5.5.1 Mehrdeutige Parameter
Lassen sich (nicht offenbarte) Versuchsbedingungen einstellen, obwohl die Verfahren zur Bestimmung des Parameters nur unvollständig beschrieben werden, so kann die Erfindung dennoch hinreichend offenbart sein. S. z. B. T 1062/98. Zur Kalibrierung s. auch dieses Kapitel II.C.6.6.8.
Dass kein unmittelbares, eigenständiges Verfahren speziell zur Bestimmung des Parameters beschrieben wird, ist jedoch dem ausreichenden Charakter der Beschreibung an sich nicht abträglich, wenn die Ansprüche nicht auf ein Verfahren zur Bestimmung des Parameters gerichtet sind (T 256/87, betrifft Art. 83 und 84 EPÜ, zu einem geänderten Anspruch).
In der Sache T 83/01 (wesentlicher Parameter – Messung des Durchmessers von wässrigen Partikeln in einem plastischen, fettkontinuierlichen Brotaufstrich besondere Schwierigkeit) stellte die Kammer fest, dass das Patent die Anforderungen des Art. 83 EPÜ 1973 nicht erfüllt, wenn der Fachmann zwar keinen Grund hat, die gegebene Definition des Parameters in Zweifel zu ziehen, aber im Patent jede Angabe dazu fehlt, wie dieser Parameter gemessen werden soll.
In T 2403/11 (S. "catchword") befand die Kammer, dass die Mehrdeutigkeit eines Parameters im Anspruch für sich genommen nicht genügt, um die ausreichende Offenbarung zu verneinen. Ob aufgrund der Mehrdeutigkeit eine unzureichende Offenbarung vorliegt, ist von Fall zu Fall zu entscheiden (s. T 593/09 und T 472/14). Anders gelagert waren die Fälle T 882/03, wo es ebenfalls um Viskosität ging, aber die Mehrdeutigkeit nur geringfügige Variationen nach sich zog, und T 492/92, wo der Fachmann wusste, welche Methode er wählen musste. In T 2403/11 war dem Fachmann nicht bekannt, welche Methode und welche Messparameter auszuwählen waren. Auch in T 466/05 (ebenfalls Viskosität) wurde von T 492/92 abgewichen, weil in T 466/05 der Fachmann nicht einmal wusste, welcher Parameter (d. h. welches Maß des Molekulargewichts) des Polysaccharids bestimmt werden sollte. Weitere Entscheidungen zur Viskosität sind z. B. T 805/93, T 808/09, T 482/09.
Nach T 492/92 (keine Notwendigkeit, eines von mehreren verfügbaren Analyseverfahren zu spezifizieren) sind die Erfordernisse des Art. 83 EPÜ erfüllt, wenn offensichtlich ist, dass der Fachmann bei Abwägung von Einfachheit und Bequemlichkeit und der erforderlichen Genauigkeit ein bestimmtes analytisches Messverfahren wählen wird (da im Patent keines offenbart wird). In T 492/92 war festgestellt worden, dass die Tatsache, dass zwei vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Verfahren zur Messung eines bestimmten Parameters nicht unbedingt zum gleichen Ergebnis führten, noch nicht beweise, dass ein Fachmann diesen Parameter des beanspruchten Stoffgemisches nicht mit der erforderlichen Genauigkeit bestimmen könne.
In T 2096/12 konnte der Fachmann anhand der im Patent enthaltenen Offenbarung nicht wissen, nach welchem Messverfahren der beanspruchte Parameter für die Dicke zu bestimmen war. Die Kammer stimmte den Aussagen in T 593/09 zu und betonte, dass ein fehlendes Testverfahren für einen Parameter, bei dem es sich um ein beanspruchtes Merkmal handele, an sich nicht zu einer mangelnden Offenbarung führe. In einem Fall, der beispielsweise Bereiche für die Länge oder Breite eines klar strukturierten Artikels betrifft, könnten die Parameter eindeutig und ohne jeden Zweifel festgelegt werden. Allerdings müsse im Einzelfall beurteilt werden, ob dies möglich sei. Wenn der Schutzbereich des Patents nicht definiert sei und nicht zuverlässig bestimmt werden könne, wie im vorliegenden Fall, in dem weder die Ansprüche noch die Beschreibung einen Hinweis darauf lieferten, wie das Parametermerkmal auszulegen sei, könne nur der Schluss gezogen werden, dass die Erfordernisse von Art. 100 b) EPÜ nicht erfüllt waren.
