9.2. Der Aufgabe-Lösungs-Ansatz bei Mischerfindungen
In T 1463/11 führte die Kammer den fiktiven Geschäftsmann ein. Die Kammer stellte Folgendes fest: Wenn die wesentliche Idee der Erfindung auf einem nichttechnischen Gebiet liegt (üblicherweise einem Gebiet, das gemäß Art. 52 (2) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen ist, z. B. geschäftliche Tätigkeiten, Programme oder die Wiedergabe von Informationen), dann nimmt die objektive technische Aufgabe oft die Form eines Katalogs von Anforderungen an, die jede Implementierung erfüllen muss. Die Beurteilung, was technisch ist und was nicht, ist daher ein wichtiger Schritt bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe. Ein nicht naheliegender Unterschied gegenüber dem Stand der Technik führt, wenn er als technisch angesehen wird, zu einem positiven Ergebnis; wird er hingegen als nichttechnisch erachtet, hat er ein negatives Ergebnis zur Folge. Dies führt oft zu gegensätzlichen Definitionen der Aufgabe und bedarf daher einer präzisen Analyse. Bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe in Form nichttechnischer Anforderungen stellt sich die Frage, welche Vorgaben (beispielweise) der Geschäftsmann dem Fachmann tatsächlich machen kann. Naturgemäß können darunter auch rein geschäftliche Belange fallen. Allerdings ist für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit der Geschäftsmann genauso fiktiv wie der Fachmann gemäß Art. 56 EPÜ. Der Begriff des Fachmanns ist ein künstlicher; das ist der Preis einer objektiven Beurteilung. Genauso verhält es sich mit dem Geschäftsmann, der eine Abstraktion oder ein Hilfskonstrukt zur Trennung geschäftlicher Überlegungen von fachlichen darstellt. Ein realer Geschäftsmann, Fachmann oder Erfinder stellt solche Überlegungen nicht getrennt voneinander an. Der fiktive Geschäftsmann würde somit möglicherweise Dinge nicht tun, die ein realer Geschäftsmann tun würde. Er würde kein Internet benötigen. Mit diesem Ansatz wird sichergestellt, dass gemäß dem Comvik-Grundsatz alle technischen Gegenstände, einschließlich bekannter oder sogar notorisch bekannter Gegenstände, auf Naheliegen geprüft werden und zur erfinderischen Tätigkeit beitragen können. Ähnlich würde der fiktive Geschäftsmann möglicherweise Dinge tun, die ein realer Geschäftsmann nicht tun würde, wie z. B. Erfordernisse einbeziehen, die dem Geschäftsdenken zum betreffenden Zeitpunkt zuwiderlaufen – eine Art von geschäftlichem Vorurteil. Wäre dies nicht der Fall, so müssten entgegen dem Comvik-Grundsatz Geschäftsanforderungen geprüft werden und würden zur erfinderischen Tätigkeit beitragen.
In T 144/11 folgte die Kammer T 1463/11 und befand, dass der Fachmann eine vollständige Beschreibung der Geschäftsanforderung erhalten muss, ansonsten kann er diese nicht implementieren, und er sollte keinen Beitrag auf nichttechnischem Gebiet leisten.
In T 1082/13 befand die Kammer, dass der fiktive Geschäftsmann gemäß der Interpretation im Rahmen von T 641/00 umfassend über die geschäftsbezogene Anforderungsspezifikation informiert ist und weiß, dass solche geschäftsbezogenen Konzepte in einem Computersystem implementiert werden können. Die Wahl des Orts, an dem eine Berechnung in einem verteilten System erfolgt, ist nicht unbedingt technisch, sondern kann auch durch administrative Überlegungen motiviert sein. Der fiktive Geschäftsmann weiß allerdings nicht, wie dies in einem Computersystem genau umgesetzt werden kann. Dies gehört in die Sphäre des technischen Experten und ist im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit zu prüfen. In Bezug auf Vorurteile ist sorgfältig zu analysieren, ob wirklich ein technisches oder vielmehr ein geschäftliches Vorurteil vorliegt.
In T 1408/18 stellte die Kammer Folgendes fest: Ein Geschäftsmann, der ein Produkt anbieten möchte, welches die Durchführung einer Transaktion mit nur einem Endgerät ermöglicht, würde vorgeben, dass diese erst nach einer Autorisierung durch den Benutzer ausgeführt wird und dass es außerdem – dem Trend der Zeit entsprechend – wünschenswert wäre, wenn der Benutzer alle erforderlichen Eingaben auf seinem Smartphone vornehmen könnte. Demgegenüber fällt die Verwendung eines TAN-basierten Verfahrens einschließlich der Frage, wie eine sichere Übertragung der TAN ermöglicht werden kann, in die Sphäre des technischen Fachmanns. Denn ausgehend von einer traditionellen PIN-basierten Passwortauthentifizierung bildet die Verwendung einer TAN, d. h. eines Einmalpasswortes, eine zweite Sicherheitsebene. Die damit verbundene Interaktion von zwei Applikationen und Kommunikationskanälen zum Erhalten und Bereitstellen einer TAN führt zu einer Zwei-Faktor-Authentisierung, die eine erhöhte Sicherheit gewährleistet. Damit liegen dem TAN-Verfahren unabhängig von seiner konkreten Anwendung technische Überlegungen zugrunde, die über das hinausgehen, was von einem Geschäftsmann an technischem Verständnis erwartet werden kann.
