BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.2.2 vom 15. Oktober 1992 - W 32/92 - 3.2.2
(Amtlicher Text)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | G. Szabo |
Mitglieder: | P. Dropmann |
| M. Aùz Castro |
Anmelder: WISAP Gesellschaft für wissenschaftlichen Apparatebau mbH et al.
Stichwort: Zervix-Stanze/WISAP
Artikel: 17 (3) a) PCT
Schlagwort: "Uneinheitlichkeit "a posteriori" (bejaht)"
Leitsatz
Uneinheitlichkeit im Sinne von Artikel 17 (3) a) und Regel 13 PCT liegt dann vor, wenn die Gegenstände unabhängiger Ansprüche einschließlich ihrer Wirkungen keine einen erfinderischen Beitrag leistende Gemeinsamkeit in den sich vom nächstliegenden Stand der Technik unterscheidenden Teilen der Ansprüche aufweisen (im Anschluß an W 6/90, ABl. EPA 1991, 438).
Sachverhalt und Anträge
I. Am 24. Januar 1992 haben die Anmelder die 16 Ansprüche umfassende internationale Anmeldung PCT/EP 92/00 150 beim Europäischen Patentamt eingereicht. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 lauten wie folgt:
"1. Zervix-Stanze mit
- einem hohlzylindrischen Grundkörper (12) zur Aufnahme eines Führungsstabes (24),
- einer im Grundkörper (12) und/oder am Außenumfang des Führungsstabes (24) angeordneten axialen Führung (22, 32) für die Relativbewegung zwischen Grundkörper (12) und Führungsstab (24),
- einem im Bereich der distalen Öffnung (18) des Grundkörpers (12) vorgesehenen Schneidbereich (20) und
- einem am proximalen Ende des Grundkörpers (12) angeordneten Griffbereich (26) oder Eingriffbereich (83) zur Rotation des Grundkörpers (12).
2. Zervix-Stanze
mit einem hohlzylindrischen Morcellator-Rundrohr (80), das einen um die Distalöffnung vorgesehenen Schneidbereich (20) aufweist, der mit einem umlaufenden Wellenschliff versehen ist."
Der abhängige Anspruch 3 ist auf den Anspruch 2 und die abhängigen Ansprüche 4 bis 16 sind jeweils auf einen der vorhergehenden Ansprüche oder auf einen bestimmten vorhergehenden Anspruch rückbezogen.
II. Mit Datum vom 14. Mai 1992 hat das Europäische Patentamt als zuständige Internationale Recherchenbehörde an die Anmelder gemäß Artikel 17 (3) a) und Regel 40.1 PCT eine Aufforderung zur Zahlung einer zusätzlichen Recherchengebühr gerichtet. Darin hat das Amt die Auffassung vertreten, daß die Anmeldung dem Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung gemäß Regel 13.1 PCT nicht entspreche.
Zur Begründung ist ausgeführt worden, daß sich die Ansprüche 1 und 4 bis 16 einerseits und die Ansprüche 2 und 3 andererseits auf unterschiedliche Erfindungen beziehen würden. Alle Merkmale des Anspruchs 1 seien aus dem Dokument WO-A-88/10 098 bekannt. Ferner gehörten die gemeinsamen technischen Merkmale der Ansprüche 1 und 2, d. h. die Merkmale Zervix-Stanze, hohlzylindrischer Grundkörper (Rundrohr) und Schneidbereich, zum Stand der Technik. Da es also keine gemeinsame erfinderische Idee zwischen den unabhängigen Ansprüchen 1 und 2 gebe, handele es sich hier um Nicht-Einheitlichkeit.
III. Die Anmelder haben am 12. Juni 1992 die geforderte zusätzliche Recherchengebühr unter Widerspruch gezahlt und die Rückerstattung dieser Gebühr beantragt. Nach Ansicht der Anmelder ist die Einheitlichkeit der Anmeldung gegeben, da der Gegenstand des Anspruchs 2 als eine vorteilhafte Ausgestaltung des hohlzylindrischen Grundkörpers gemäß Anspruch 1 angesehen werden könne.
Entscheidungsgründe
1. Der Widerspruch entspricht der Regel 40.2 c) und 40.3 PCT; er ist daher zulässig.
2. In der Aufforderung zur Zahlung einer zusätzlichen Recherchengebühr hat die Recherchenbehörde zwei Gruppen von Ansprüchen, nämlich die Ansprüche 1 und 4 bis 16 und die Ansprüche 2 und 3, angegeben und unter Hinweis auf die Druckschrift WO-A-88/10 098 Uneinheitlichkeit "a posteriori" geltend gemacht. Nach der grundlegenden Entscheidung G 1/89 (ABl. EPA 1991, 155) der Großen Beschwerdekammer ist das in eindeutigen Fällen zulässig. Die von der Recherchenbehörde in der Begründung getroffene Feststellung, es gebe keine gemeinsame erfinderische Idee zwischen den unabhängigen Ansprüchen 1 und 2, kann sinnvoll nur dahingehend interpretiert werden, daß mit dieser Feststellung das Fehlen der Einheitlichkeit zwischen den Gegenständen der beiden vorstehend aufgeführten Anspruchsgruppen zum Ausdruck gebracht werden soll.
