7.6. Hinterlegung biologischen Materials
Nach R. 31 (1) b) EPÜ enthält die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung die dem Anmelder zur Verfügung stehenden maßgeblichen Angaben über die Merkmale des hinterlegten biologischen Materials. Die einschlägigen Angaben sind in den Prüfungsrichtlinien präzisiert (s. F‑III, 6, Auflage März 2022).
In T 418/89 (ABl. 1993, 20) stellte die Kammer fest, dass sich die Eigenschaften der hinterlegten monoklonalen Antikörper von den in den Ansprüchen erwähnten unterschieden. Es war nicht möglich, anhand der von der Hinterlegungsstelle empfohlenen Verfahren monoklonale Antikörper aus dem hinterlegten Hybridom zu gewinnen. Die Erfordernisse des Art. 83 EPÜ 1973 waren somit nicht erfüllt. Eine Offenbarung gilt nicht als ausreichend, wenn die Erfindung nur nach wiederholter Anfrage bei der Hinterlegungsstelle und durch die Anwendung erheblich aufwendigerer Verfahren nachgearbeitet werden kann, als sie von der Hinterlegungsstelle empfohlen werden. Der Umfang des Patents konnte auch nicht auf das tatsächlich hinterlegte Material beschränkt werden, da sich die Eigenschaften des hinterlegten Materials von den in der schriftlichen Offenbarung des Patents beschriebenen unterschieden. Die bloße Hinterlegung eines Hybridoms ohne entsprechende schriftliche Beschreibung stellt keine ausreichende Offenbarung dar. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangte die Kammer in T 495/89 und T 498/94.
R. 31 (1) EPÜ kann nicht dahin gehend interpretiert werden, dass Material zwingend hinterlegt werden müsste, damit eine auch anhand der schriftlichen Beschreibung ausführbare Erfindung leichter nachgearbeitet werden kann, und zwar auch dann nicht, wenn die Ausführung der schriftlichen Offenbarung erheblich mühsamer wäre als die bloße Vermehrung des hinterlegten Mikroorganismus (s. z. B. T 223/92).
Desgleichen stellte die Kammer in T 412/93 fest, dass eine Hinterlegung nicht unter Berufung auf das Konzept des unzumutbaren Aufwands erzwungen werden könne. Dieses Konzept gelte vielmehr dann, wenn der dem Leser aufgezeigte Weg so spärlich abgegrenzt sei, dass der Erfolg infrage stehe, wie etwa in T 418/89. Solange der Weg zwar lang und beschwerlich, aber eindeutig sei, sei der Patentinhaber nicht verpflichtet, der Offenbarung nachzuhelfen, indem er konkrete physikalische Proben zur Verfügung stelle. Würde man zu einer anders lautenden Schlussfolgerung gelangen, so käme dies nach Ansicht der Kammer dem Erfordernis gleich, der Öffentlichkeit die beste Vorgehensweise unmittelbar zugänglich zu machen, was aber im europäischen Patentsystem nicht vorgesehen sei (s. auch T 431/96).
In mehreren Fällen ging es um die Frage, ob bestimmte Mikroorganismen (wie Plasmide oder Virusstämme) in Ermangelung einer Hinterlegung anhand der schriftlichen Beschreibung nachgearbeitet werden können. In T 283/86 und T 181/87 entschied die Kammer nach sorgfältiger Prüfung der schriftlichen Offenbarung, dass die in der Anmeldung enthaltenen Angaben ausreichten, um den Fachmann zuverlässig zu denselben Mikroorganismen zu führen, während sie dies in T 815/90 vom 20. Oktober 1997 date: 1997-10-20 und T 816/90 nicht gewährleistet sah (s. T 2542/12, Kommerzielle Fischfarmen in Norwegen – keine zuverlässige Quelle; auch T 1338/12, wissenschaftliche Veröffentlichungen).
Die Kammer in T 32/17 entschied (Orientierungssatz), dass die Hinterlegung eines Hybridoms nach R. 31 EPÜ zur Erfüllung des Erfordernisses der ausreichenden Offenbarung nach Art. 83 EPÜ an sich keine technischen Informationen über die Molekularstruktur des von diesem Hybridom erzeugten monoklonalen Antikörpers wie etwa seine Aminosäuresequenz vermittelt.