5.1.2 Änderungen, die durch einen Einspruchsgrund veranlasst sind – Regel 80 EPÜ
Nach R. 80 EPÜ (R. 57a EPÜ 1973) können die Ansprüche eines erteilten Patents geändert werden, soweit die Änderungen durch einen Einspruchsgrund nach Art. 100 EPÜ veranlasst sind, auch wenn dieser vom Einsprechenden nicht geltend gemacht worden ist. Vor Einführung der R. 57a EPÜ 1973 (in Kraft getreten am 1. Juni 1995, s. Beschluss des Verwaltungsrats, ABl. 1995, 9), war bereits durch die Rechtsprechung klargestellt worden, dass nach dem EPÜ ein Patentinhaber im Einspruchs-(Beschwerde-)verfahren keinen Rechtsanspruch auf Berücksichtigung von Änderungsvorschlägen hat. Die Zulassung solcher Änderungen liegt vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen des betreffenden Entscheidungsorgans. Änderungen können abgelehnt werden, wenn sie weder sachdienlich, noch erforderlich sind (s. z. B. T 406/86, ABl. 1989, 302). Spätere Entscheidungen, die auf diese Kriterien im Rahmen von R. 57a EPÜ 1973 (R. 80 EPÜ) verweisen, sind z. B. T 17/97, T 313/98, T 994/03, T 263/05, ABl. 2008, 329, T 323/05, T 340/10, T 2063/15.
Wie in T 256/19 in Bezug auf die Anmerkungen zur Aufnahme der R. 57a EPÜ 1973 (Mitteilung vom 1. Juni 1995, ABl. 1995, 409) unterstrichen wurde, behandelt R. 80 EPÜ die rein materiellrechtlichen Aspekte des Rechts des Patentinhabers auf Änderung seines Patents und regelt nicht den Zeitpunkt, bis zu dem Änderungen zulässig sind (zu verspätet eingereichten Änderungen und insbesondere dem Ermessen hinsichtlich ihrer Zulassung s. u. Kapitel IV.C.5.1.4). Nach Auffassung der Kammer bedeutet der Wortlaut von R. 80 EPÜ (insbesondere "können … geändert werden, soweit"), dass Ansprüche geändert werden können, wenn die Änderungen durch einen Einspruchsgrund veranlasst sind, andernfalls jedoch nicht. Das Erfordernis der R. 80 EPÜ ähnle somit dem des Art. 123 (2) EPÜ (s. insbesondere "darf nicht in der Weise geändert werden, dass"). R. 80 EPÜ sei also eine Vorschrift ohne Ermessensspielraum und drücke ein Erfordernis aus, das sich auf die materielle Zulässigkeit eines geänderten Patents und nicht auf seine formale Zulässigkeit beziehe.
T 323/05 zufolge, in der es um einen Antrag auf Anpassung der Beschreibung ging, zieht R. 57a EPÜ 1973 (R. 80 EPÜ) eine Grenze für Änderungen, die am streitigen Patent vorgenommen werden können. Art. 84 EPÜ 1973 und R. 57a EPÜ 1973 sind die beiden Bestimmungen, die der Patentinhaber beachten muss, wenn er von der Einspruchsabteilung aufgefordert wird, die Beschreibung anzupassen. Mit anderen Worten, die Änderungen müssen angemessen und erforderlich sein und nichts weiter.
In T 750/11 wies die Kammer darauf hin, dass eine Änderung nach R. 80 EPÜ dann formal zulässig ist, wenn sie als ernsthafter Versuch zu werten ist, einem Einspruchsgrund zu begegnen. Damit steht eine Änderung, die den Gegenstand eines unabhängigen Anspruches weiter einschränkt, formal im Einklang mit R. 80 EPÜ. Ob eine solche Änderung tatsächlich einen Einspruchsgrund behebt, ist eine Frage die erst bei der materiellrechtlichen Prüfung zu klären ist. Ein ernsthafter Versuch wurde z. B. in T 1175/11 und T 1797/16 zugebilligt. Ein Gegenbeispiel ist T 1833/15 (in der die Änderung den Gegenstand des Anspruchs nicht änderte, sodass es sich nicht um einen ernsthaften Versuch handelte).
In T 993/07 rief die Kammer in Erinnerung, dass R. 80 EPÜ lex specialis für Änderungen im Einspruchsverfahren ist und das Gegenstück zu R. 137 EPÜ für Änderungen im Prüfungsverfahren bildet. Die Kammer legte die Regel so aus, dass das Recht des Patentinhabers, das Patent, d. h. die erteilte Fassung der Ansprüche, zu ändern, im Einspruchsverfahren auf Änderungen beschränkt ist, mit denen ein Einwand ausgeräumt wird, der sich auf einen in Art. 100 EPÜ genannten Einspruchsgrund stützt, um so nach Möglichkeit einen Widerruf des Patents zu vermeiden (bestätigt in T 21/16 und als ständige Rechtsprechung angeführt). Entsprechend dieser Auslegung befand die Kammer, dass das Einspruchsverfahren nicht als Gelegenheit für den Patentinhaber verstanden werden darf, aus seiner Sicht bestehende Mängel des Patents zu beseitigen, so z. B. eine für die Definition aller kommerziell verwertbaren Ausführungsarten nicht ausreichende Zahl von unabhängigen und/oder abhängigen Ansprüchen. Eine Verbesserung der Rückfallpositionen des Patentinhabers für etwaige künftige Nichtigkeitsverfahren vor nationalen Gerichten durch die Aufnahme eines oder mehrerer unabhängiger und/oder abhängiger Ansprüche ist eindeutig nicht die "ratio legis" der R. 80 EPÜ oder des Einspruchsverfahrens (bestätigt in T 1764/17). Die Kammer merkte außerdem an, dass das in R. 80 EPÜ vorgesehene Erfordernis im Beschränkungsverfahren nach Art. 105a EPÜ nicht gilt.