3. Wie ein einfacher Vergleich der Zervix-Stanze gemäß Anspruch 1 der vorliegenden Anmeldung mit dem insbesondere in Figur 5 und dem zugehörigen Text der Druckschrift WO-A-88/10 098 offenbarten Instrument zur intrazervikalen Hysterektomie ohne weiteres ergibt, ist die beanspruchte Zervix-Stanze nicht neu.
4. Nach dem durch fehlende Neuheit seines Gegenstands bedingten Wegfall des unabhängigen Anspruchs 1 stellt sich somit die Frage, ob die Gegenstände der verbleibenden Ansprüche - im vorliegenden Fall der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 2 und der Gegenstand eines neuen unabhängigen, durch Vereinigung des Anspruchs 1 mit einem von ihm abhängigen Anspruch, z. B. mit Anspruch 4, zu bildenden Anspruchs - so zusammenhängen, daß sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen, d. h. das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung im Sinne der Regel 13.1 PCT erfüllen.
Der Vortrag der Anmelder in ihrer Eingabe vom 12. Juni 1992, daß der Gegenstand des Anspruchs 2 als eine vorteilhafte Ausgestaltung des hohlzylindrischen Grundkörpers gemäß Anspruch 1 angesehen werden könne, geht daher ins Leere.
5. Der Anspruch 2 und der durch Vereinigen des Anspruchs 1 mit dem Anspruch 4 eventuell zu bildende neue Anspruch haben ausschließlich die strukturellen Merkmale "Zervix-Stanze", "hohlzylindrischer Grundkörper bzw. Rundrohr" und "an der distalen Öffnung des Grundkörpers vorgesehener Schneidbereich" gemeinsam. Da diese Gruppe von Merkmalen aus der Druckschrift WO-A-88/10 098 bekannt ist und somit zum bekannten Teil des jeweils beanspruchten Gegenstands gehört, kann sie zwar eine einzige allgemeine Idee, nicht aber allein auch die nach Regel 13.1 PCT erforderliche einzige allgemeine erfinderische Idee begründen (vgl. W 6/90, ABl. EPA 1991, 438).
6. Es bleibt somit im Hinblick auf die vorgenannte Entscheidung zu untersuchen, ob die durch die Gegenstände des Anspruchs 2 und des genannten neuen Anspruchs erzielten Wirkungen als mögliche weitere Gemeinsamkeit eine einzige allgemeine erfinderische Idee repräsentieren können.
Nach Seite 1 der Anmeldungsbeschreibung liegt der Erfindung im weitesten Sinn die Aufgabe zugrunde, ein medizinisches Instrument bereitzustellen, das in der Lage ist, uterines Gewebe in einem genau definierten Bereich der Zervix auf möglichst schonende Weise zu entfernen. Die in dieser Aufgabenstellung erkennbare Wirkung wird, wie ohne weiteres erkennbar ist, bereits durch die aus der Druckschrift WO-A-88/10 098 bekannte Vorrichtung erzielt. Sie kann daher selber keinen Beitrag zum Stand der Technik und somit zu irgendeiner einzigen allgemeinen erfinderischen Idee leisten.
Das im Anspruch 2 enthaltene, aus der genannten Druckschrift nicht bekannte, also unterscheidende Merkmal, daß der Schneidbereich mit einem umlaufenden Wellenschliff versehen ist, bewirkt nach Seite 2 der Anmeldungsbeschreibung bei einer Drehbewegung des Grundkörpers eine exakte Schnittführung im uterinen Gewebe, ohne daß das verbleibende Gewebe zu stark traumatisiert und die Zervix-Fascie bei dem Vorgang deformiert wird. Dagegen hat das im neuen Anspruch enthaltene, aus Anspruch 4 stammende und aus der genannten Druckschrift ebenfalls nicht bekannte, also unterscheidende Merkmal, wonach ein Führungszylinder paßgenau den Grundkörper durchsetzt und insbesondere eine etwas größere axiale Länge als der Grundkörper aufweist, nach Seite 13 der Anmeldungsbeschreibung die Wirkung, daß hierdurch eine Zentrierung des Grundkörpers im Bereich des Uterusmundes, insbesondere bei Beginn des operativen Eingriffs, ermöglicht wird. Diese relevanten unterschiedlichen Effekte können daher keinen technischen Zusammenhang und mithin ebenfalls keine einzige allgemeine erfinderische Idee begründen.
7. Zusammenfassend ist die Kammer der Auffassung, daß Uneinheitlichkeit im Sinne von Artikel 17 (3) a) und Regel 13 PCT dann vorliegt, wenn die Gegenstände unabhängiger Ansprüche einschließlich ihrer Wirkungen keine einen offensichtlich erfinderischen Beitrag leistende Gemeinsamkeit in den sich vom nächstliegenden Stand der Technik unterscheidenden Teilen der Ansprüche aufweisen (im Anschluß an W 6/90, ibid.).
8. Im vorliegenden Fall ist somit ohne weiteres klar ersichtlich, daß sich die von der Recherchenbehörde definierten Anspruchsgruppen auf unterschiedliche Erfindungen beziehen, die das Erfordernis der Einheitlichkeit nicht erfüllen.
Die Aufforderung der Recherchenbehörde zur Zahlung einer zusätzlichen Recherchengebühr ist somit zu Recht ergangen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Widerspruch wird zurückgewiesen.