In T 1583/17 betraf die Erfindung die Verwendung beschichteter Folien. Hinsichtlich der Bestimmung der Stärke der Beschichtung war unbestritten, dass weder Anspruch 1 noch die Beschreibung ein Verfahren zur Bestimmung der Stärke der Beschichtung angibt und dass dem Fachmann unterschiedliche Verfahren zur Verfügung stehen, die unterschiedliche Ergebnisse liefern könnten. Die bloße Tatsache, dass ein Anspruch unklar oder sein Anwendungsbereich mehrdeutig sei, bedeute nicht automatisch, dass die durch diesen Anspruch definierte Erfindung nicht ausreichend offenbart sei. Die Kammer erinnerte an die Rechtsprechung, wonach in den meisten Fällen die fehlende Angabe eines Verfahrens zur Messung eines Parameters nur ein Problem nach Art. 84 EPÜ darstelle. Die fehlende Angabe eines Verfahrens zur Messung der Stärke hindere den Fachmann nicht daran, die beanspruchte Erfindung zu auszuführen und sei daher nicht nach Art. 100 b) EPÜ zu beanstanden. Da die beanspruchte Erfindung nicht auf die mit einem bestimmten Verfahren gemessenen Stärken beschränkt sei, stehe es dem Fachmann frei, ein geeignetes Verfahren zu verwenden. Die Auswahl eines geeigneten Verfahrens sei nicht mit einem unzumutbaren Aufwand verbunden, da die Messung der Stärke einer Beschichtung oder einer Schicht im Allgemeinen ein absolutes Standardverfahren sei, für das viele allgemein bekannte Verfahren zur Verfügung stünden. Die Kammer stellte fest, dass die Erfindung möglicherweise nicht ausreichend offenbart wäre, wenn sie nur mit Beschichtungen durchgeführt werden könnte, deren Dicke nur mit einem bestimmten, aber nicht offenbarten Verfahren messbar wäre. Die Kammer wies erneut darauf hin, dass gemäß dem beanspruchten Gegenstand kein bestimmter Grad an weicher Haptik erforderlich sei (in entscheidendem Unterschied zu T 225/93). Die Kammer kam zu dem Schluss, es sei in der Akte nicht belegt, dass für die Durchführung der Erfindung, d. h. die Erzeugung einer Beschichtung mit einer Stärke im beanspruchten Bereich und einem gewissen Grad an weicher Haptik, die absolute Stärke der Beschichtung und damit die Auswahl eines Verfahrens zur Messung der Stärke ausschlaggebend wäre.
In T 1064/15 konnte der Fachmann aufgrund des nicht definierten Parameters "Durchmesser (SD)" nicht wissen, welchen Querschnitt er wählen sollte, um die gewünschte technische Wirkung zu erzielen. Um die Voraussetzungen für eine ausreichende Offenbarung zu erfüllen, reicht es nicht aus, einen Gegenstand herstellen zu können, der unter den Wortlaut eines Anspruchs fällt. Dieser Gegenstand muss auch die angebliche oder gewünschte technische Wirkung aufweisen, die mit der Erfindung erzielt wird (T 815/07). Das Feld der nicht kreisförmigen Querschnitte ist aufgrund der enormen Formenvielfalt sehr viel größer als das der kreisförmigen Querschnitte. Daher war es umso wichtiger zu wissen, wie der Schlüsselparameter solcher Formen, nämlich der Durchmesser, bestimmt wird.
