7.3.3 Rechtsprechung zu mündlichen Verhandlungen, die nach Ende der Pandemiemaßnahmen vor den Beschwerdekammern durchgeführt wurden
Dieser Abschnitt wurde aktualisiert, um die Rechtsprechung und Gesetzänderungen bis 31. Dezember 2023 zu berücksichtigen. Die vorherige Version dieses Abschnitts finden Sie in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage (PDF). |
i) Mündliche Verhandlung als Präsenzverhandlung ohne Einverständnis eines Beteiligten
In der Sache T 2432/19 wurde die mündliche Verhandlung im April 2023 als Präsenzverhandlung durchgeführt, obwohl der Beschwerdeführer (Patentinhaber) eine Durchführung als Videokonferenz beantragt hatte. Die Kammer hielt fest, dass es laut Art. 15a (1) VOBK 2020 zwar im Ermessen der Kammer stehe, eine mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchzuführen, dass G 1/21 date: 2021-07-16 aber gewisse Grenzen dafür setze, wie dieses Ermessen auszuüben sei. Die Kammer teilte nicht die in T 618/21 vertretene Auffassung bezüglich Art. 15a VOBK 2020, wonach die Ermessensausübung betreffend das Format der mündlichen Verhandlung nur auf das Kriterium der "Zweckmäßigkeit" des Formats zu stützen ist. Laut der Kammer hatte G 1/21 date: 2021-07-16 allgemeine Kriterien festgelegt, die nicht nur für die Situation einer allgemeinen Notlage, sondern auch in Zeiten ohne Notlage gelten. Aus G 1/21 date: 2021-07-16 folge ferner, dass die Beteiligten kein Recht auf ein Format mit Mängeln hätten, d. h. die Beteiligten können die Kammern nicht dazu zwingen, mündliche Verhandlungen als Videokonferenz statt als Präsenzverhandlung durchzuführen. Die Kammer führte die Entscheidung G 1/21 date: 2021-07-16 an, der zufolge Präsenzverhandlungen der "Goldstandard" sind. Anders als die Kammern in den Verfahren T 758/20 und T 618/21 war die Kammer der Auffassung, dass sich die Situation seit G 1/21 date: 2021-07-16 nicht geändert hat. Beim Erlass der vorliegenden Entscheidung hätten sich die Beteiligten auf dieselbe Art von Hardware und Software verlassen wie sie zur Zeit von G 1/21 date: 2021-07-16 verfügbar gewesen sei. Es seien keine signifikanten Verbesserungen erkennbar, die die "Unmittelbarkeit" auf das Niveau von Präsenzverhandlungen gesteigert hätten.
In T 1171/20 fand die mündliche Verhandlung im Mai 2023 entgegen dem ohne Begründung vorgetragenen Antrag des Einsprechenden (Beschwerdeführer) in Präsenz statt. Die Kammer betonte, dass die Große Beschwerdekammer in G 1/21 date: 2021-07-16 über den Umstand der allgemeinen Notlage hinausgegangen sei. Die Kammer war nicht der Meinung, dass, wie in T 618/21 vertreten, Art. 15a VOBK 2020 "als Nachfolgeregelung von G 1/21 date: 2021-07-16 angesehen werden muss". Die Kammer konnte daher nicht erkennen, dass Art. 15a VOBK 2020 die Ausführungen der Großen Beschwerdekammer in G 1/21 date: 2021-07-16 einschränken könnte (s. T 2432/19). Die Kammer stimmte der Entscheidung T 2432/19 darin zu, dass die Umstände, deretwegen eine mündliche Verhandlung in Präsenz vorzuziehen sein mag, auch der Kammer selbst zur Verfügung stehen, wenn sie ihr Ermessen unter Art. 15a (1) VOBK 2020 ausübt. Die Kammer könne somit grundsätzlich auch aus eigenem Ermessen und gegen den Willen der Parteien entscheiden, eine mündliche Verhandlung in Präsenz durchzuführen (s. T 2432/19).
ii) Mündliche Verhandlung als Hybridverhandlung mit Einverständnis der Beteiligten
In T 1501/20 wurde die mündliche Verhandlung in Form einer Hybridverhandlung ("mixed-mode") durchgeführt. Im gegebenen Zusammengang merkte die Beschwerdekammer an, dass die Entscheidung G 1/21 date: 2021-07-16 gewisse Grenzen für die Ausübung des Ermessens aus Art. 15a (1) VOBK 2020 setze. Die Beschwerdekammer folgte diesbezüglich der Entscheidung T 2432/19, wonach Art. 15a (1) VOBK 2020 im Hinblick auf die Entscheidung G 1/21 date: 2021-07-16 restriktiv auszulegen sei. Demnach biete Art. 15a (1) VOBK 2020 keine rechtliche Grundlage, um die mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz gegen den Willen eines der Verfahrensbeteiligten durchzuführen, sofern kein allgemeiner Notfall bestehe, der die Möglichkeit der Beteiligten einschränke, persönlich an einer mündlichen Verhandlung in den Räumlichkeiten des EPA teilzunehmen. Darüber hinaus stellte die Beschwerdekammer klar, dass sie nicht der in der Entscheidung T 618/21 vertretenen Auffassung folgt, wonach Art. 15a (1) VOBK 2020 "als Nachfolgeregelung von G 1/21 date: 2021-07-16 angesehen werden muss".