5. Der Begriff der einzigen allgemeinen erfinderischen Idee
Wird über die Einheitlichkeit der Erfindung entschieden, muss nach Art. 82 i. V. m. R. 44 EPÜ und nach R. 13.1 PCT zunächst festgestellt werden, ob eine Gruppe von Erfindungen, die in einer Patentanmeldung beansprucht werden, eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen.
In W 19/89 entschied die Kammer, dass die Anmeldung eindeutig mangelnde Einheitlichkeit der Erfindung aufweise, da sich die vier Möglichkeiten, die Anspruch 1 umfasste, auf eine Weiterentwicklung des Stands der Technik in jeweils verschiedene Richtungen bezogen, indem sie nämlich verschiedene Dehalogenierungsmittel einsetzten, die kein neues gemeinsames technisches Merkmal aufwiesen. Wenn bereits mindestens eine Lösung der der Erfindung zugrunde liegenden technischen Aufgabe Bestandteil des Stands der Technik sei, folge aus dem Erfordernis der "einzigen allgemeinen erfinderischen Idee", dass alle weiteren in der Patentanmeldung vorgeschlagenen Lösungen dieser Aufgabe mindestens ein neues gemeinsames Element aufweisen müssten. In der Regel werde dieses neue Element durch mindestens ein neues technisches Merkmal verkörpert. Da der Anmelder das Fehlen eines solchen gemeinsamen neuen technischen Merkmals einräume, beziehe sich die Anmeldung auf mehr als eine Erfindung.
Die Entscheidung zur Sache W 6/90 (ABl. 1991, 438) enthält eine nützliche Analyse der einzigen allgemeinen Idee. Die Kammer war der Auffassung, dass eine solche Idee in den Gemeinsamkeiten zum Ausdruck komme, die zwischen unterschiedlichen, in einer Anmeldung im Einzelnen dargelegten Lehren bestünden. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass eine patentrechtliche Lehre sowohl den die Lösung repräsentierenden unmittelbaren Anmeldungsgegenstand, wie er in dem entsprechenden Patentanspruch definiert sei, als auch seine als Effekte zum Ausdruck kommenden technischen Konsequenzen umfasse. Jeder Gegenstand sei dabei durch strukturelle Merkmale und die zwischen diesen bestehenden Beziehungen bestimmt. Die relevanten Effekte, d. h. die durch die beanspruchte Erfindung hervorgerufenen Wirkungen oder Ergebnisse, könne man in der Regel schon in der Aufgabenstellung erkennen. Die Anerkennung einer einzigen allgemeinen Idee setze mithin voraus, dass zwischen den in einer Anmeldung enthaltenen Lehren eine gewisse Teilidentität bestehe, die ihren Ursprung in den strukturellen Merkmalen der beanspruchten Gegenstände und/oder in den mit diesen Gegenständen verknüpften Wirkungen oder Ergebnissen habe.
Handle es sich um Gegenstände derselben Kategorie, so könne sich eine die Einheitlichkeit bewirkende Teilidentität aus den strukturellen Merkmalen dieser Gegenstände und/oder den damit verbundenen Effekten ergeben. Das Fehlen eines solchen gemeinsamen Elements in den verschiedenen, in der Anmeldung enthaltenen Lehren, und damit mangelnde Einheitlichkeit, könne unter bestimmten Umständen a priori festgestellt werden. Mangelnde Einheitlichkeit zwischen den Gegenständen verschiedener unabhängiger Ansprüche oder zwischen den verbliebenen Gegenständen könne aber auch a posteriori festgestellt werden, wenn der Gegenstand eines verbindenden Anspruchs gegenüber dem Stand der Technik nicht neu bzw. nicht erfinderisch sei. Die Kammer lieferte ein Beispiel dafür, was unter dem abstrakten Begriff "einzige allgemeine Idee" zu verstehen ist: Ein Produkt, ein zur Herstellung dieses Produkts besonders angepasstes Verfahren und die Verwendung dieses Produkts umfassen z. B. eine einzige allgemeine Idee, da sich einerseits die Teilidentität zwischen dem Produkt und seiner Verwendung aus den strukturellen Merkmalen des Produkts ergibt und sich andererseits die Teilidentität zwischen dem Produkt und dem Verfahren zu seiner Herstellung ebenfalls aus dem Produkt herleitet, das als Effekt, also als Wirkung oder Ergebnis dieses Verfahrens, gilt (vgl. T 119/82, ABl. 1984, 217).
