1. Rechtlicher Charakter des Beschwerdeverfahrens
Die Beschleunigung von Beschwerdeverfahren ist in Art. 10 (3) bis (6) VOBK 2020 neu geregelt worden. Die Absätze 3 bis 6 ersetzen die Mitteilung des Vizepräsidenten Generaldirektion 3 vom 17. März 2008 über die Beschleunigung des Verfahrens vor den Beschwerdekammern (ABl. 2008, 220).
Die Möglichkeit der Verfahrensbeschleunigung erlaubt es den Kammern, einer Beschwerde Vorrang gegenüber anderen anhängigen Beschwerden einzuräumen. Verfahrensbeteiligte, die ein berechtigtes Interesse an der raschen Behandlung ihrer Beschwerde haben, können bei den Beschwerdekammern einen entsprechenden Antrag stellen. Art. 10 (3) VOBK 2020 stellt die Entscheidung über den Antrag eines Beteiligten auf Beschleunigung in das Ermessen der Kammer (s. dazu ausführlich Zusatzpublikation 2, ABl. 2020).
In T 734/12 beantragte der Beschwerdeführer (Patentinhaber) eine Beschleunigung des Beschwerdeverfahrens auf der Grundlage von drei Argumenten: der Möglichkeit einer Zurückverweisung, dem Argument, dass die angefochtene, die Neuheit betreffende Entscheidung eine wichtige Rechtsfrage aufwerfe, für deren Klärung eventuell mehr Zeit nötig sei, sowie der kommerziellen und medizinischen Bedeutung der patentierten und zugelassenen Behandlung. Nach Auffassung der Kammer rechtfertigten diese Gründe an sich noch keine Beschleunigung des Verfahrens. Eine Beschleunigung ist als angemessen erachtet worden, wenn eine Verletzungsklage angedroht wurde oder anhängig war, was vorliegend nicht der Fall war. Es war jedoch klar, dass sich die Parteien weitgehend einig waren und auch die Öffentlichkeit ein Interesse an einer zügigen Entscheidung hat. Dem Interesse der Parteien und der Öffentlichkeit war deshalb am besten durch ein beschleunigtes Verfahren gedient.
In T 895/13 vom 28. März 2014 date: 2014-03-28 bestätigte die Kammer, dass eine Beschleunigung des Verfahrens stets im Ermessen der Kammer liegt. Natürlich können triviale Gründe eine Beschleunigung nicht rechtfertigen; ein festes Beweismaß gibt es aber nicht. Im vorliegenden Fall hätte die Kammer das Verfahren eindeutig nach Maßgabe der Mitteilung vom 17. März 2008 über die Beschleunigung des Verfahrens vor den Beschwerdekammern (ABl. 2008, 220) von Amts wegen beschleunigen können, weil die aufschiebende Wirkung der Beschwerde zu Nachteilen vor belgischen Gerichten hätte führen können. Wenn die Kammer auf dieser Grundlage die Beschleunigung von Amts wegen zulassen könnte, könnte sie dies natürlich auch auf Antrag eines Beteiligten. Die Kammer ordnete die Beschleunigung des Beschwerdeverfahrens an. Sie erklärte, dass sie sich dabei lediglich auf die Sachlage in diesem Fall und auf die parallel anhängige Beschwerde in der Sache T 1125/13 vom 28. März 2014 date: 2014-03-28 mit denselben Beteiligten stütze und keinen Präzedenzfall für anders gelagerte Fälle schaffen wolle.
In T 239/16 ließ die Kammer eine Beschleunigung zu. Sie erklärte, dass der Mitteilung vom 17. März 2008 über die Beschleunigung des Verfahrens vor den Beschwerdekammern (ABl. 2008, 220) zufolge eine Beschleunigung eindeutig nicht durch triviale Gründe gerechtfertigt werden kann. Wie aus den in der Mitteilung beschriebenen Szenarien folgt, ist der Begriff "berechtigtes Interesse" nicht so auszulegen, dass zwingende Gründe vorgebracht werden müssen. Vielmehr sind objektive Gründe anzuführen, die eine vorrangige Bearbeitung rechtfertigen. Natürlich müssen die angeführten Gründe gegen etwaige Nachteile abgewogen werden, die sich aus der Gewährung einer Verfahrensbeschleunigung ergeben könnten. Im vorliegenden Fall brachten die Beschwerdeführer (Einsprechenden) zur Stützung ihrer Anträge auf Beschleunigung des Verfahrens vor, dass gegen ihre Tochtergesellschaften in Frankreich ein Verletzungsverfahren angestrengt worden sei. Die Kammer war davon überzeugt, dass das vorliegende Beschwerdeverfahren Auswirkungen für das Verletzungsverfahren in Frankreich hatte, auch wenn die Beschwerdeführer an dem dortigen Verletzungsverfahren nicht beteiligt waren. S. auch T 1868/16, wo die Kammer eine Beschleunigung mit der Begründung zuließ, dass ein Schiedsverfahren gegen ein Tochterunternehmen in Portugal eingeleitet worden war.
In T 872/13 gab die Kammer dem Antrag auf beschleunigte Bearbeitung der Beschwerde nicht statt, weil die vom Beschwerdeführer (Einsprechenden) vorgebrachte Begründung, wonach das Patent Verunsicherung auslöse und Investitions- und Entwicklungsentscheidungen interessierter Kreise behindere, eine allgemeine Aussage war und sich nicht konkret auf einen Verfahrensbeteiligten bezog.
In T 1213/17 beantragte der Patentinhaber, die Sache an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, falls der neue Einwand in das Verfahren zugelassen würde. Die Kammer stellte fest, dass die angefochtene Entscheidung alle vom Einsprechenden geltend gemachten Einspruchsgründe behandelt hatte. Darüber hinaus waren nationale Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren vor dem Gericht erster Instanz Stockholm bzw. dem Patent- und Markengericht in Schweden anhängig, weswegen der Einsprechende eine Beschleunigung des Verfahrens vor der Kammer beantragte. Die Kammer entschied, die Angelegenheit nicht zurückzuverweisen.
S. auch Kapitel IV.C.7. "Beschleunigung des Einspruchsverfahrens im Falle von anhängigen Verletzungsklagen".