1.3. Aufschiebende Wirkung der Beschwerde
Nach Art. 106 (1) Satz 2 EPÜ hat die Beschwerde aufschiebende Wirkung.
In G 2/19 (ABl. 2020, A87) wies die Große Beschwerdekammer darauf hin, dass diese Regelung einen grundsätzlichen Charakter hat. Sie ist auf den üblichen Fall zugeschnitten, in dem das Rechtsmittel von einem Beteiligten eines vorangegangenen Verfahrens eingelegt worden ist, in dem eine diesen Beteiligten beschwerende Entscheidung ergangen ist und ein als solcher anfechtbarer Gegenstand angegriffen werden soll. Es besteht hingegen kein anerkennenswertes Interesse daran, die aufschiebende Wirkung auch einem Rechtsbehelf beizulegen, der, wie die Beschwerde eines Dritten im Sinne von Art. 115 EPÜ zur Beseitigung vermeintlich undeutlicher Patentansprüche (Art. 84 EPÜ), keinen Rückhalt im EPÜ hat und deshalb offensichtlich unzulässig ist. Die Große Beschwerdekammer stellte klar, dass die Einlegung eines aufgrund solcher Umstände offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelfs konsequenterweise keine aufschiebende Wirkung entfaltet.
Die Juristische Beschwerdekammer ist in J 28/94 date: 1994-12-07 (ABl. 1995, 742) näher auf die Bedeutung dieser Wirkung eingegangen; in dieser Sache hatte ein Dritter behauptet, dass er Anspruch auf Erteilung eines europäischen Patents habe, und verlangt, das Erteilungsverfahren gemäß R. 13 (1) EPÜ 1973 (R. 14 EPÜ) auszusetzen. Die Kammer hob hervor, dass die aufschiebende Wirkung der Beschwerde dafür sorge, dass die angefochtene Entscheidung so lange keine Rechtswirkung entfalte, bis das Beschwerdeverfahren abgeschlossen sei. Dies sei deshalb gerechtfertigt, weil verhindert werden müsse, dass die Beschwerde infolge der Entfaltung einer solchen Rechtswirkung gegenstandslos werde. Wenn also eine Entscheidung, mit der es abgelehnt wird, die Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung eines Patents zu verschieben, Gegenstand einer Beschwerde ist, dann muss die Bekanntmachung bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens aufgehalten werden. Wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, aus sachlichen Gründen als unmöglich erweist, die Bekanntmachung zu verschieben, dann hat das EPA alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Öffentlichkeit über die Ungültigkeit des Hinweises auf die Erteilung zu unterrichten (s. auch T 1/92, ABl. 1993, 685).
Nach J 28/03 (ABl. 2005, 597) bedeutet die aufschiebende Wirkung, dass die Folgen einer Entscheidung, gegen die Beschwerde eingelegt wurde (hier: Erteilung eines Patents auf die Stammanmeldung), nicht unmittelbar nach Ergehen der Entscheidung eintreten. Die in der Regel auf eine Entscheidung folgenden Handlungen werden ausgesetzt. Die aufschiebende Wirkung bedeutet nicht, dass die angefochtene Entscheidung aufgehoben wird. Die Entscheidung als solche bleibt auch nach Einlegung einer Beschwerde bestehen und kann nur von der Beschwerdekammer aufgehoben oder bestätigt werden.
In J 12/16 hatte die Prüfungsabteilung während des Laufs der Beschwerdefrist gegen die Zurückweisung des Umschreibungsantrags durch die Rechtsabteilung die Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des Patents bewirkt. Die Kammer stellte fest, dass diese Vorgehensweise erhebliche Probleme nach sich ziehen kann, da mit dieser Bekanntmachung der Lauf der Einspruchsfrist gegen das erteilte Patent ausgelöst wird. Das kann wiederum zur vorzeitigen Erledigung des Beschwerdegegenstands während des laufenden Beschwerdeverfahrens führen, obwohl die Beschwerde an sich aufschiebende Wirkung hat. Da während des Laufs der Beschwerdefrist theoretisch jederzeit mit der Einlegung einer Beschwerde und damit mit dem Eintritt der aufschiebenden Wirkung nach Art. 106 (1) EPÜ gerechnet werden muss (vgl. auch J 28/94 date: 1994-12-07), sollten solche Bekanntmachungen nicht bewirkt werden. Wollte man dies anders sehen, würde nach Auffassung der Kammer die aufschiebende Wirkung der Beschwerde unterlaufen werden.
In T 591/05 wurde festgestellt, dass die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde eine unmittelbare Folge der Beschwerdeeinlegung ist und durch diese bedingt wird; daher ist es nicht möglich, sich für die Zulässigkeit der Beschwerde auf Umstände zu berufen, die sich unmittelbar aus der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde ergeben.
Um die Bedeutung der aufschiebenden Wirkung ging es auch in J 18/08 und T 1674/12.