BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.4.2 vom 27. September 1994 - T 384/91 - 3.4.2
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | E. Turrini |
Mitglieder: | W. W. G. Hofmann |
| C. V. Payraudeau |
Patentinhaber/Beschwerdeführer: Advanced Semiconductor Products
Einsprechender/Beschwerdegegner: Mitsui Petrochemical Industries Ltd.
Stichwort: "Kollision" zwischen Artikel 123, Absatz 2 und 3 EPÜ/II
Artikel: 100 c), 123 (2), (3) EPÜ
Schlagwort: Kollision zwischen Artikel 123, Absatz 2 und 3 EPÜ
Leitsätze
I. Für die Beurteilung der Frage, ob bei einem Einspruch ein hinzugefügtes Merkmal im Einzelfall den Kriterien der in Absatz 2 der Entscheidungsformel der Entscheidung G 1/93 vorgesehenen Ausnahme entspricht, ist allein die für den fachkundigen Leser erkennbare technische Beziehung zwischen dem hinzugefügten Merkmal und dem Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung maßgeblich.
II. Ein Merkmal ist in solchen Fällen nicht als bloße Einschränkung des Schutzbereichs des erteilten Patents - ohne technischen Beitrag zur beanspruchten Erfindung - anzusehen, in denen es mit den übrigen Merkmalen des Anspruchs dergestalt zusammenwirkt, daß es die Lösung der technischen Aufgabe gemäß der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung beeinflußt (Nr. 5 der Entscheidungsgründe).
Sachverhalt und Anträge
I. Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) legte Beschwerde ein gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 0 084 221 zu widerrufen.
Der Einspruch hatte sich gegen das Patent als ganzes gerichtet und war auf Artikel 100 a), b) und c) EPÜ gestützt.
In der Entscheidung, das Patent zu widerrufen, hatte die Einspruchsabteilung die Auffassung vertreten, daß die in Artikel 100 c) EPÜ aufgeführten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstünden. Insbesondere enthalte der geänderte Anspruch 1, auf dessen Grundlage der Beschwerdeführer die Aufrechterhaltung des Patents beantragt hatte, das Merkmal "im wesentlichen frei von Schlieren", das als über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehend (Art. 123 (2) EPÜ) erachtet wurde.
II. In der Zwischenentscheidung T 384/91 vom 11. November 1992 hatte die Technische Beschwerdekammer 3.4.2 befunden, daß das Merkmal "im wesentlichen frei von Schlieren"
- nicht ohne jede technische Bedeutung sei, obwohl es in seinem Umfang nicht genau definiert werde,
- ein einschränkendes Merkmal in bezug auf den Verfahrensanspruch 1 darstelle, obwohl es auf das Erzeugnis gerichtet sei, und
- sich nicht aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ableiten lasse.
Was den Vorschlag des Beschwerdeführers betraf, das Merkmal "im wesentlichen frei von Schlieren" durch "von im wesentlichen gleichmäßiger Dicke" zu ersetzen, befand die Kammer, daß diese Maßnahme zwar nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoße, jedoch entgegen den Bestimmungen des Artikels 123 (3) EPÜ den Schutzbereich des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung erweitere.
Daraus zog die Kammer den Schluß, daß die Erfordernisse der Absätze 2 und 3 des Artikels 123 EPÜ insofern in entgegengesetzte Richtungen wiesen, als jeder Versuch, das nicht offenbarte, vor der Erteilung hinzugefügte Merkmal "im wesentlichen frei von Schlieren" aus dem Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung zu streichen, zu einer Erweiterung des Schutzbereichs des Patents führen würde.
Die Kammer legte daher gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ der Großen Beschwerdekammer die folgende Frage vor:
"Kann ein europäisches Patent im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ im Einspruchsverfahren aufrechterhalten werden, wenn es in der erteilten Fassung Gegenstände enthält, die über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen und auch den von den Ansprüchen bestimmten Schutzbereich einschränken?"
III. In der Entscheidung G 1/93 vom 2. Februar 1994 beantwortete die Große Beschwerdekammer die Frage wie folgt:
"1. Enthält ein europäisches Patent in der erteilten Fassung Gegenstände, die im Sinne des Artikels 123 (2) EPÜ über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen und auch seinen Schutzbereich einschränken, so kann es im Einspruchsverfahren nicht unverändert aufrechterhalten werden, weil der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ seiner Aufrechterhaltung entgegensteht. Das Patent kann auch nicht durch Streichung dieser beschränkenden Gegenstände aus den Ansprüchen geändert werden, weil eine solche Änderung den Schutzbereich erweitern würde, was nach Artikel 123 (3) EPÜ unzulässig ist. Es kann deshalb nur aufrechterhalten werden, wenn die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung eine Grundlage dafür bietet, daß diese Gegenstände ohne Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ durch andere ersetzt werden können.
