5. Teil- und Mehrfachprioritäten
Wie der Präsident des EPA in der Begründung seiner Vorlage G 3/93 (ABl. 1995, 18) feststellte, sei es zum einen gang und gäbe, dass ein Anmelder in eine Nachanmeldung Gegenstände und Informationen aufnehme, die gegenüber seinen Voranmeldungen neu seien; zum anderen seien die Erfinder häufig bestrebt, ihre Forschungsergebnisse so schnell wie möglich zu veröffentlichen.
Die Große Beschwerdekammer befand in ihrer diesbezüglichen Stellungnahme, dass ein im Prioritätsintervall veröffentlichtes Dokument, dessen technischer Inhalt demjenigen des Prioritätsdokuments entspricht, einer europäischen Patentanmeldung, in der diese Priorität in Anspruch genommen wird, insoweit als Stand der Technik gemäß Art. 54 (2) EPÜ 1973 entgegengehalten werden kann, als der Prioritätsanspruch unwirksam ist. Dies gilt auch dann, wenn der Prioritätsanspruch deshalb unwirksam ist, weil das Prioritätsdokument und die spätere europäische Anmeldung nicht dieselbe Erfindung betreffen, da in der europäischen Anmeldung Gegenstände beansprucht werden, die im Prioritätsdokument nicht offenbart waren. Die Große Beschwerdekammer betonte, dass die Entstehung des Prioritätsrechts unter anderem von der Erfüllung des Erfordernisses abhängt, dass die europäische Patentanmeldung, in der die Priorität einer früheren Anmeldung in Anspruch genommen wird, sich auf "dieselbe Erfindung" beziehen muss, die auch in der früheren Anmeldung offenbart ist. Wenn eine Priorität beansprucht wird, aber nicht zuerkannt werden kann, weil die wesentliche Voraussetzung, dass die Erfindung in beiden Fällen dieselbe ist, nicht erfüllt ist, so entsteht auch kein Prioritätsrecht. Infolgedessen kann jede Veröffentlichung des Inhalts eines Prioritätsdokuments während des Prioritätsintervalls denjenigen Bestandteilen der europäischen Patentanmeldung als neuheitsschädlich entgegengehalten werden, für die kein Prioritätsanspruch besteht. S. das Beispiel in G 9/93; s. auch z. B. T 594/90 und T 961/90 sowie die Erörterung in T 301/87, ABl. 1990, 335.
T 131/99 betont, dass in dieser Hinsicht kein Unterschied zwischen abhängigen und unabhängigen Ansprüchen besteht (s. auch T 85/87 und die Zusammenfassung zu T 127/92 im nächsten Abschnitt).