2.4. Streichungen und Ersetzungen
Wie beispielsweise in T 1384/16 zusammengefasst wurde, stellt sich das Problem, welches dem Einwand nach Art. 123 (3) EPÜ zugrunde liegt, der in den folgenden Entscheidungen behandelt wird, wenn ein erteilter Anspruch, der auf eine Zusammensetzung gerichtet ist, die offen definiert ist und die Anwesenheit eines zu einer Klasse oder Liste von Verbindungen gehörenden Bestandteils in einer durch einen Bereich definierten Menge spezifiziert, später geändert wird, indem die Definition der Klasse oder Liste von Verbindungen eingeschränkt wird. In einem solchen Fall hat die Änderung trotz der augenscheinlichen Beschränkung zur Folge, dass die gestrichenen Verbindungen, die gemäß dem erteilten Anspruch in einer durch einen spezifischen Bereich beschränkten Menge anwesend sein mussten, immer noch anwesend sein können, wenn auch auf nicht spezifizierte Weise. In diesem Fall geht der Schutzbereich des geänderten Anspruchs über den des erteilten Anspruchs hinaus und führt somit zu einem Verstoß gegen Art. 123 (3) EPÜ.
In T 2017/07 führte die Kammer aus, dass eine Zusammensetzung, die gemäß einem Anspruch einen Bestandteil in einer mittels eines Zahlenbereichs definierten Menge enthält, durch das Merkmal gekennzeichnet ist, dass dieser Bestandteil in einer innerhalb dieses Bereichs liegenden Menge vorhanden sein muss, sowie durch die implizite Bedingung, dass er nicht in einer außerhalb dieses Bereichs liegenden Menge vorhanden sein darf. Folglich darf die Menge, in der der Bestandteil in der Zusammensetzung vorhanden ist, die Obergrenze des angegebenen Zahlenbereichs nicht überschreiten. Eine Änderung, durch die die Breite des Bestandteils eingeschränkt wird, indem beispielsweise eine den Bestandteil definierende generische Klasse oder Liste chemischer Verbindungen enger eingegrenzt wird, hat zur Folge, dass die chemischen Verbindungen, die durch die eingegrenzte Definition des Bestandteils nicht mehr abgedeckt werden, auch nicht mehr in einer innerhalb des Zahlenbereichs liegenden Menge vorhanden sein müssen, wodurch der Schutzbereich der impliziten Bedingung eingeschränkt wird. Ist definiert, dass eine Zusammensetzung bestimmte, im Anspruch angegebene Bestandteile umfasst, so kann sie – soweit nichts anderes festgelegt ist – auch weitere Bestandteile umfassen. Bei einem auf eine solchermaßen offen definierte Zusammensetzung gerichteten Anspruch kann die Einschränkung der Breite eines darin enthaltenen Bestandteils somit eine Erweiterung seines Schutzbereichs bewirken, was dazu führt, dass ein so geänderter Anspruch im Einspruchs-/Beschwerdeverfahren unter Umständen den Schutzbereich des erteilten Patents erweitert (Art. 123 (3) EPÜ). Die Überlegungen in T 2017/07 wurden z. B. in T 9/10 und T 2430/17 bestätigt (in Letzterer wurde eine Liste dreier Polymerfamilien, die in Anspruch 1 der erteilten Fassung definiert war, durch Streichung von zwei Alternativen beschränkt, und damit wurde die implizite Bedingung für diese zwei Alternativen entfernt).
In T 999/10 stellte die Kammer fest: Mit einer "kaskadenartigen" Formulierung in einem offenen Anspruch ("umfassend"), mit der in einem geänderten Anspruch die breite Definition von Anspruch 1 beibehalten und mit Hilfe der Wendung "wobei ..." eingeschränkt wird, lässt sich die in T 2017/07 erörterte Situation vermeiden, dass eine Änderung, die eigentlich in der Absicht erfolgt ist, einen Anspruch einzuschränken, dessen Schutzbereich tatsächlich ausweitet (Art. 123 (3) EPÜ).
In T 1360/11 bestätigte die Kammer Folgendes: Wenn in einem Fall ein erteilter Anspruch, der auf eine Zusammensetzung gerichtet ist, die offen definiert ist und die Anwesenheit eines zu einer Klasse oder Liste von Verbindungen gehörenden Bestandteils in einer durch einen Bereich definierten Menge beinhaltet, später geändert wird, indem die Definition der Klasse oder Liste von Verbindungen eingeschränkt wird, könnte trotz der augenscheinlichen Beschränkung der Wortlaut des erteilten und des geänderten Anspruchs so formuliert sein, dass die Änderung zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führt. Das Problem war in der Rechtsprechung wohlbekannt, s. z. B. T 172/07, T 2017/07, T 832/08, T 1312/08, T 869/10, T 287/11. Die Kammer stellte fest, dass durch Aufnahme einer doppelten Bedingung verhindert werden kann, dass der Anspruch über den Schutzbereich des Patents hinausgeht. Ein möglicher Verstoß gegen Art. 123 (3) EPÜ kann verhindert werden, indem in den geänderten Anspruch eine mengenmäßige Bedingung hinsichtlich der eingeschränkten Klasse oder Liste von Verbindungen und eine zusätzliche Vorgabe hinsichtlich der Gesamtmenge der zu der breiteren Klasse oder Liste gehörigen Verbindungen aufgenommen wird. S. auch T 514/14 und T 1063/15.
In T 491/13 unterschied die Kammer den Sachverhalt von demjenigen der vorstehend angegebenen Fälle, da es weder um eine eingeschränkte Liste von Verbindungen ging, die eine oder mehrere der besagten Verbindungen (hier das Lösungsmittel) oder eine Mischung daraus umfasst, noch um eine breitere Liste, die als allgemeine chemische Klasse oder Formel definiert ist. Die Situation war auf den vorliegenden Fall außerdem nicht anwendbar, weil der Schutzbereich von Anspruch 1 in der erteilten Fassung auf Stoffgemische erweitert wurde, die den ausgewählten Bestandteil in Mengen innerhalb des definierten Bereichs und möglicherweise eine oder mehrere ergänzende, nicht ausgewählte Verbindungen in einem beliebigen Bereich enthielten.
In T 306/14 stellte die Kammer fest, dass sich die Situation mit einer "kaskadenartigen" Formulierung des Anspruchs (formulation "en cascade", wie in T 999/10) oder einer "doppelten Bedingung" (wie in T 1360/11) vermeiden ließe. Im vorliegenden Fall hatte der Beschwerdeführer die zweite Möglichkeit gewählt und den Anspruch durch Aufnahme einer weiteren Einschränkung der Gesamtmenge des gemahlenen Füllstoffs geändert. Die Kammer stimmte dem Beschwerdegegner (Einsprechenden) zwar darin zu, dass die Ansprüche nicht mit den Ansprüchen in der Entscheidung T 1360/11 identisch seien, bei denen die zusätzliche Bedingung außerdem die Menge der spezifischen Bestandteile festlegte. Jedoch sei der Grundgedanke derselbe. Die Aufnahme der zweiten Bedingung stelle sicher, dass die Gesamtmenge des gemahlenen Füllstoffs nicht über den Bereich der erteilten Ansprüche hinausgehe.
Siehe aber auch T 2447/18, wo illustriert wird, dass solche Anspruchsformulierungen gegen Art. 123 (2) EPÜ verstoßen können.