2. Ein Merkmal, das in der Anmeldung ursprünglich nicht offenbart war, ihr aber während der Prüfung hinzugefügt wurde und - ohne einen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung zu leisten - lediglich den Schutzbereich des Patents in der erteilten Fassung einschränkt, indem es den Schutz für einen Teil des Gegenstands der in der ursprünglichen Anmeldung beanspruchten Erfindung ausschließt, ist nicht als Gegenstand zu betrachten, der im Sinne des Artikels 123 (2) EPÜ über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ steht deshalb der Aufrechterhaltung eines europäischen Patents, das ein solches Merkmal enthält, nicht entgegen."
IV. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 20 gemäß einem Hauptantrag und drei Hilfsanträgen sowie der in den Spalten 1 bis 6 der Patentschrift enthaltenen und an die geänderten Ansprüche anzupassenden Beschreibung und der Abbildung 1 der Patentschrift.
V. Der Beschwerdegegner beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
VI. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag hat folgenden Wortlaut:
"Verfahren zur Herstellung einer optischen Membran aus einer Lösung, die wenigstens ein Polymer und ein Lösemittel enthält, gekennzeichnet durch die Stufen des Auftragens der Lösung auf die horizontale Fläche eines um eine im wesentlichen vertikale Achse drehbaren Trägers (8): Beschleunigung des Trägers (8) von einer ersten auf eine zweite Drehgeschwindigkeit, um die Lösung unter der Einwirkung von Zentrifugalkräften radial nach außen zu verteilen; Bildung der Membran während der Drehung des Trägers (8) durch Abdampfen des Lösemittels in der Lösung, wobei die auf die Membran einwirkenden Radialkräfte und das Abdampfen des Lösemittels bewirken, daß die gebildete Membran straff aufliegt und im westlichen frei von Schlieren ist; sowie Entfernen der Membran von der Fläche des Trägers (8) nach ihrer Bildung."
Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag unterscheidet sich von dem des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag dadurch, daß nach "... straff" das Merkmal "auf der Fläche" eingefügt wird.
Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß dem zweiten Hilfsantrag unterscheidet sich von dem des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag dadurch, daß nach "... straff" das Merkmal "von im wesentlichen gleichmäßiger Dicke" eingefügt wird.
Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß dem dritten Hilfsantrag unterscheidet sich von dem des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag dadurch, daß nach "... straff" das Merkmal "auf der Fläche ... von im wesentlichen gleichmäßiger Dicke" eingefügt wird.
Gemäß sämtlichen Anträgen sind die Ansprüche 2 bis 20 abhängig von Anspruch 1. Sie entsprechen den Ansprüchen 2 bis 20 der Patentschrift, wobei die Ansprüche 4 bis 7 jedoch durch Streichung des Worts "wenigstens" vor "teilweise" geändert wurden.
VII. Der Beschwerdeführer trug im wesentlichen folgende Argumente vor:
Es sei vorstellbar, daß ein Anspruchsmerkmal technisch bedeutsam sei, ohne selbst einen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung zu leisten. Wolle man dies ermitteln, so sei die Patentbeschreibung heranzuziehen. Für die Beurteilung dieser Frage falle der angeführte Stand der Technik nicht ins Gewicht und es sei unerheblich, ob die Ansprüche neu seien und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten. Die Prüfung auf Übereinstimmung mit Nummer 2 der Entscheidungsformel G 1/93 habe, was die Frage des technischen Beitrags anbelange, insofern absoluten Charakter, als hierfür nicht äußere Umstände, sondern allein die Patentdokumente unter Berücksichtigung der eingereichten Änderungen maßgeblich seien.
Im vorliegenden Fall sei das Merkmal "im wesentlichen frei von Schlieren" im Anspruch 1 gemäß sämtlichen Anträgen als technisch bedeutsam und damit als ein Merkmal zu bewerten, das dem mit dem beanspruchten Verfahren hergestellten Erzeugnis eine vorteilhafte Eigenschaft verleiht. Es enthalte jedoch keine technische Lehre zu der Frage, wie sich die Bildung von Schlieren vermeiden lasse, und leiste daher keinen technischen Beitrag zu der beanspruchten Erfindung.
