BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Juristischen Berschwerdekammer
Zwischenentscheidung der Juristischen Beschwerdekammer vom 7. Dezember 1994 - J 28/94 - 3.1.1
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | J.-C. Saisset |
Mitglieder: | G. Davies |
R. E. Teschemacher |
Anmelder: Soludia S.A.
Beschwerdeführer: Renacare Limited
Stichwort: Aufschiebende Wirkung/SOLUDIA S.A.
Artikel: 106 (1) EPÜ
Regel: 13 (1) EPÜ
Schlagwort: "aufschiebende Wirkung einer Beschwerde" - "Berichtigung im Europäischen Patentblatt"
Leitsatz
Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde verhindert den Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung bis zum Abschluß des Beschwerdeverfahrens. Gerechtfertigt ist dies durch das Erfordernis zu verhindern, daß der Eintritt der Rechtskraft die Beschwerde gegenstandslos macht.
Wenn also eine Entscheidung, mit der es abgelehnt wird, die Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung eines Patents zu verschieben, Gegenstand einer Beschwerde ist, dann muß die Bekanntmachung bis zum Abschluß des Beschwerdeverfahrens aufgehalten werden.
Wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, aus sachlichen Gründen als unmöglich erweist, die Bekanntmachung zu verschieben, dann hat das EPA alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Öffentlichkeit über die Ungültigkeit des Hinweises auf die Erteilung zu unterrichten.
Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 91 402 380.9 wurde am 5. September 1991 von der Firma Soludia S.A. (Frankreich) beim Europäischen Patentamt eingereicht. Die Prüfungsabteilung hat ihren Beschluß über die Erteilung eines europäischen Patents nach Artikel 97 (2) EPÜ am 21. Oktober 1994 an die interne Poststelle des EPA abgegeben, die diesen am 27. Oktober 1994 an den Anmelder abgesandt hat. In diesem Beschluß wurde mitgeteilt, daß der Hinweis auf die Erteilung im Europäischen Patentblatt Nr. 94/49 vom 7. Dezember 1994 bekanntgemacht werde.
II. Mittels Telefax vom 27. Oktober 1994, das am selben Tag beim EPA einging, beantragte ein Dritter - die englische Firma Renacare Limited - beim EPA die Aussetzung des Erteilungsverfahrens nach Regel 13 (1) EPÜ; diese Firma wies dem EPA nach, daß sie ein Verfahren gegen den Patentanmelder eingeleitet hat, in dem der Anspruch auf Erteilung des europäischen Patents ihr zugesprochen werden solle.
III. Mit Entscheidung vom 25. November 1994 wies die Rechtsabteilung des EPA den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zurück.
IV. Am 28. November 1994 legte der Beschwerdeführer (Renacare Limited) Beschwerde ein und entrichtete die entsprechende Gebühr. Die Beschwerdebegründung wurde am selben Tag eingereicht.
V. Ebenfalls am selben Tag legte die Rechtsabteilung die Beschwerde nach Artikel 109 (2) EPÜ der Beschwerdekammer vor.
VI. Der Beschwerdeführer beantragte im Hauptantrag den Widerruf der Entscheidung vom 25. November 1994 und die Aussetzung des Erteilungsverfahrens nach Regel 13 (1) EPÜ sowie hilfsweise den Widerruf des Beschlusses der Prüfungsabteilung vom 27. Oktober 1994 und in jedem Fall die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2.1 Die Beschwerde wurde am 28. November 1994 eingereicht. Ab diesem Datum waren die in den Artikeln 106 bis 108 und in der Regel 64 EPÜ genannten Erfordernisse erfüllt. Somit stand fest, wie auch die Rechtsabteilung im Abhilfeverfahren festgestellt hat, daß die Beschwerde eine Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer erforderte.
2.2 Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung (Artikel 106 (1) EPÜ). Diese kann zwar nichts am Datum der angefochtenen Entscheidung ändern, hindert aber den Eintritt der Rechtskraft. Außerdem bedeutet dies, daß die angefochtene Entscheidung frühestens zum Datum der Entscheidung der Beschwerdekammer rechtswirksam wird.
2.3 Dies hätte das EPA dazu veranlassen müssen, entweder die Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des Patents aufzuhalten (vgl. T 1/92, ABl. EPA 1993, 685, Nr. 3.1 der Entscheidungsgründe), oder die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um eine Berichtigung im Europäischen Patentblatt veröffentlichen zu lassen (vgl. J 14/87, ABl. EPA 1988, 295). Auch nach den "Richtlinien für die Prüfung im EPA", Teil E-XI, Nr. 1 hat eine Veröffentlichung zu unterbleiben, wenn eine Beschwerde eingereicht worden ist.
2.4 Die Folgen dieser Unterlassung sind nämlich weitreichend.
Vor allem anderen ist zu bedenken, daß die Einspruchsfrist ab der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung im Europäischen Patentblatt läuft. Da sich aber aufgrund der Beschwerde das Datum einer angefochtenen Entscheidung nicht ändert, sondern nur deren Wirksamkeit gehemmt wird, dürfen nach Einreichung einer Beschwerde selbstverständlich keine Maßnahmen mehr getroffen werden, insbesondere nicht solche, die die Beschwerde gegenstandslos machen könnten.
Zweitens könnte die Öffentlichkeit im Vertrauen auf die Zuverlässigkeit amtlicher Veröffentlichungen Einsprüche einreichen, die auf falschen Voraussetzungen beruhen und möglicherweise unnötige Kosten verursachen. Dies könnte bedeutende finanzielle Verluste nach sich ziehen.
3. Um solchen Weiterungen nach Möglichkeit vorzubeugen, beschloß die Kammer, die Beschwerde vorrangig zu prüfen und die vorliegende Zwischenentscheidung zu erlassen, die lediglich eine reine Verfahrensfrage in bezug auf die Folgen der aufschiebenden Wirkung der vorliegenden Beschwerde betrifft. In der Sache selbst (d. h. was die Begründetheit der Anträge des Beschwerdeführers angeht) und hinsichtlich des Antrags auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird später entschieden.
4. Angesichts des Datums der vorliegenden Entscheidung können die Wirkungen der Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des Patents nur durch eine Berichtigung im ersten auf die Ausgabe vom 7. Dezember 1994 folgenden Europäischen Patentblatt außer Kraft gesetzt werden, in der mitgeteilt wird, daß der Hinweis auf die Erteilung aufgrund der aufschiebenden Wirkung der vorliegenden Beschwerde aufgehoben wird.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Das EPA hat in der nächsten Ausgabe des Europäischen Patentblatts eine Berichtigung zu veröffentlichen, in der die Öffentlichkeit darüber unterrichtet wird, daß der 7. Dezember 1994 nicht als der Tag der Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 475 825 auf die europäische Patentanmeldung Nr. 91 402 380.9 im Sinne der Artikel 64 (1) und 97 (4) EPÜ anzusehen ist.