7. Das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung auf dem Gebiet der Biotechnologie
In T 187/93 fehlte es an der experimentellen Absicherung in der Patentanmeldung. Die Kammer stellte fest, dass der Fachmann beim Versuch, dieselbe technische Wirkung mit einem anderen Glykoprotein zu erzielen, mit der mangelnden Vorhersehbarkeit dieser Wirkung konfrontiert wäre, was wiederum zu einem unzumutbaren Aufwand führen könnte.
In T 2006/08 waren im Streitpatent zwar keine experimentellen Details für den Faktor IX angegeben, doch hätte es nach Auffassung der Kammer keiner unzumutbaren Versuche bedurft, die Verfahrensschritte auszuführen. Es war glaubhaft, dass das beanspruchte Verfahren eine Verbesserung der In-vivo-Funktion von Faktor IX bewirkte. Die Erfordernisse des Art. 83 EPÜ waren erfüllt.
In ähnlicher Weise urteilte die Kammer in T 727/95, dass sich die Erfindung zu sehr auf den Zufall verließ. Der beanspruchte Gegenstand umfasste einen "als Acetobacter bezeichneten Mikroorganismus mit der Fähigkeit der Mikroorganismen [...]". Die Kammer stellte fest, dass der Anspruch durch die Formulierung "mit der Fähigkeit der" nicht nur die von den hinterlegten Stämmen abgeleiteten Acetobacter-Mikroorganismen umfasst, sondern auch solche, die dieselben beschriebenen Merkmale aufweisen wie die hinterlegten Stämme. Nach Auffassung der Kammer wäre das Auffinden anderer stabiler Acetobacter-Stämme mit überdurchschnittlicher Cellulose-Produktion in der Natur ein Zufall, und es wäre ein unzumutbarer Aufwand, wenn man sich darauf verlassen müsste, um eine Erfindung ausführen zu können, sofern nicht bewiesen ist, dass solche Zufallsereignisse häufig genug eintreten, um den Erfolg zu garantieren. Die Kammer schloss daraus, dass der Gegenstand des Anspruchs über die gesamte Breite des Anspruchs nicht ohne unzumutbaren Aufwand nacharbeitbar war.
Der beanspruchte Gegenstand in T 639/95 betraf ein Verfahren zur Herstellung von PHB-Biopolymeren in einer veränderten Wirtszelle mit Genen zur Kodierung der Enzyme ß-Ketothiolase, Azetoazetyl-CoA-Reduktase und Polyhydroxybutyrat(PHB)-Synthetase. Die Kammer stellte fest, dass der Versuchsplan zur Identifizierung und Isolierung des PHB-Gens sehr allgemein gehalten war. Mehrere Literaturangaben fehlten bzw. waren unvollständig. Es gab keine Ergebnisse oder Einzelheiten, die die Nacharbeitung erleichtern konnten. Die Kammer befand, dass die Versuche, die insgesamt erforderlich waren, für den Fachmann einen unzumutbaren Aufwand darstellten.
Hingegen war im Fall T 412/93, bei dem Fehler und Lücken die Ausführbarkeit eines der Beispiele ganz und die eines weiteren Beispiels teilweise beeinträchtigten, die Wiederholbarkeit der Erfindung nicht infrage gestellt, da diese Beispiele alternative Ausführungsformen anderer Beispiele waren.
In T 612/92 wären weitere wissenschaftliche Forschungen erforderlich gewesen, um die Erfindung auf einigen der beanspruchten Bereiche auszuführen. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass die Erfordernisse des Art. 83 EPÜ 1973 nicht erfüllt sind, da ernsthafte Zweifel daran bestanden, ob ein solches Verfahren im gesamten beanspruchten Bereich angewandt werden kann (vgl. T 694/92, ABl. 1997, 408).
In T 223/92 versetzte die Offenbarung den Fachmann jedoch in die Lage, die Erfindung – wenn auch langwierig und mühsam, so doch unter den gegebenen Umständen ohne unzumutbaren Experimentieraufwand und ohne erfinderische Tätigkeit – nachzuarbeiten (s. auch T 412/93).
In T 1456/06 ging es um den für die Ausführbarkeit eines auf Peptidimpfstoffe gerichteten Anspruchs notwendigen Umfang der Offenbarung. Aus dem Stand der Technik ging hervor, dass die Entwicklung von peptidbasierten Impfstoffen zur Krebstherapie – die einzige in der ursprünglich eingereichten Anmeldung spezifisch genannte Impfstoffart – nicht nur äußerst mühselig, sondern auch mit Unsicherheit befrachtet war. Die ursprüngliche Anmeldung offenbarte keinerlei Telomerasepeptide, die – glaubhaft – als geeignete Kandidaten für einen Impfstoff angesehen werden konnten, und enthielt zudem weder technische Informationen dazu, wie als Kandidaten in Frage kommende Peptide identifiziert werden sollten, noch Anweisungen, wie bei einem Fehlschlag zu verfahren sei. Die Kammer stellte fest, dass die Identifizierung von immunogenen Fragmenten des Telomeraseproteins, die sich zur Herstellung eines Impfstoffs eigneten, durch "Versuch und Irrtum" für den Fachmann einen unzumutbaren Aufwand bedeutete.