Darüber hinaus werde durch dieses Merkmal der Schutzbereich des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung eingeschränkt, so daß auch die zweite der in Nummer 2 der Entscheidungsformel G 1/93 genannten Voraussetzungen erfüllt sei. Eine weitere Einschränkung werde in Anspruch 1 gemäß dem zweiten und dritten Hilfsantrag durch das Merkmal "von im wesentlichen gleichmäßiger Dicke" eingeführt, das in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung zweifelsfrei offenbart sei.
Der Entscheidung G 1/93 zufolge sei daher das Patent in der geänderten Fassung aufrechtzuerhalten.
VIII. Der Beschwerdegegner machte im wesentlichen folgendes geltend:
In der Zwischenentscheidung T 384/91 vom 11. November 1992 sei die Technische Beschwerdekammer 3.4.2 zu dem Schluß gelangt, daß das Merkmal "im wesentlichen frei von Schlieren" eine technische Bedeutung habe, in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht offenbart sei und den Schutzbereich einschränke. Somit stünden diese Fragen nicht mehr zur Diskussion.
In Nummer 1 der Entscheidungsformel G 1/93 werde festgestellt, daß, wenn ein Anspruch in der erteilten Fassung ein nicht offenbartes Merkmal enthalte, dessen Streichung nicht möglich sei, weil dadurch der Schutzbereich erweitert würde, die einzig mögliche Lösung darin bestehe, dieses Merkmal ohne Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ durch ein anderes zu ersetzen, für das die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung eine Grundlage biete. Dies sei jedoch nicht immer möglich.
Nummer 2 biete hier eine Alternativlösung an, sofern zwei Voraussetzungen erfüllt seien: Das nicht offenbarte Merkmal dürfe keinen technischen Beitrag zu der beanspruchten Erfindung leisten, sondern es müsse lediglich den Schutzbereich des Patents in der erteilten Fassung einschränken. Dieser Lösung liege die Überlegung zugrunde, daß in diesem Fall das hinzugefügte Merkmal dem Anmelder nicht zu einem ungerechtfertigten Vorteil verhelfe und die Interessen Dritter nicht beeinträchtigt würden.
Um im vorliegenden Fall festzustellen, ob das Merkmal "im wesentlichen frei von Schlieren" einen technischen Beitrag leiste, sei die Erfindung unter Berücksichtigung des Stands der Technik zu "identifizieren"; dabei seien Neuheit und erfinderische Tätigkeit sowie die hierfür maßgeblichen Merkmale zu ermitteln. Darüber hinaus sei das genannte Merkmal als funktionelle Einschränkung der Parameter des beanspruchten Verfahrens zur Herstellung der optischen Membran anzusehen und leiste daher zweifellos einen technischen Beitrag.
Bei der zweiten Voraussetzung sei es schwierig festzustellen, ob sie erfüllt sei oder nicht, da in keinem der Ansprüche in der ursprünglich eingereichten Anmeldung auf ein Verfahren zur Herstellung einer optischen Membran Bezug genommen werde. Der Schutzbereich des erteilten Patents könne daher nicht ohne weiteres mit demjenigen der ursprünglichen Anmeldung verglichen werden.
Aus diesem Grunde sei die in Nummer 2 der Entscheidungsformel G 1/93 aufgezeigte Alternative nicht anwendbar und das Patent sei zu widerrufen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ und ist daher zulässig.
2. Die Ansprüche gemäß sämtlichen Anträgen sind - mit Ausnahme des Merkmals "im wesentlichen frei von Schlieren", auf das im folgenden einzugehen ist - so geändert worden, daß keine Veranlassung zu Einwendungen nach Artikel 123 (2), 100 c) und 123 (3) EPÜ besteht.
Insbesondere wurde in der Zwischenentscheidung T 384/91 dieser Kammer vom 11. November 1992, Nummer 1.1, festgestellt, daß das Merkmal "straff" mit der zusätzlichen Angabe "auf der Fläche" (erster und dritter Hilfsantrag) oder ohne diese (Hauptantrag und zweiter Hilfsantrag) ursprünglich offenbart worden ist und den Schutzbereich des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung nicht erweitert.