In T 359/13 erklärte die Kammer, dass sich aus R. 80 EPÜ keinerlei Beschränkungen bezüglich der Art von Änderungen ableiten lassen, die der Patentinhaber zur Ausräumung erhobener Einwände vornimmt bzw. anstrebt (im vorliegenden Fall die Umwandlung eines Erzeugnisanspruchs in einen Verwendungsanspruch). Dem Patentanmelder oder -inhaber steht es im Gegenteil frei, jegliche ihm geeignet erscheinende Änderung der Patenschrift vorzuschlagen. Selbst in einem Fall wie dem in G 1/99 behandelten, wo die Möglichkeiten für eine Änderung der Ansprüche durch das Verschlechterungsverbot beschränkt waren, hat der Einsprechende als Beschwerdeführer nicht das Recht, die Art der Änderungen vorzuschreiben, die der Patentinhaber als Beschwerdegegner vornehmen kann (s. T 23/04).
Wie die Kammer in T 1285/15 betonte, wird bereits durch den Wortlaut der R. 80 EPÜ ("... durch einen Einspruchsgrund ... veranlasst …") klargestellt, dass bei der Prüfung, ob dieses Erfordernis erfüllt wurde, auf den Sachverhalt zum Zeitpunkt der Änderung abzustellen ist. Aus dem Umstand, dass die Ansprüche später nochmals geändert wurden und folglich die Streichung des Satzes nicht mehr erforderlich war, konnte nicht geschlossen werden, dass die Änderung der Beschreibung rückwirkend gegen R. 80 EPÜ verstieß. Die ursprüngliche Änderung konnte weiter als durch einen Einspruchsgrund veranlasst betrachtet werden.
In T 946/16 stellte die Kammer fest, dass der Einwand des Einsprechenden auf einer Fehlinterpretation der R. 80 EPÜ beruhte. Mit den Änderungen gemäß dieser Regel sind nicht Änderungen gegenüber einer früheren Fassung, die sich vom erteilten Patent unterscheidet, gemeint. Eine derartige Auslegung der R. 80 EPÜ würde zu einem mit dem Geist und Ziel des EPÜ unvereinbaren Ergebnis führen. Unter anderem würde sie es dem Patentinhaber unmöglich machen, einen Klarheitseinwand gegen eine Änderung zu überwinden, wenn diese selbst der R. 80 EPÜ entspricht.
In T 2450/17 enthielt Absatz [0008] der Patentschrift nach einer Änderung im Erteilungsverfahren einen unzutreffenden Hinweis auf den Stand der Technik. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer reichte der Beschwerdeführer einen geänderten Absatz [0008] ein, in welchem die unzutreffenden Angaben gestrichen wurden. Zu der Frage, ob die beanstandeten Änderungen nach R. 80 EPÜ zulässig sind, verwies die Kammer darauf, dass es in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass Bezugnahmen auf den Stand der Technik, soweit dieser im Sinne von R. 42 (1) b) EPÜ relevant ist, auch nachträglich eingefügt werden können, ohne dass dies notwendigerweise als unzulässige Erweiterung des Gegenstands der Patentanmeldung anzusehen wäre. Abgrenzungen vom relevanten Stand der Technik dürfen dabei aber nicht unrichtig oder irreführend sein, andernfalls könnten sie den Gegenstand des Patents doch verändern. Die Beseitigung derartiger Unrichtigkeiten verstößt damit nicht gegen Art. 123 (2) EPÜ, sondern ist im Gegenteil geeignet und geboten, um Konformität mit dieser Vorschrift herbeizuführen. Die Streichung unrichtiger Angaben zum Stand der Technik, von dem die Patentschrift sich abgrenzt, ist daher geeignet, dem Einspruchsgrund gemäß Art. 100 c) EPÜ Rechnung zu tragen. Die Kammer kam auch zu dem Schluss, dass es unzutreffend ist, dass jede Änderung eines unrichtigen Verweises auf den Stand der Technik, der nach R. 80 EPÜ – weil von Art. 100 c) EPÜ veranlasst – zulässig ist, zugleich eine Verletzung von Art. 123 (3) EPÜ darstellt. Sie wies darauf hin, dass zum einen R. 80 EPÜ bereits erfüllt ist, wenn Änderungen an den Patentunterlagen im Hinblick auf einen potentiell relevanten Einspruchsgrund vorgenommen werden und dass zum anderen im vorliegenden Fall eine Schutzbereichserweiterung nicht gegeben ist.