Die Anmeldung in T 1364/08 betraf Viren zur Behandlung von Zellproliferationserkrankungen. Sie enthielt keine experimentellen Daten, die belegt hätten, dass das beanspruchte Adenovirus in der Lage war, sich in Zellen mit Ras-aktiviertem-Signalweg, nicht aber in normalen Zellen zu vermehren. Es wurden keine Daten vorgelegt, aus denen hervorging, dass ein solches Virus sich für die Behandlung von Ras-vermittelten Zellproliferationserkrankungen eignete. Ausgehend von dem in der ursprünglich eingereichten Anmeldung Beschriebenem und unter Berücksichtigung des im Stand der Technik Bekannten war jedoch plausibel, dass sich Ras-vermittelte Zellproliferationserkrankungen mit dem anspruchsgemäßen modifizierten Adenovirus wirksam behandeln ließen. Daher konnten nachträglich veröffentlichte Nachweise herangezogen werden, um dies weiter zu untermauern (im Anschluss an T 609/02).
In T 1846/10 bezog sich die Erfindung auf die Herstellung eines Lebendimpfstoffs gegen L. intracellularis auf der Grundlage attenuierter L.-intracellularis-Bakterien. L. intracellularis ist der Erreger der proliferativen Enteropathie beim Schwein, auch bekannt als Porcine Proliferative Enteropathie (PPE). Damit sich die attenuierten Bakterien als Impfstamm für einen Lebendimpfstoff eignen, müssen sie die folgenden drei Kriterien erfüllen: Sie müssen i) apathogen sein, d. h. sie dürfen nicht die Krankheit auslösen, ii) ausreichend immunogen wirken, d. h. sie müssen im tierischen Wirt einen Immunschutz auslösen, und iii) genetisch stabil sein, d. h. sie dürfen weder wieder pathogen noch zu attenuiert werden. Dies war zwischen den Beteiligten unstrittig.
Der Fachmann, der die beanspruchte Erfindung ausführen will, konnte nicht auf das allgemeine Fachwissen oder den Stand der Technik zurückgreifen, um geeignete attenuierte L.-intracellularis-Bakterien zu erhalten. Die erforderliche Anleitung zur erfolgreichen Ausführung der beanspruchten Erfindung musste also dem Patent entnehmbar sein. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass die im Patent enthaltene Anleitung den Fachmann nicht in die Lage versetzt, den attenuierten L.-intracellularis-Stamm ohne unzumutbaren Aufwand oder erfinderisches Zutun herzustellen.
Das Patent lehrt den Fachmann, dass er den passagierten Stamm testen muss, jedoch lediglich, um die Attenuierung zu verifizieren. Der zur Ausführung der Erfindung geeignete L.-intracellularis-Stamm musste jedoch nicht nur weniger virulent als der entsprechende Wildtyp-Stamm sein, sondern auch die beiden zusätzlichen Kriterien der ausreichenden Immunogenität und der genetischen Stabilität erfüllen. Ausgehend von der Anleitung im Patent und ohne zu wissen, warum der in Beispiel 5 verwendete Stamm die geimpften Tiere nicht schützt, hätte der Fachmann keinen Anhaltspunkt dafür gehabt, mehr Passagen durchzuführen. Er hätte nicht in Betracht gezogen, dass die in der Beschreibung offenbarten Intervalle reine Untergrenzen waren, sondern hätte sie als konkrete Bereiche aufgefasst. Die Kammer befand daher, dass Beispiel 5 den Beweis liefert, dass es dem Fachmann, wenn er die Anleitung im Patent befolgte, nicht gelingen würde, einen zur Herstellung eines Lebendimpfstoffs geeigneten attenuierten Stamm von L. intracellularis herzustellen.
In T 1376/11 kam die Kammer zu dem Schluss, dass der einzige in der Anmeldung offenbarte Weg zur Herstellung der erfindungsgemäßen Paprikapflanzen von den Elternsorten Capsicum annuum NM ausgeht, wie z. B. Capsicum annuum NM 1441. Die öffentliche Verfügbarkeit dieser Elternsorten am Prioritätstag der Anmeldung war daher zwingende Voraussetzung, damit der Fachmann die Erfindung nacharbeiten konnte. Ohne einen Beweis dafür, dass Capsicum annuum NM 1441 öffentlich verfügbar war, offenbarte die Anmeldung nach Auffassung der Kammer den Gegenstand von Anspruch 1 nicht so deutlich und vollständig, dass der Fachmann sie ausführen kann.