1.2. Prüfungsantrag (Regel 70 EPÜ)
Nach Art. 94 (1) EPÜ prüft das EPA nach Maßgabe der Ausführungsordnung auf Antrag, ob die europäische Patentanmeldung und die Erfindung, die sie zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen. Der Antrag gilt erst als gestellt, wenn die Prüfungsgebühr entrichtet worden ist. Wird ein Prüfungsantrag nicht rechtzeitig gestellt, so gilt die Anmeldung als zurückgenommen (Art. 94 (2) EPÜ). Unterlässt es der Anmelder, auf eine Mitteilung der Prüfungsabteilung rechtzeitig zu antworten, so gilt die Anmeldung als zurückgenommen (Art. 94 (4) EPÜ).
R. 70 EPÜ behandelt die praktischen Modalitäten für die Stellung des Prüfungsantrags einschließlich Form und Frist. Gemäß R. 70 (1) EPÜ kann der Anmelder bis zum Ablauf von sechs Monaten nach dem Tag, an dem im Europäischen Patentblatt auf die Veröffentlichung des europäischen Recherchenberichts hingewiesen worden ist, die Prüfung der europäischen Patentanmeldung beantragen. Der Antrag kann nicht zurückgenommen werden.
In J 21/98 (ABl. 2000, 406) wurde festgestellt, dass der Prüfungsantrag im Rahmen des Erteilungsverfahrens einen eigenständigen und von dem (vorangehenden) Schritt der Einreichung der europäischen Patentanmeldung gesonderten Schritt darstellt. Insbesondere zeigt Art. 94 (1) EPÜ 1973, dass gemäß dem EPÜ die Patentanmeldung nicht als der einzige notwendige Schritt angesehen wird, den der Anmelder für die Erteilung eines Patents vornehmen muss, da ein weiterer Schritt erforderlich ist, nämlich ein schriftlicher Prüfungsantrag, d. h. eine neue Willenserklärung, das Erteilungsverfahren fortzusetzen. Der Anmelder ist somit berechtigt, das Ergebnis des Recherchenberichts zu erfahren, bevor er entscheidet, ob er durch Stellung des Prüfungsantrags und die Zahlung der entsprechenden Gebühr die Fortsetzung des Erteilungsverfahrens bewirkt oder ob er das Verfahren abbricht.
In J 12/82 (ABl. 1983, 221) befand die Juristische Kammer, die eindeutige Formulierung des Art. 94 EPÜ 1973 lasse eine extensive Auslegung nicht zu. Dieser Artikel schreibe vor, dass der Prüfungsantrag schriftlich und innerhalb einer bestimmten Frist zu stellen sei und die Prüfungsgebühr innerhalb derselben Frist entrichtet werden müsse. Sie war der Auffassung, die Zahlung der Prüfungsgebühr innerhalb der in Art. 94 (2) EPÜ 1973 vorgesehenen Fristen könne für sich genommen kein Ersatz für die rechtzeitige Stellung des Prüfungsantrags sein.
In J 4/00 vertrat die Juristische Kammer die Auffassung, dass die Entrichtung der Prüfungsgebühr allein für die Stellung eines Prüfungsantrags nach Art. 94 EPÜ 1973 nicht ausreiche, sondern darüber hinaus eine schriftliche Erklärung erforderlich sei, die an das EPA gerichtet ist und dort fristgerecht eingeht und in der der Anmelder seine Absicht bekundet, die Anmeldung prüfen zu lassen. Um als Prüfungsantrag zu gelten, dürfe der dem EPA übermittelte Wortlaut keine andere Interpretation zulassen als die, dass der Anmelder damit dem EPA seine Absicht kundtun wollte, die Anmeldung gemäß Art. 94 EPÜ 1973 prüfen zu lassen.
In T 158/12 stellte die Kammer fest, dass keine Bestimmung des EPÜ die Zahlung von mehr als einer Prüfungsgebühr für eine einzige Patentanmeldung gestattet. Dies steht in Einklang mit den Möglichkeiten, entweder im Prüfungsverfahren zu argumentieren, dass die Erfindung doch einheitlich sei, oder Teilanmeldungen einzureichen, wodurch jeweils der Grundsatz eine Erfindung – eine Prüfung (und eine Prüfungsgebühr für ein Prüfungsverfahren) gewahrt wird. Pro Anmeldung ist also nur eine Prüfung durchzuführen, weil auch nur eine Prüfungsgebühr entrichtet wurde. Die einmal erfolgte Auswahl einer Erfindung (oder Gruppe von Erfindungen), die Gegenstand der Prüfung sein soll, kann nach Aufnahme der Prüfung nicht mehr geändert werden. Diese auf den Rechtsvorschriften des EPÜ beruhende Auffassung wird durch die Stellungnahme G 2/92 (ABl. 1993, 591) bestätigt, in der es heißt: "Im Prüfungsstadium ist angesichts des Erfordernisses der Einheitlichkeit der Erfindung und der Tatsache, dass für jede Anmeldung nur eine Prüfungsgebühr zu entrichten ist, auch nur eine Erfindung in jeder Anmeldung […] zu prüfen(Nr. 2 der Begründung.) Der Standpunkt des Beschwerdeführers, der Prüfung einer Anmeldung könne mehr als eine Erfindung zugrunde gelegt werden, findet in der Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer keine Stütze.
In T 736/14 stellte die Kammer fest, dass das EPÜ nicht explizit regelt, wie bei einem Anmelder vorzugehen ist, dessen Anmeldung nicht einheitlich ist und der auf die Aufforderung der Prüfungsabteilung, genau anzugeben, welche der recherchierten Erfindungen er weiterverfolgen möchte, unklar oder missverständlich reagiert. Die Kammer stellte weiterhin fest, dass in einer solchen Situation nicht automatisch davon ausgegangen werden kann, dass der Anmelder die im Hauptantrag enthaltene Erfindung ausgewählt hat. Vielmehr muss die Prüfungsabteilung z. B. über eine weitere Mitteilung klären, welche der recherchierten Erfindungen der Anmelder tatsächlich prüfen lassen möchte.
In J 17/92 war die Juristische Kammer der Ansicht, dass die Zulassung der Verbindung nach dem EPÜ sowohl zulässig als auch wünschenswert sei, in Übereinstimmung mit dem in der Präambel des EPÜ ausgedrückten Bestreben, einen solchen Schutz in den Vertragsstaaten durch ein einheitliches Patenterteilungsverfahren zu erreichen. Die Verbindung liege nicht nur im Interesse der Anmelder, sondern auch im Interesse der Öffentlichkeit, die nicht zwei getrennte europäische Patentanmeldungen mit dem gleichen Text berücksichtigen müsse. Die Juristische Kammer stellte weiterhin fest, dass die Voraussetzungen für die Verbindung nicht restriktiver als erforderlich sein sollten. Die Bedingung, dass die beiden zu verbindenden Anmeldungen wörtlich übereinstimmen sollten, sei zu streng. In diesem Fall war die Juristische Kammer der Ansicht, dass eine Verbindung möglich sein sollte, wenn die Ansprüche, mit denen der Anmelder die verbundenen Anmeldungen weiterverfolgen wolle, entweder in Form eines geänderten Anspruchssatzes oder in Form eines mit dem ursprünglich eingereichten Anspruchssatz identischen Satzes zulässig sind. Nach Auffassung der Juristischen Kammer sollte ein solcher geänderter Anspruchssatz der Verbindung nicht prima facie entgegenstehen.