2.9. Abhilfe
In T 139/87 (ABl. 1990, 68) hat die Beschwerdekammer klargestellt, dass die Beschwerde eines Patentanmelders als begründet im Sinne des Art. 109 (1) EPÜ 1973 angesehen werden muss, wenn gleichzeitig Änderungen zur Anmeldung eingereicht werden, die die Einwände, auf die sich die angefochtene Entscheidung stützt, eindeutig gegenstandslos machen. In diesem Fall muss das Organ, das die angefochtene Entscheidung getroffen hat, der Beschwerde abhelfen. Weitere Einwände, die nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung waren, stehen der Abhilfe nicht entgegen (vgl. auch T 47/90, ABl. 1991, 486; T 690/90; T 1042/92; T 1097/92; T 219/93; T 647/93, ABl. 1995, 132; T 648/94; T 180/95; T 794/95; T 1120/11; T 410/14 und T 2303/16).
Auch T 1060/13 zufolge ist die erste Instanz bei einer objektiv zulässigen und begründeten Beschwerde nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern verpflichtet, dieser Beschwerde abzuhelfen (T 139/87, ABl. 1990, 68; T 180/95; T 2528/12; T 1362/13); im Interesse der Verfahrenseffizienz gibt es keinen Ermessensspielraum (G 3/03, ABl. 2005, 344; J 32/95, ABl. 1999, 713; T 919/95).
In T 2445/11 war der Kammer klar, dass ihre Auslegung des Art. 109 (1) EPÜ nicht ganz der in T 1060/13 dargelegten Auffassung entsprach, auch wenn der Ausgang identisch war. Laut T 1060/13 muss Abhilfe gewährt werden, wenn der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Hauptantrag die Zurückweisungsgründe eindeutig ausräumt, unabhängig davon, ob die geänderten Ansprüche Anlass zu neuen Einwänden geben oder Mängel aufweisen, die durch Bemerkungen in Form von obiter dicta benannt waren. Der Kammer in T 2445/11 zufolge ist dieser Ansatz möglicherweise manchmal zu streng, weil er keinen Raum für eine pragmatische Beurteilung der Situation im Hinblick auf die Verfahrenseffizienz lässt und eventuell zu einer unnötigen Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens führt, was für den Anmelder bedeutet, dass er eine zweite Beschwerdegebühr entrichten muss.
In T 508/13 erklärte die Kammer, dass die Formulierung "erachtet […] die Beschwerde für […] begründet" in Art. 109 (1) EPÜ der Prüfungsabteilung einen Ermessensspielraum einräumt, wobei ihr bewusst sein muss, dass der Zweck der Abhilfe darin besteht, das Verfahren zu beschleunigen (s. T 2445/11). Sobald aber eine Prüfungsabteilung entschieden hat, eine Zurückweisungsentscheidung nicht aufzuheben, ist die eventuelle Inkorrektheit oder Unangemessenheit dieser Nichtaufhebung an sich kein ausreichender Grund für eine sofortige Zurückverweisung: die Gelegenheit, das Beschwerdeverfahren durch die Gewährung von Abhilfe abzukürzen, ist ohnehin vertan. Stattdessen ist zu prüfen, ob eine sofortige Zurückverweisung in Anbetracht der Gesamtsituation angemessen ist.
- T 682/22
Catchword:
Different interpretation of Article 109(1) EPC from that provided for in the Guidelines for Examination in the EPO - application of Article 20(2) RPBA 2020 (see point 2.4.3 of the Reasons).
- Jahresbericht: Rechtsprechung 2022
- Zusammenfassungen der Entscheidungen in der Verfahrensprache