5. Der Begriff der einzigen allgemeinen erfinderischen Idee
In R. 13.2 PCT wird definiert, wie sich feststellen lässt, ob eine Gruppe von in einer internationalen Patentanmeldung beanspruchten Erfindungen das Erfordernis der Einheitlichkeit erfüllt: "Wird in einer internationalen Anmeldung eine Gruppe von Erfindungen beansprucht, so ist das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nach R. 13.1 PCT nur erfüllt, wenn zwischen diesen Erfindungen ein technischer Zusammenhang besteht, der in einem oder mehreren gleichen oder entsprechenden besonderen technischen Merkmalen zum Ausdruck kommt. Unter dem Begriff 'besondere technische Merkmale' sind diejenigen technischen Merkmale zu verstehen, die einen Beitrag jeder beanspruchten Erfindung als Ganzes zum Stand der Technik definieren" (s. R. 44 (1) EPÜ).
Sobald feststeht, dass eine einzige, d. h. gemeinsame Idee vorliegt, muss nach ständiger Rechtsprechung geprüft werden, ob diese einen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit der verschiedenen beanspruchten Gegenstände leisten könne. Nichts deute vorliegend darauf hin, dass die betreffende Idee bereits bekannt sei oder zum allgemeinen Fachwissen gehöre. Da auch der Recherchenprüfer nicht erwähnt habe, dass aufgrund der angeführten Dokumente ein solcher Beitrag möglicherweise auszuschließen sei, dürfe nicht davon ausgegangen werden, dass dies nicht der Fall sei (W 17/89; vgl. W 6/90, ABl. 1991, 438). Infolgedessen müsse bei allen Ansprüchen, bei denen alle Gegenstände miteinander verbunden seien, das Vorliegen einer einzigen erfinderischen Idee anerkannt werden (vgl. W 22/91).
In der Entscheidung W 6/90 (ABl. 1991, 438; s. auch dieses Kapitel II.B.5.1. oben) stellte die Kammer fest, dass die einzige allgemeine Idee gemäß R. 13.1 PCT auch erfinderisch sein müsse. Bei Vorliegen einer einzigen allgemeinen Idee bestehe Uneinheitlichkeit mithin auch dann, wenn dieser Idee kein erfinderischer Charakter zukomme. Diese Entscheidung wurde von den Beschwerdekammern mehrfach bestätigt (s. z. B. W 31/91, W 29/92, W 34/92, W 45/92, W 8/93, W 6/97).
In W 48/90 und W 50/90 stellte die Kammer fest, dass die Einheitlichkeit der Erfindung, soweit es um chemische Verbindungen geht, nicht allein eine Frage der jeweiligen Strukturmerkmale ist, sondern dass vielmehr berücksichtigt werden muss, welche technische Aufgabe gelöst werden soll und ob die jeweiligen Verbindungen zu ihrer Lösung beitragen.
In W 45/92 stellte die Kammer fest, dass das Wort "erfinderisch" nicht dahin ausgelegt werden dürfe, dass der gemeinsame Teil an sich erfinderisch und somit als solcher beanspruchbar sein müsse. Die diesbezügliche Untersuchung sollte sich darauf konzentrieren, ob alle oder einige Merkmale bei der späteren eingehenden Prüfung auf erfinderische Tätigkeit einen Beitrag leisten könnten. Erst wenn sich anhand der bereits bekannten Lehre oder des allgemeinen Wissensstands zweifelsfrei zeige, dass dies unter den gegebenen Umständen nicht der Fall sei, sollte auf Uneinheitlichkeit erkannt werden. Sie vertrat ferner die Auffassung, der Ausdruck "gleiche oder entsprechende besondere technische Merkmale" bestätige, dass die Merkmale einen Beitrag zur Erfindung gegenüber dem Stand der Technik definieren sollten. Da die betreffenden Merkmale in gleicher Weise auch im nächstliegenden Stand der Technik vorkämen, könnten sie einen solchen Beitrag nicht begründen. Somit müssten die verschiedenen Erfindungen – soweit überhaupt vorhanden – jeweils in den nicht gemeinsamen besonderen charakteristischen Merkmalen liegen. Dass die Ansprüche im kennzeichnenden Teil keine Gemeinsamkeiten mehr aufwiesen, bestätige die Feststellung, dass Uneinheitlichkeit vorliege (vgl. W 32/92, ABl. 1994, 239).