3. Hinsichtlich des gemäß sämtlichen Anträgen in Anspruch 1 enthaltenen Merkmals "im wesentlichen frei von Schlieren" sind einige der für die Beurteilung eines möglichen Verstoßes gegen Artikel 123 (2) EPÜ (und, bei Streichung des Merkmals, gegen Artikel 123 (3) EPÜ) zu berücksichtigenden Gesichtspunkte bereits in der genannten Zwischenentscheidung behandelt worden (vgl. Nrn. 1.2 bis 1.4), in der die Kammer zu der Auffassung gelangt war, daß dieses Merkmal nicht ohne jede technische Bedeutung ist, ein den Verfahrensanspruch 1 einschränkendes Merkmal darstellt und sich nicht aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ableiten läßt.
Obwohl der Beschwerdeführer im Verlauf des Beschwerdeverfahrens mehrere Fassungen des Anspruchs 1 eingereicht hat, ist es mit keiner Fassung gelungen, das Merkmal "im wesentlichen frei von Schlieren" ohne Erweiterung des Schutzbereichs durch ein ursprünglich offenbartes Merkmal zu ersetzen.
Für diese Einschätzung der Sachlage, die der der Großen Beschwerdekammer vorgelegten und von ihr beantworteten Frage zugrunde lag, haben sich keine neuen Gesichtspunkte ergeben.
4. Wird die Entscheidung G 1/93 der Großen Beschwerdekammer auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt übertragen, so folgt daraus unmittelbar, daß das Patent nur dann aufrechterhalten werden kann (vgl. Nr. 1 der Entscheidungsformel), wenn - im Gegensatz zu dem in Nummer 1 der Entscheidungsformel behandelten Fall - das hinzugefügte und ursprünglich nicht offenbarte Merkmal nicht als ein Gegenstand anzusehen ist, der nach Artikel 123 (2) EPÜ über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Nr. 2 der Entscheidungsformel).
Es bleibt daher zu untersuchen, ob die in der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer für den Fall vorgesehene Möglichkeit, daß der Schutzbereich eines erteilten Patents durch ein in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht offenbartes, sondern erst während des Prüfungsverfahrens hinzugefügtes Merkmal eingeschränkt wird (Nr. 2 der Entscheidungsformel), auf das Streitpatent anwendbar ist. Die Große Beschwerdekammer führt hierzu aus, daß ein Merkmal dann nicht als Gegenstand zu betrachten ist, der im Sinne des Artikels 123 (2) EPÜ über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, wenn es, ohne einen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung zu leisten, lediglich den Schutzbereich des Patents in der erteilten Fassung einschränkt, indem es den Schutz für einen Teil des Gegenstands der in der ursprünglichen Anmeldung beanspruchten Erfindung ausschließt.
5. Als Beispiel für das Fehlen dieser Voraussetzung nennt die Große Beschwerdekammer den Fall, daß ein einschränkendes Merkmal zu einer erfinderischen Auswahl führt (Nr. 16 der Entscheidungsgründe). Die Abgrenzung gegenüber einem Merkmal, das nicht als technischer Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung, sondern lediglich als Einschränkung des Schutzbereichs anzusehen ist, wird sich jedoch eher an einer geringeren Bedeutung dieses Merkmals für die Erfindung orientieren müssen. Diese Auffassung wird auch durch die Tatsache untermauert, daß die Große Beschwerdekammer (vgl. Nrn. 5 und 13) auch das in der Entscheidung T 231/89 herangezogene Kriterium der Bedeutung für Neuheit und erfinderische Tätigkeit verworfen hat, das eine Gegenüberstellung mit dem angeführten Stand der Technik implizieren würde.
Die Kammer hält es aber nicht für erforderlich, auf den im Prüfungs- und Einspruchsverfahren angeführten Stand der Technik einzugehen; vielmehr ist bei der Beurteilung der Frage, ob die in der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vorgesehene Ausnahme im Einzelfall zutrifft, allein die für den fachkundigen Leser erkennbare technische Beziehung zwischen dem hinzugefügten Merkmal und dem Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung maßgeblich.
Nach Auffassung der Kammer geht ein Merkmal zumindest dann über eine bloße Einschränkung des Schutzbereichs ohne technischen Beitrag zur Erfindung hinaus, wenn es mit der Art und Weise, in der die technische Aufgabe gemäß der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung durch die übrigen Merkmale des Anspruchs gelöst wird, in einer Wechselwirkung steht.
