4.5.1 Begriff der "therapeutischen Behandlung"
Die erste Definition des Begriffs der "therapeutischen Behandlung" wurde in T 144/83 (ABl. 1986, 301) gegeben. Danach hat eine therapeutische Behandlung die Behandlung einer Krankheit im Allgemeinen oder eine Heilbehandlung im engeren Sinne sowie eine Linderung der Schmerz- und Leidenssymptome zum Ziel.
In T 81/84 (ABl. 1988, 207) vertrat die Kammer die Ansicht, dass der Begriff "Therapie" nicht zu eng ausgelegt werden dürfe. Es sei nicht möglich und auch nicht zweckmäßig, zwischen einer ursächlichen und einer symptomatischen Therapie zu unterscheiden, d. h. zwischen Heilung und bloßer Linderung. Die Kammer bestätigte, dass die Linderung von Schmerzen und die Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit durch Verabreichung eines geeigneten Mittels – unabhängig von den Ursachen der Befindlichkeitsstörung – einer therapeutischen Behandlung oder therapeutischen Anwendung im Sinne des Art. 52 (4) EPÜ 1973 gleichkommt.
In T 24/91 (ABl. 1995, 512) stellte die Kammer fest, dass der Begriff "therapeutische Behandlung" von seiner Bedeutung her nicht auf die Heilung von Krankheiten und die Beseitigung ihrer Ursachen beschränkt ist. Er umfasst vielmehr jede Behandlung, die dazu dient, die Symptome einer Funktionsstörung oder Funktionsschwäche des menschlichen oder tierischen Körpers zu heilen, zu lindern, zu beseitigen oder abzuschwächen, oder die dazu geeignet ist, dem Risiko ihres Erwerbs vorzubeugen oder dieses zu verringern. Das beanspruchte Verfahren, so die Kammer, beseitigt durch eine Behandlung am Auge des Patienten die Symptome von Myopie, Hyperopie und Astigmatismus; folglich handelt es sich um eine therapeutische Behandlung.
In T 2420/13 stellte die Kammer fest, dass eine "therapeutische Behandlung" eine Einwirkung auf den zu behandelnden Körper bzw. auf den zu behandelnden Teil des Körpers voraussetzt, die ursächlich für eine therapeutische Wirkung ist.
In T 1075/09 hatte der Patentinhaber vorgebracht, dass das Merkmal "und FSH zum Induzieren der Follikulogenese verabreicht wird" Teil der Patientengruppendefinition sei und nicht als beanspruchtes therapeutisches Verfahren angesehen werden könne. Die Kammer entschied, dass Anspruch 1 aufgrund seiner Formulierung die direkte Verabreichung von FSH an die Patientin zur Induzierung der Follikulogenese lehrte, da das genannte Merkmal nicht durch die schweizerische Anspruchsform abgedeckt war. Dieses Merkmal stellte folglich ein eigenes therapeutisches Behandlungsverfahren dar, das einen direkten physischen Eingriff am menschlichen Körper einschloss.
In T 944/15 betraf die Erfindung, so wie beschrieben, ein auf einem Computer ausgeführtes Datenverarbeitungsverfahren für die Steuerung eines Prozesses zur Überwachung der Position von mindestens einem Körperteil eines Patienten während einer Strahlenbehandlung. Der Beschwerdeführer argumentierte, dass es sich bei der Erfindung um ein auf den Computer beschränktes Datenverarbeitungsverfahren, d. h. um ein computerimplementiertes Verfahren handle. Nach Auffassung der Kammer bezieht sich Art. 53 c) Satz 2 EPÜ im Wesentlichen auf durch ihre physischen Eigenschaften charakterisierte Erzeugnisse, und ein Computerprogramm wie das in den Ansprüchen definierte ist kein solches Erzeugnis. Indem Schutz für ein zur Durchführung eines Behandlungsverfahrens bestimmtes Computerprogramm gewährt wird, wird de facto auch das Behandlungsverfahren unter Schutz gestellt, denn das Ablaufen des Programms ist identisch mit der Ausführung des Verfahrens. Da das Verfahren aber von der Patentierbarkeit ausgeschlossen war, sollte es auch das Computerprogramm sein, denn auch der indirekt gewährte Schutz für ein Behandlungsverfahren läuft der ratio legis des Art. 53 c) EPÜ zuwider (G 1/07, Nr. 3 der Gründe).