In W 38/92 bestätigte die Kammer die obige Entscheidung W 6/90 (s. oben) und hielt fest, dass die gemeinsamen Merkmale in den Anspruchsgruppen die "einzige Idee" verkörperten, die die verschiedenen Gegenstände verbinde. Dies werfe die Frage auf, ob die speziellen Merkmale in den Anspruchsgruppen einzeln oder in Kombination einen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit jedes beanspruchten Gegenstands leisten könnten, was die besagte Idee, die die verschiedenen Gegenstände miteinander verbinde, erfinderisch machen würde. Die Kammer bemerkte, dass auch die neue R. 13 PCT in Form der gemeinsamen "besonderen technischen Merkmale" einen solchen Beitrag zum Stand der Technik verlange, also nicht nur bloße Neuheit. In T 94/91 bekräftigte die Kammer den Grundsatz, dass die allgemeine erfinderische Idee nicht mit den Merkmalen in einem Anspruch oder einer bestimmten Kombination von Ansprüchen gleichgesetzt werden kann. Worauf es ankommt, ist das erfinderische Konzept, das durch alle Ansprüche unter angemessener Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen definiert wird (s. W 2/95).
In W 9/93 stellte die Kammer fest, dass die Zwischenverbindungen bekannt waren, sodass diese Produkte nicht als gemeinsame erfinderische Idee dienen konnten; außerdem war ein in den Verfahrensansprüchen enthaltenes technisches Merkmal ebenfalls bekannt. Die Kammer wies darauf hin, dass ein bereits zum Stand der Technik gehörendes technisches Merkmal per definitionem keinen Beitrag zum Stand der Technik leisten könne und daher nicht als vereinheitlichendes Element im Sinne von R. 13.1 PCT infrage komme. Nach R. 13.2 PCT in der seit 1.7.1992 geltenden Fassung kann sich eine internationale Anmeldung auf eine Gruppe von Erfindungen beziehen, wenn zwischen diesen ein technischer Zusammenhang besteht, der in einem oder mehreren gleichen oder entsprechenden "besonderen technischen Merkmalen" zum Ausdruck kommt, d. h. in den technischen Merkmalen, die einen Beitrag jeder beanspruchten Erfindung zum Stand der Technik bestimmen. R. 13.1 PCT verlangt nicht bloß irgendeinen Zusammenhang innerhalb einer in einer internationalen Anmeldung beanspruchten Gruppe von Erfindungen, sondern eine allgemeine erfinderische Idee. Das bedeutet, dass entweder eine gemeinsame technische Aufgabe vorliegen oder bei mehreren technischen Aufgaben zumindest eine einzige technische Idee hinter den jeweiligen Lösungen stehen muss.
In T 957/96 war in der Anmeldung eine Reihe von Verfahren beschrieben, die nicht einen einzigen gemeinsamen Verfahrensschritt aufwiesen. Nach Auffassung der Kammer sei ausschlaggebend, dass alle beanspruchten Verfahren ein gemeinsames technisches Merkmal aufwiesen, nämlich die Verwendung eines im Wesentlichen reinen Regioisomers, das für die Lösung der anmeldungsgemäßen technischen Aufgabe wesentlich sei. Somit bilde die Verwendung dieser Zwischenverbindung die gemeinsame "erfinderische" Idee aller beanspruchten Verfahrensvarianten. Dieses Merkmal stelle ein besonderes technisches Merkmal dar, das den in R. 30 (1) EPÜ 1973 geforderten Beitrag der beanspruchten Erfindung zum Stand der Technik definiere (s. jetzt R. 44 (1) EPÜ).