Die Kammer führte weiterhin aus, dass die oben genannten, für die Einheitlichkeit der Erfindung geltenden Kriterien nach R. 13.1 PCT grundsätzlich auch dann anzuwenden sind, wenn die erfinderische Tätigkeit hauptsächlich auf der Entdeckung einer unerkannten Aufgabe basiert (vgl. T 2/83, ABl. 1984, 265). Ist die allgemeine Aufgabe, d. h. die zu erzielenden Effekte, an sich bereits bekannt oder könnte sie als allgemein wünschenswert oder naheliegend angesehen werden, liegt in der Formulierung der Aufgabe keine erfinderische Tätigkeit. Sind die gemeinsamen strukturellen Merkmale nur den Teilen des Anspruchs zu entnehmen, die Ausführungen zum Stand der Technik enthalten, und dienen diese bereits bekannten Merkmale nicht der Lösung der Aufgabe des kombinierten Ganzen, kann dies ebenfalls als Anzeichen für mangelnde Einheitlichkeit gelten.
In W 38/90 bestand die einzige Verbindung zwischen den Gegenständen der Ansprüche 1, 2 und 4 darin, dass die jeweiligen Merkmale alle zur Verwirklichung derselben Vorrichtung, nämlich eines Türspions beitrugen. Die Kammer stellte fest, dass sich dieses gemeinsame, dem kennzeichnenden Teil vorgeschaltete Merkmal darauf beschränke, die zum Stand der Technik gehörende Bezeichnung der Erfindung anzugeben. Es sei jedoch kein spezielles Merkmal, das mit den übrigen kennzeichnenden Merkmalen zusammenwirke und dadurch zu den verschiedenen Erfindungen und ihren Wirkungen beitrage. Daher müsse diese einzige Verbindung als für einen etwaigen erfinderischen Beitrag irrelevant zurückgewiesen werden. Wie bereits festgestellt, sei mangels eines wie auch immer gearteten gemeinsamen Merkmals eine Einheitlichkeit a priori nicht erkennbar.
In W 32/92 (ABl. 1994, 239) befand die Kammer, dass das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nicht erfüllt sei, wenn die Gegenstände unabhängiger Ansprüche einschließlich ihrer Wirkungen keine einen offensichtlich erfinderischen Beitrag leistende Gemeinsamkeit in den sich vom nächstliegenden Stand der Technik unterscheidenden Teilen der Ansprüche aufwiesen.
Im Verfahren T 861/92 war die beanspruchte Vorrichtung speziell auf die Durchführung eines einzigen Schrittes des beanspruchten Verfahrens zugeschnitten. Die Kammer gelangte zu dem Schluss, dass der Gegenstand der Ansprüche den Erfordernissen des Art. 82 EPÜ 1973 genüge, da ein technischer Zusammenhang zwischen den beiden Erfindungen bestehe.
In W 9/03 war die Kammer der Ansicht, dass eine gemeinsame Aufgabe nur unter bestimmten Bedingungen die Einheitlichkeit verschiedener Erfindungen begründen kann, zum Beispiel, wenn eine Aufgabenerfindung vorliegt. Laut Anmelder war die gemeinsame Aufgabe in einem sichereren, schnelleren und einfacheren Verbindungsaufbau zu sehen. Die Kammer ging davon aus, dass der Fachmann in dem betrachteten Gebiet diese Aufgabe grundsätzlich in Betracht ziehen würde. Die gemeinsame Aufgabe war demnach so allgemein gefasst, dass sie "selbst schon bekannt oder als allgemein wünschenswert oder naheliegend erkennbar" war (vgl. W 6/90, ABl. 1991, 438), sodass dadurch keine Einheitlichkeit bewirkt werden konnte. S. auch T 2482/12.