung in der Sache einzureichen. Die Kammer entschied, die Kosten zu verteilen und den Betrag der Kosten für die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung und die Reise festzusetzen.