Die Argumentation des Beschwerdegegners, wonach sich die von der Großen Beschwerdekammer genannte Voraussetzung auf "Erfindungen" beziehe, die unter dem Aspekt der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit zu "identifizieren" seien, um festzustellen, ob es sich tatsächlich um "Erfindungen" handle und welche Merkmale hierfür maßgebend seien (vgl. Schreiben vom 26. August 1994, Punkt 4, 5 und 6 der "Stellungnahme"), vermag jedoch nicht zu überzeugen, da - wie aus dem Wortlaut der Artikel 52, 54 und 56 EPÜ hervorgeht - der Begriff der "Erfindung" das Vorliegen von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht zwingend voraussetzt.
Da der Beschwerdegegner im übrigen einen Vergleich des Schutzbereichs des derzeit vorliegenden Anspruchs 1 mit demjenigen der Ansprüche der ursprünglichen Anmeldung für angezeigt hält, möchte die Kammer darauf hinweisen, daß in Nummer 2 der Entscheidungsformel der Großen Beschwerdekammer nicht auf den ursprünglich beanspruchten Gegenstand (dessen Schutz teilweise ausgeschlossen wird), sondern auf den Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung Bezug genommen wird, wenn nur diejenigen Merkmale berücksichtigt sind, die in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung offenbart wurden.
6. Im vorliegenden Fall bezeichnet das Merkmal, wonach die Einwirkung der Radialkräfte und das Abdampfen des Lösemittels bewirken, daß die Membran "im wesentlichen frei von Schlieren" ist, in erster Linie eine Wirkung, wobei jedoch die zu erzielende Wirkung gleichzeitig als funktionelle Definition für die auszuführenden Verfahrensschritte dient.
Das Verfahren zur Herstellung einer optischen Membran aus einer Lösung, die, wie in Anspruch 1 angegeben, wenigstens ein Polymer und ein Lösemittel enthält, stellt die Lösung der Aufgabe dar, Membranen von im wesentlichen gleichmäßiger Dicke und geringen Schwankungen der Dicke von Rand zu Rand und von einem Einzelteil zum anderen herzustellen, wobei das Licht beim Durchgang durch die Membran nur geringfügig absorbiert, gebeugt oder zerstreut wird (vgl. die ursprüngliche Beschreibung, S. 1, Zeilen 6 bis 14 und 23 bis 25). Es liegt auf der Hand, daß die weitgehende Schlierenfreiheit, ebenso wie die Lösung der obengenannten Aufgabe, von der richtigen Auswahl der bei diesem Verfahren verwendeten Parameter abhängt, also z. B. von der Zusammensetzung und Viskosität der Lösung, der Anfangs- und Endgeschwindigkeit bei der Drehung des Trägers, der Höhe der Beschleunigung sowie der Abdampfzeit (vgl. Spalte 4, Zeilen 5 bis 37 des Patents). Zwar mag es zutreffen, daß, wie der Beschwerdeführer geltend macht, das Merkmal "im wesentlichen frei von Schlieren" für sich allein keine präzise technische Anweisung zur Vermeidung von Schlieren enthält, jedoch ist nicht zu übersehen, daß dieses Merkmal mit den übrigen Merkmale des beanspruchten Gegenstands in einer Wechselbeziehung steht und dem Fachmann zumindest andeutungsweise die Richtung nahelegt, die bei der Auswahl der Parameter für die Durchführung des Verfahrens gemäß Anspruch 1 einzuschlagen ist. Daraus ergibt sich bei der Lösung der Aufgabe eine gewisse Wechselwirkung mit den übrigen Merkmalen.
Dies läßt darauf schließen, daß das Merkmal "im wesentlichen frei von Schlieren" einen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung leistet und nicht lediglich eine Einschränkung des Schutzbereichs darstellt. Somit ist die in Nummer 2 der Entscheidungsformel der Großen Beschwerdekammer genannte Voraussetzung nicht erfüllt.
7. Da das Merkmal "im wesentlichen frei von Schlieren" im Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag wie auch gemäß dem ersten bis dritten Hilfsantrag enthalten ist, geht der Gegenstand dieser Ansprüche im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Insbesondere vermag die Aufnahme des weiteren Merkmals "von im wesentlichen gleichmäßiger Dicke" (zweiter und dritter Hilfsantrag) das Vorliegen des Merkmals "im wesentlichen frei von Schlieren" nicht zu heilen.
Aus diesen Gründen ist keinem der vier Anträge des Beschwerdeführers stattzugeben, und der in Artikel 100 c) EPÜ genannte Einspruchsgrund steht der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.