9.3.2 Ungeprüfte Fragen der Patentierbarkeit
Dieser Abschnitt wurde aktualisiert, um die Rechtsprechung und Gesetzänderungen bis 31. Dezember 2023 zu berücksichtigen. Die vorherige Version dieses Abschnitts finden Sie in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage (PDF). |
Legt die Beschwerdekammer einen Begriff anders aus als die erstinstanzliche Abteilung, so kann dies ein anderes Ergebnis und potenziell auch eine andere Sichtweise bei der Beurteilung der Anmeldung bzw. des Patents zur Folge haben. Unter solchen Umständen sind Kammern zu der Auffassung gelangt, dass eine unterschiedliche Auslegung bestimmter Begriffe letztendlich dazu führt, dass besondere Gründe für eine Zurückverweisung vorliegen.
Dies kann sich als unterschiedliche Auslegung des Stands der Technik darstellen. In T 1265/15 z. B. war der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags neu angesichts der Offenbarung von D1, womit die in der angefochtenen Entscheidung genannten Gründe für die Zurückweisung entkräftet waren. Die Kammer stellte außerdem fest, dass Anspruch 1 angesichts von D1 erfinderisch war. Da die Kammer diese Feststellungen auf eine andere Auslegung von D1 stützte als es in der Entscheidung der Fall gewesen war, hielt es die Kammer für angemessen, die Sache zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen, damit diese die Erfindung im Lichte des übrigen aktenkundigen Stands der Technik erneut bewerten konnte.
Ein weiteres Szenario ist eine andere Auslegung der Ansprüche durch die Kammer. In T 2024/15 hatte die Prüfungsabteilung ihren Einwand wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit auf eine Auslegung des Anspruchs 1 gestützt, die weder der üblichen Bedeutung der verwendeten Begriffe noch der Beschreibung der Anmeldung in diesem Fall entsprach. Wenn also die Kammer entscheiden würde, die Sache nicht an die erste Instanz zurückzuverweisen, müsste sie auf der Grundlage der korrekten Auslegung der Ansprüche eine vollumfängliche Prüfung der Anmeldung im Hinblick auf die Patentierbarkeitserfordernisse durchführen. Dies ist jedoch die Aufgabe der Prüfungsabteilung (s. G 10/93, ABl. 1995, 172). Die Kammer müsste sogar bestimmen, ob eine zusätzliche Recherche erforderlich ist. Somit kam die Kammer zu dem Schluss, dass die für die Patentierbarkeit relevanten Fragen in diesem Fall nicht ohne unzumutbaren Aufwand entschieden werden könnten (s. T 3247/19). Trotz der langen Verfahrensdauer verwies die Kammer die Sache an die erste Instanz zurück.
In T 607/17 wurde der Wortlaut des Anspruchs 1 von der Kammer anders, und zwar wesentlich breiter ausgelegt als von der Einspruchsabteilung. Durch diese neue Auslegung des Anspruchswortlauts lag ein völlig anderer Sachverhalt vor. Dies hatte zur Folge, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber D1 nicht neu war, während in der angefochtenen Entscheidung gefolgert worden war, dass weder D1 noch ein anderes Dokument aus dem Stand der Technik den Gegenstand des Anspruchs 1 vorwegnahm. Die Patentierbarkeit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hilfsantrags war auf der Grundlage dieser neuen Auslegung des Anspruchswortlauts zum ersten Mal vor der Beschwerdekammer zu prüfen. Dies stellte einen neuen Sachverhalt dar, der allein eine Zurückverweisung an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung rechtfertigte.
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”