In W 11/99 (ABl. 2000, 186) stellte die Kammer fest, wenn in einer internationalen Anmeldung Ansprüche auf Produkte und ein Verfahren zu deren Herstellung gerichtet seien, dann könne das Vorhandensein entsprechender besonderer technischer Merkmale im Sinne der R. 13.2 PCT nicht schon mit der Begründung verneint werden, dass das Verfahren auch zur Herstellung anderer Produkte verwendet werden könne. Die Kammer legte das Erfordernis des Vorhandenseins "entsprechender besonderer technischer Merkmale" nach R. 13.2 PCT im Falle der Beanspruchung eines Herstellungsverfahrens und von Produkten in derselben Anmeldung so aus, dass deren Vorhandensein in der Regel unterstellt werden könne, wenn das Herstellungsverfahren neu und tatsächlich geeignet sei, die beanspruchten Produkte (gegebenenfalls neben weiteren Produkten) zugänglich zu machen. In einem solchen Falle betrachte die Kammer ein Verfahren als an die Herstellung der beanspruchten Produkte "besonders angepasst". Eine engere Auslegung der Begriffe "besonders angepasst" bzw. "entsprechende besondere technische Merkmale" würde dem Normzweck des Art. 34 (3) PCT und der zugehörigen R. 13.1 PCT nicht gerecht. Diesen Normzweck sah die Kammer in Übereinstimmung mit demjenigen des Art. 82 EPÜ 1973 darin, zu verhindern, dass in ein und derselben Patentanmeldung nicht zusammengehörige Gegenstände beansprucht werden. Diese Auslegung sei auch im Einklang mit der in PCT-Richtlinien III, 7.2 genannten Anlage B der PCT-Verwaltungsvorschriften in der Fassung vom 1.7.1998. Dort werde in Teil 1 e) ausgeführt, dass ein Verfahren dann an die Herstellung eines Produkts besonders angepasst ist, wenn es an sich ("inherently") zu dem betreffenden Produkt führt (s. jetzt Anlage B, Absatz e) der PCT-Verwaltungsvorschriften in der Fassung vom 1.1.2022). Wenn diese Voraussetzung erfüllt sei, sei es also unerheblich, ob nach dem Verfahren auch noch andere Produkte erhalten werden können.
In T 106/06 verwies die Kammer auf die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern, wonach ein Herstellungsverfahren und die hergestellten Erzeugnisse als einheitlicher Gegenstand anzusehen sind (z. B. W 2/95 und W 11/99). Die Kammer prüfte, ob die Tatsache, dass Anspruch 1 sich nicht auf ein Herstellungsverfahren im üblichen Sinne bezog, für das kennzeichnend ist, dass die mit diesem Verfahren hergestellten Erzeugnisse schon zu Beginn des Verfahrens ins Auge gefasst werden, sondern auf ein Verfahren zur Isolierung von Genen, das in seiner Ausgestaltung einem Screeningverfahren ähnelt, für welches wiederum kennzeichnend ist, dass das Endprodukt anfangs nicht bekannt ist, sich auf die Beurteilung der Einheitlichkeit auswirken sollte. Die entscheidende Frage sei die, ob das Erzeugnis tatsächlich mit dem Verfahren hergestellt worden sei, und nicht, ob es zu Beginn des Verfahrens bekannt gewesen sei. Daher gebe es bei der Beurteilung der Einheitlichkeit keinen Unterschied zwischen einem Herstellungsverfahren und einem Screeningverfahren und den jeweils gewonnenen Erzeugnissen.
In der Entscheidung W 18/01 führte die Kammer aus, dass sich aus den Definitionen in der Ausführungsordnung zum PCT und den PCT-Richtlinien für die internationale vorläufige Prüfung (die für das EPA bindend sind; vgl. G 1/89, ABl. 1991, 155, Nr. 6 der Gründe) ergibt, dass es normalerweise nicht ausreicht, einfach nur den gemeinsamen Kern einer Gruppe von Erfindungen zu bestimmen und zu prüfen, indem zum Beispiel die Merkmale herausgegriffen werden, die in allen Ansprüchen für die Erfindungen dieser Gruppe genannt sind. R. 13.2 PCT verlangt eine Prüfung des technischen Zusammenhangs zwischen den Erfindungen der Gruppe. Ein solcher Zusammenhang kann auch dann bestehen, wenn die Erfindungen nicht die gleichen technischen Merkmale, dafür aber entsprechende besondere technische Merkmale aufweisen. Gemäß der in R. 13.2 PCT enthaltenen Definition der "besonderen technischen Merkmale" muss analysiert werden, welchen Beitrag jede beanspruchte Erfindung zum Stand der Technik leistet. In einem ersten Schritt gilt es hier zu ermitteln, durch welche Merkmale sich die beanspruchten Erfindungen vom entgegengehaltenen Stand der Technik unterscheiden, bevor ihr Beitrag zum Stand der Technik im Lichte der Beschreibung untersucht und dabei insbesondere beleuchtet werden kann, welche Aufgaben mit den beanspruchten Erfindungen gelöst werden und welche Wirkung erzielt wird.