2. Parteistellung als Einsprechender
In T 349/86 date: 1988-04-29 (ABl. 1988, 345) verwies die Kammer auf R. 60 (2) EPÜ 1973, wonach im Falle des Todes des Einsprechenden das Einspruchsverfahren auch ohne die Beteiligung seiner Erben von Amts wegen fortgesetzt werden kann. Nach Auffassung der Kammer könne dies mit Sicherheit so ausgelegt werden, dass das Einspruchsverfahren auf die Erben des Einsprechenden und – analog dazu – auf die übernehmende Gesellschaft übertragbar ist, wenn die einsprechende Gesellschaft bei einer Fusion in ihr aufgeht (s. auch T 1091/02 date: 2004-07-23, ABl. 2005,14). In G 4/88 bestätigte die Große Beschwerdekammer, dass auch der Eintritt des Gesamtrechtsnachfolgers in die Einsprechendenstellung zulässig ist (Nr. 4 der Gründe). In T 475/88 entschied die Kammer, dass die Beschwerde zulässig war, weil die Einsprechendenstellung bei der Fusion mit der ursprünglichen Einsprechenden auf die Gesellschaft übergegangen war, die Beschwerde eingelegt hatte.
In T 2357/12 ging es darum, dass alle Vermögensbestandteile eines Unternehmens übertragen worden waren und seine Rechtspersönlichkeit anschließend aufgelöst wurde. Die Kammer stellte fest, dass die "Gesamtrechtsnachfolge" als Ausnahme von R. 22 (3) EPÜ ein verfahrensrechtlicher Begriff nach dem EPÜ ist, der vom EPA eigenständig und unabhängig vom nationalen Recht auszulegen ist. Gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern sind die wichtigsten Erwägungen für die Anerkennung einer Gesamtrechtsnachfolge die Rechtssicherheit bezüglich der Person des Nachfolgers und die Notwendigkeit, ein rechtliches Vakuum zu vermeiden. Die Übertragung aller Vermögensbestandteile eines Unternehmens und dessen unmittelbar darauf folgende Auflösung als Rechtspersönlichkeit könnte daher eine Gesamtrechtsnachfolge darstellen. Die Kammer folgerte, dass es nach dem betreffenden nationalen Recht (US-Bundesstaat Delaware) zwar kein echtes Konzept der "Gesamtrechtsnachfolge" gibt, im vorliegenden Fall aber nach dem EPÜ eine Gesamtrechtsnachfolge vorliegt. S. auch T 1755/14 zu einem Fall, in dem die Gesamtrechtsnachfolge durch Anwachsung bewirkt wurde.
In T 660/15 kam die Kammer in Übereinstimmung mit T 2357/12 zu dem Schluss, dass der Begriff der Gesamtrechtsnachfolge eigenständig, d. h. unabhängig vom nationalen Recht, auszulegen ist. Bei der Anerkennung der Gesamtrechtsnachfolge war von wesentlicher Bedeutung, dass es nur einen Übertragungsempfänger gab, der alle Vermögenswerte besaß, sowie dass der ehemalige Einsprechende nicht mehr existierte, sodass keine Rechtsunsicherheit darüber entstehen konnte, wer der Einsprechende war. S. auch T 1575/17, wo es sich um einen Fall von Gesamtrechtsnachfolge im Sinne der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (G 4/88, T 475/88 und T 2357/12) handelte, weil sowohl durch die Änderung der Rechtsform der Gesellschaft also auch durch die Fusion mit einer anderen Firma jeweils eine einzige neue juristische Person entstanden war, die immer Eigentümerin aller Aktiva und Passiva der Einsprechenden war.
In T 659/92 (ABl. 1995, 519) lag keine Gesamtrechtsnachfolge vor. Hier gab es für eine vertragliche Übertragung des Geschäftsbetriebs der Einsprechenden keine Anhaltspunkte. Die Kammer kam zu dem Ergebnis, dass die einseitige Erklärung des Schutzrechtinhabers, gewerbliche Schutzrechtspositionen und die Einsprechendenstellung bezüglich eines bestimmten Schutzrechtsverfahrens zu übertragen, eine Gesamtrechtsnachfolge durch Betriebsübernahme nicht bewirken kann.
In T 531/11 stellte die Kammer fest, ein Auszug aus dem Unternehmenskaufvertrag, wonach das Unternehmen "im Wege der Veräußerung von Einzelwirtschaftsgütern" verkauft worden war, zeige, dass es sich nach dem Wortlaut des Vertrags gerade nicht um eine Gesamtrechtsnachfolge handelt.