2.1. Regel 28 EPÜ
R. 28 d) EPÜ (R. 23d d) EPÜ 1973) sieht vor, dass europäische Patente nicht erteilt werden für Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität von Tieren, die geeignet sind, Leiden dieser Tiere ohne wesentlichen medizinischen Nutzen für den Menschen oder das Tier zu verursachen, und auch nicht für die mithilfe solcher Verfahren erzeugten Tiere.
Eines der wichtigsten Verfahren nicht nur in Bezug auf die Auslegung der R. 23d EPÜ 1973, sondern auch in Bezug auf Art. 53 a) EPÜ betraf ein Patent, das insbesondere auf transgene Tiere mit erhöhter Neigung zur Entwicklung von Krebs gerichtet war. Die Anmeldung resultierte in zwei wegweisenden Entscheidungen der Beschwerdekammern. Dies sind Entscheidung T 19/90 (ABl. 1990, 476, s. unten), die die Angelegenheit an die erste Instanz zurückverwies, sowie T 315/03 (ABl. 2006, 15), die zur Patenterteilung auf der Grundlage neuer Anträge führte.
Nachdem die Kammer sich in T 315/03 mit dem Verhältnis von R. 23d EPÜ 1973 (R. 28 EPÜ) und Art. 53 a) EPÜ auseinandergesetzt hatte (s. auch dieses Kapitel I.B.2.), wandte sie sich dem Test nach R. 23d d) EPÜ 1973 (R. 28 d) EPÜ) zu. Bei dieser Prüfung müssen nur drei Aspekte berücksichtigt werden: das Leiden der Tiere, der medizinische Nutzen und das Verhältnis zwischen diesen beiden Aspekten in Bezug auf die betreffenden Tiere. Die Kammer verwies darauf, dass die Regel angewendet werden sollte, um sicherzustellen, dass sich ein Patent nur auf die Tiere erstreckt, deren Leiden durch einen medizinischen Nutzen aufgewogen wird. Der Beweismaßstab, der für das Leiden der Tiere und den wesentlichen medizinischen Nutzen anzulegen ist, ist derselbe, nämlich die Wahrscheinlichkeit (s. auch T 1262/04 vom 13. Juli 2012 date: 2012-07-13).
In T 1553/15 entschied die Kammer, dass der aus der vorliegenden Erfindung erwachsende Vorteil für die Menschheit – anders als bei der transgenen Maus aus T 19/90, mit der auf Kosten des Leidens einer begrenzten Zahl von Tieren neue Forschungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Onkologie erschlossen wurden – nicht so geartet ist, dass er das Leiden der Tiere aufwiegen konnte, das zur Herstellung der beanspruchten pharmazeutischen Zusammensetzung unausweichlich war. Die neue pharmazeutische Zusammensetzung eröffnete keine neuen Behandlungsmöglichkeiten für die betreffenden Erkrankungen, und das Tierleid war nicht auf eine bestimmte Zahl von zu Testzwecken erforderlichen Tieren beschränkt, sondern lag jedes Mal vor und betraf bei jeder Herstellung der Zusammensetzung eine beträchtliche Zahl von Tieren. Zudem gab es Alternativen zu den beanspruchten pharmazeutischen Zusammensetzungen.