5. Teil- und Mehrfachprioritäten
Nach Art. 88 (3) EPÜ umfasst das Prioritätsrecht, wenn eine oder mehrere Prioritäten für die europäische Patentanmeldung in Anspruch genommen werden, nur die Merkmale der europäischen Patentanmeldung, die in der Anmeldung oder den Anmeldungen enthalten sind, deren Priorität in Anspruch genommen worden ist. Da nach Art. 84 EPÜ die Ansprüche der europäischen Patentanmeldung den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird, und damit auch den Gegenstand bestimmen, für den eine Priorität beansprucht werden kann, sind die Begriffe "Merkmale der Erfindung" in Art. 88 (4) EPÜ und "Merkmale der europäischen Patentanmeldung" in Art. 88 (3) EPÜ als synonym zu betrachten. Sowohl ein "Merkmal der Erfindung" als auch ein "Merkmal der europäischen Patentanmeldung" bilden letztlich den Gegenstand, der in einem Anspruch einer europäischen Patentanmeldung angegeben wird (s. G 2/98, ABl. 2001, 413).
In T 828/93 führte die Kammer aus, aus Art. 88 (3) EPÜ 1973 ergebe sich, dass verschiedenen Teilen einer europäischen Anmeldung verschiedene Prioritäten (also gegebenenfalls auch keine, d. h. nur der Zeitrang der europäischen Anmeldung) zukommen können. Es genüge zu überprüfen, ob die für den Vergleich mit dem Stand der Technik maßgeblichen Gegenstände, nämlich die Gegenstände der unabhängigen Patentansprüche, mit der Offenbarung der Gesamtheit (s. Art. 88 (4) EPÜ 1973) der Unterlagen der Prioritätsanmeldung übereinstimmten. Hierbei könne jedem beanspruchten Gegenstand als Ganzes, soweit es sich um einen durch die Gesamtheit der angegebenen Merkmale definierten Gegenstand handle, nur eine (oder gegebenenfalls keine) Priorität zugeordnet werden. Denn dieser Gegenstand als Ganzes repräsentiere die Erfindung, die mit der Offenbarung einer Prioritätsanmeldung entweder übereinstimme oder nicht.
In T 127/92 wurde die Priorität zweier deutscher Gebrauchsmuster (D1 und D2) beansprucht, die während des Prioritätsintervalls veröffentlicht worden waren. Die Beschwerdekammer war der Auffassung, dass die Priorität von D1 für Anspruch 1 und einige abhängige Ansprüche zu Recht beansprucht wurde. Die Kammer, befand aber, dass Unteransprüche, die auch in D1 nicht offenbarte Elemente enthielten, für den in ihnen jeweils enthaltenen Gegenstand des Anspruchs 1 keine Teilpriorität aus D1 beanspruchen könnten. Auf der Grundlage der in G 3/93 (ABl. 1995, 18) entwickelten Grundsätze gelangte die Kammer zu dem Ergebnis, dass D1 und D2 bezüglich dieser Ansprüche zum Stand der Technik gehörten und daher die Gegenstände dieser Ansprüche nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhten; der Patentinhaber strich sie demzufolge.