In T 2455/13 schloss sich die Kammer der vorstehenden Begründung in T 1082/13 an und fügte hinzu, dass wenn Merkmale lediglich auf einer abstrakten Meta-Ebene als Module spezifiziert sind und Funktionen repräsentieren, wie sie der "nicht-technische Fachmann" in seinem Konzept zugrunde legen würde, so gibt dieser damit auch keine technischen Merkmale vor. Erst durch die Angabe von tatsächlichen Implementierungsschritten im Anspruch werden diese Module zu technischen Merkmalen qualifiziert.
In T 737/14 befand die Kammer, dass die richtige Anwendung von T 641/00 eine gründliche Analyse der geschäftlichen Zwänge bei der Formulierung der zu lösenden Aufgabe erfordert, bevor untersucht wird, was der Fachmann zur Lösung der Aufgabe getan hätte.
In T 817/16 erklärte die Kammer, ein sinnvoller Test zur Bestimmung, ob solche technischen Überlegungen vorliegen, bestehe in der Frage, ob die nichttechnischen Merkmale eher von einer technischen Person als von einer oder mehreren nichttechnischen Personen formuliert worden wären (T 1214/09, T 1321/11, T 1463/11, T 136/13). Dies sei keine Frage nach dem tatsächlichen Stand des technischen oder nichttechnischen Wissens am wirksamen Anmeldetag; die Frage sei vielmehr, ob das Wissen, das erforderlich sei, um auf die nichttechnischen Merkmale in dem konkreten Fall zu kommen, nur eine technische Person besitzen könne, d. h. eine Person, die nicht ausschließlich in unter Art. 52 (2) EPÜ fallenden Bereichen arbeite.
In T 1902/13 befand die Kammer, dass ein Unternehmensberater, der die Kompetenz einer Organisation beurteilen will, bestimmte Regeln und Fragen erarbeiten würde, die für eine andere Organisation wiederverwendet werden könnten. Die Automatisierung von Teilen dieses Prozesses macht diesen nicht technisch. Die Kammer war nicht der Ansicht, dass sich der Unternehmensberater und der qualifizierte Programmierer zusammensetzen müssten, um zu einer praktikablen Lösung zu gelangen. Vielmehr würde dem Programmierer das zugrunde liegende administrative Konzept als Anforderungsspezifikation vorgelegt.
In T 1749/14 vertrat die Kammer die Auffassung, dass der fiktive Geschäftsmann zwar auf den abstrakten Gedanken kommen könnte, die Angabe von PIN und Kontoinformationen durch den Kunden zu vermeiden, die Erfindung aber eine neue Infrastruktur, neue Geräte und ein neues Protokoll erfordere, die auf technischen Überlegungen zu modifizierten Geräten und deren Funktionen beruhten, sowie sicherheitsrelevante Änderungen bei der Übertragung vertraulicher Informationen unter Ausnutzung neuer Möglichkeiten, die durch Modifikationen der bisher bekannten mobilen POS-Infrastruktur erreicht werden. Dies übersteigt die Kenntnisse des fiktiven Geschäftsmanns und betrifft Einzelheiten der technischen Umsetzung, die über eine einfache 1:1-Programmierung einer abstrakten Geschäftsidee hinausgehen. Es gehört in die Sphäre des technischen Experten und ist im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit zu prüfen (s. T 1082/13).
- T 698/19
Catchword:
If non-technical features have both a technical and a non[1]technical effect, the technical effect must be taken into account when assessing inventive step, but the technical effect must be clearly derivable from the application as a whole (Reasons 3.6.4 (1)).
- T 524/19
Catchword:
While a feature might, in certain contexts, be seen as technical, the technical effect of a feature must be assessed as a whole and in the context of the claimed invention (reasons 2.7.4).
- T 2626/18
Catchword:
The appellant argued that the claimed features relating to the abstract business concept neither could have been provided by the business person to the technical expert for programming, nor would the technical expert have corresponding knowledge starting from a networked standard computer system. The appellant thereby alleged that there was to be considered an imaginary third person who came up with the concept of the invention to be implemented on a computer system. The Board notes that when assessing inventive step in the field of computer implemented business related inventions following the COMVIK approach and the corresponding case law, there is no room for such a third expert. When analysing the features of a claim and answering the question of whether they provide a technical contribution, each such feature has to be judged to be either a contribution of the technical expert or of the non‑technical business person in order to conclude whether there is an inventive technical contribution.
- T 1026/17
Catchword:
In the Board's judgement it is part of the non-technical requirement specification to keep keys (be it analog or electronic keys) away from people one does not trust. This does not require technical considerations of a technically skilled person. The Board does not consider this to be a technical difference, but to be an administrative consideration within the sphere of a business person when contemplating a secure tender process. It is not regarded as a technical innovation, but a natural choice for the bidders to use individual keys, keep the keys back as long as possible and furnish them as late as possible. And even if this was considered technical, it would, in the Board's view, be obvious to do so. Furthermore, the Board considers that implementing a functionality in the networked e-tender system corresponding to D1 would be, at the claimed level of generality, obvious in view of the above business related requirement specification. The Board notes that the implementation is claimed in functional terms and neither the claim nor the application as a whole provide details on how encryption/decryption is achieved on a technical level. The application apparently relies in this respect on the skilled person's common general knowledge. The Board notes in this regard that if providing necessary software and data structures were beyond the skilled person's skills, the invention would not be sufficiently disclosed (Article 83 EPC). Even if the appellant is correct that using different keys for different bidders is a difference over D1, this would in the Board's view imply - in the light of bidders creating their own individual keys for unlocking/decrypting being obvious - that the keys of different bidders are different, too. Therefore creating individual keys/pass-phrases would inherently require the use of multiple keys for implementation. (See points 4.2 to 4.4 of the reasons)