2.5. Form und Frist der Beschwerde
Für die Einreichung der Beschwerdeschrift und aller nachfolgenden Unterlagen kann die Online-Einreichung des EPA genutzt werden (s. Beschluss des Präsidenten vom 14. Mai 2021 über die elektronische Einreichung von Unterlagen, ABl. 2021, A42). Nach Art. 3 des Beschlusses steht die Web-Einreichung für das Beschwerdeverfahren nicht zur Verfügung.
In T 1633/18 hatte der Anmelder sowohl die Beschwerdeschrift als auch ein weiteres Schreiben über die Web-Einreichung des EPA eingereicht. Die Kammer stellte fest, dass dieser Dienst nicht für die Einreichung von Unterlagen im Beschwerdeverfahren genutzt werden darf (s. Art. 3 des Beschlusses des Präsidenten vom 14. Mai 2021, ABl. 2021, A42). Werden Unterlagen im Beschwerdeverfahren dennoch über die Web-Einreichung des EPA eingereicht, so gelten sie als nicht eingegangen, und der Absender sollte, sofern er ermittelt werden kann, unverzüglich benachrichtigt werden. Anders als in dieser Bestimmung vorgesehen, unterrichtete das EPA den Anmelder im vorliegenden Fall nicht. Da beide Unterlagen deutlich vor Ablauf der jeweiligen Frist (für das Einlegen der Beschwerde bzw. für die Einreichung der Beschwerdebegründung) eingegangen waren, hat das EPA durch die Nichtbeachtung seiner Pflicht zur sofortigen Unterrichtung des Beschwerdeführers diesem die Möglichkeit genommen, seine Schreiben auf einem korrekten Einreichungsweg erneut einzureichen Da der Beschwerdeführer seine Schreiben auf eine Mitteilung der Kammer nach R. 100 (2) EPÜ hin auf korrekte Weise erneut einreichte und da es das EPA versäumt hatte, ihn auf die fälschliche Nutzung der Web-Einreichung hinzuweisen, war der Beschwerdeführer nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes so zu behandeln, als ob er die Unterlagen fristgerecht auf korrekte Weise eingereicht hätte. S. auch T 1295/20, wonach der Grundsatz des Vertrauensschutzes anzuwenden ist, wenn der Mangel, hier die Einreichung der Anschrift des Beschwerdeführers mittels Web-Einreichung, für das EPA im Rahmen der normalen Bearbeitung des Falls in der entsprechenden Verfahrensphase leicht erkennbar war und noch fristgerecht vom Beschwerdeführer behoben werden konnte.
Die folgende Rechtsprechung bezieht sich auf Fälle, die vor dem Inkrafttreten (am 16. November 2015) des (vorherig anwendbaren) Beschlusses des Präsidenten vom 10. November 2015 über die elektronische Einreichung von Unterlagen (ABl. 2015, A91) entschieden wurden.
Nach Art. 108 EPÜ 1973 ist die Beschwerde schriftlich einzulegen. Mit der EPÜ Revision wurde Art. 108 EPÜ geändert. Danach ist die Beschwerde nach Maßgabe der Ausführungsordnung einzulegen (s. dazu R. 99 EPÜ). Vor der EPÜ-Revision wurde eine auf elektronischem Weg (über epoline®) eingereichte Beschwerde als nicht "schriftlich" und somit als unzulässig verworfen (T 781/04 vom 30. November 2005 date: 2005-11-30 und T 991/04 vom 22. November 2005 date: 2005-11-22, mit Verweis auf die EPA-Mitteilung vom 9.12.2003 über das My.epoline®-Portal). Unter Bezugnahme auf T 781/04 date: 2005-11-30, T 991/04 date: 2005-11-22 und T 514/05 (ABl. 2006, 526) erklärte die Kammer in der Sache T 765/08, dass Unterlagen, die vermeintlich für die Zwecke von R. 2 (1) EPÜ nachgereicht wurden (im vorliegenden Fall: die Beschwerdeschrift), als nicht eingegangen gelten müssen, wenn sie mittels technischer Hilfsmittel eingereicht wurden, die vom Präsidenten des EPA nicht zugelassen waren. Dies gilt auch dann, wenn die betreffende Form der Übermittlung später zugelassen wird (T 331/08 im Anschluss an T 514/05); die Kammer erläuterte, dass die Entscheidung, ob die mit epoline® eingereichte Beschwerde dennoch als eingelegt gelten könnte, nicht in ihr Ermessen gestellt ist, weil 1) dies der Ausübung einer gesetzgeberischen Befugnis gleichkäme; 2) eine solche gesetzgeberische Befugnis in R. 36 (5) EPÜ 1973 ganz eindeutig einem anderen Organ innerhalb der EPA, nämlich dem Präsidenten, übertragen wurde; 3) die Kammer daher gemäß Art. 23 (3) EPÜ 1973 nicht prüfen durfte, ob diese vermeintliche Beschwerde als eingegangen gelten konnte, denn dies wäre eine Überschreitung ihrer Befugnisse (ultra vires); 4) es unerheblich ist, dass dieses Kommunikationsmittel mittlerweile für die Einlegung von Beschwerden zugelassen ist: Anwendbar sind die zum Zeitpunkt der Einlegung geltenden Rechtsvorschriften und Anweisungen. In der Sache T 1090/08 erachtete die Kammer die Beschwerde ebenfalls für unzulässig, gewährte aber aufgrund der Umstände des Einzelfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
In T 1427/09 vom 17. November 2009 date: 2009-11-17 wurden die Beschwerde und die Beschwerdebegründung zwar rechtzeitig eingereicht, aber die elektronischen Unterschriften waren nicht auf eine im Verfahren handlungsberechtigte Person ausgestellt. Dies verstieß gegen Art. 8 (2) des Beschlusses der Präsidentin über die elektronische Einreichung von Unterlagen (ABl. 2009, 182), der jedoch nichts über die Rechtsfolgen eines solchen Verstoßes verlauten ließ. Nach Auffassung der Kammer sollte der in T 665/89 dargelegte Grundsatz, dass die Unterschrift eines Nichtberechtigten so zu werten ist, als ob die Unterschrift fehlte, nicht nur für handschriftliche, sondern auch für elektronische Unterschriften gelten. Die elektronische Einreichung eines Schriftstücks im Beschwerdeverfahren mit der elektronischen Unterschrift eines Nichtberechtigten sollte demnach gemäß R. 50 (3) EPÜ wie die Einreichung eines nicht unterzeichneten Schriftstücks per Post oder Fax im selben Verfahren behandelt werden.
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”