In T 875/16 (optische Steuerung des Haarwuchses) befand die Kammer den im Anspruch verwendete Begriff der Dauer des Impulses für vage. Seine Verwendung in Anspruch 1 beeinträchtigte dessen Klarheit. Das Vorliegen dieses unklaren Parameters im Anspruch war zwar kein ausreichender Beleg dafür, dass der Fachmann die beanspruchte Vorrichtung nicht ohne unzumutbaren Aufwand nacharbeiten könnte, blieb jedoch nicht ohne Folgen für die Frage der ausreichenden Offenbarung, da sich der Fachmann beim Versuch der Nacharbeitung der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich nicht auf eine klare Definition dieses Parameters stützen könnte. Bei der Erörterung des gesamten beanspruchten Bereichs sagte die Kammer unter anderem, dass die Wirkung – eine gewisse Reduzierung des Wachstums – nicht spezifiziert sei und es keinen Hinweis auf die Messung dieser Wirkung gebe. Das Fehlen eines Hinweises darauf, wie die beanspruchte Wirkung gemessen wird, war besonders problematisch, weil diese den technischen Beitrag der Vorrichtung gegenüber bekannten Vorrichtungen ausmachte.
In T 417/13 (PVC-Teilchen) war die Größe der PVC-Teilchen ein wichtiges Merkmal der Erfindung. Ein Fachmann müsste in der Lage sein festzustellen, welche PVC-Teilchen die in den Ansprüchen definierte geeignete Größe haben. Die Ergebnisse für die Teilchengröße könnte jedoch abhängig vom Messverfahren stark variieren. Die Beschreibung in der Anmeldung enthielt nur sehr begrenzte Informationen, die zur Auswahl eines bestimmten Messverfahrens führen konnten. Bei der Auswahl eines geeigneten Messverfahrens war der Fachmann daher auf sein allgemeines Fachwissen angewiesen. Dem Fachmann wäre bekannt, dass es ISO-Normen gibt. Im Gegensatz zu T 225/93 (kein Hinweis auf das geeignete Messverfahren) hätte der Fachmann in T 417/13 ein bestimmtes Messverfahren ausgewählt (kein aktenkundiger Beweis des Einsprechenden über die Auswirkung der Messbedingungen im Hinblick auf die Erfordernisse des Art. 83 EPÜ).
In T 1900/17 kam die Kammer nach eingehender Begründung zu dem Schluss, dass die Mehrdeutigkeit, die bedingt war durch die fehlende Definition des Verfahrens zur Berechnung des beanspruchten Parameters (berechneter ClogP-Wert eines nichtionischen Tensids), auch nach der rationale von T 1845/14 nicht zu unzureichender Offenbarung führte.
In T 2399/10 ging es darum, dass ein Ausgangsstoff nicht bereitgestellt werden konnte, und zwar nicht nur, weil kein Verfahren beschrieben war, sondern auch, weil es durch einen nicht definierten Parameter gekennzeichnet war und somit nicht ermittelt werden konnte. Im Streitpatent war also nicht offenbart, wie die für die beanspruchte Zusammensetzung benötigten Partikel A von Alumina hergestellt wurden. Diese Sachlage unterschied sich von den Fällen, in denen die Merkmale des im Patent beschriebenen Endprodukts nicht klar definiert sind. Eine solche fehlende präzise Definition führt sehr häufig zu einem Klarheitsmangel. Im vorliegenden Fall war die Situation jedoch eine andere, denn nicht ausreichend definiert war hier eines der Ausgangsprodukte. Folglich ließ sich die beanspruchte Zusammensetzung nicht herstellen, weil die Informationen zur Auswahl des Ausgangsprodukts unzureichend waren. Es lag also ein Offenbarungsmangel vor. (Zur Frage der Offenbarung des Ausgangsprodukts s. auch T 1596/16).
S. auch T 1305/05 und T 1553/16 (unüblicher Parameter – geheim gehaltenes Messverfahren) in diesem Kapitel II.C.5.5.3.