3.1.7 Ausnahmen vom Verbot der reformatio in peius
T 957/22 × View decision
Zusammenfassung
In T 957/22 after having withdrawn its own appeal, the proprietor in its respondent's role was therefore limited to defending the patent in the form held allowable by the opposition division, or in a more restricted form.
The numbering of auxiliary requests 2-13 (lower ranking compared to the request to dismiss the opponent's appeal, i.e. to maintain the patent based on auxiliary request 1) suggested that they were part of the proprietor's defence against the opponent's appeal. However, claim 1 of each of these requests was not based on the restricted wording of auxiliary request 1 (which included "consisting of") held allowable by the opposition division, but on a broader wording of the main request (with "containing"), that the division had rejected.
While the formulation "consists of" was not clear in the context of claim 1 of auxiliary request 1, the board noted that substituting this term with "containing" nevertheless broadened the claimed subject-matter, compared to the first auxiliary request found allowable by the opposition division. While the term "consists of" limited the subject-matter of claim 1 of auxiliary request 1 to the components defined in the claim by excluding the presence of any further components, the substitution of this term with "containing" factually deleted this limiting feature, so that granting any one of these requests would put the opponent/appellant in a worse situation than if it had not appealed. This would not be in conformity with the prohibition of reformatio in peius.
In decision G 1/99 (OJ 2001, 382, Headnote), the Enlarged Board formulated an exception to the prohibition of reformatio in peius, namely "in order to meet an objection put forward by the opponent/appellant or the Board during the appeal proceedings, in circumstances where the patent as maintained in amended form would otherwise have to be revoked as a direct consequence of an inadmissible amendment held allowable by the opposition division in its interlocutory decision".
The board however agreed with the opponent that this exception did not apply in the case at hand, because the proprietor had deliberately withdrawn its appeal, and thus waived the possibility of defending its patent in a broader version than that upheld by the opposition division, although it was aware that the board had endorsed in its preliminary opinion the objection under Art. 123(2) EPC against the first auxiliary request. In this situation, there was no justification to grant the proprietor back this possibility for reasons of equity, i.e. to establish an exception from the prohibition of reformatio in peius. A party who waives an existing right in full knowledge of the legal situation could not expect to be granted back this right for reasons of equity.
Moreover, even if the principles as set out in decision G 1/99 were to be applied to the case at hand, i.e. if the proprietor could benefit from an exception to the principle of reformatio in peius, according to the decision of the Enlarged Board such an exception can only be made if the objection cannot be overcome by two other forms of amendments set out in the Headnote of decision G 1/99. However, the proprietor had not argued, nor was it discernible for the board, that claim amendments of these types were not possible.
Laut T 809/99 ist der nicht beschwerdeführende Patentinhaber im Beschwerdeverfahren im Wesentlichen darauf beschränkt, die Ansprüche in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung zu verteidigen. Wenn diese Ansprüche nicht gewährbar sind, gilt das Verschlechterungsverbot., d. h. ein geänderter Anspruch, der den Einsprechenden und alleinigen Beschwerdeführer schlechterstellen würde als ohne die Beschwerde, ist zurückzuweisen. Die einzige Ausnahme von diesem in G 1/99 dargelegten Grundsatz setzt voraus, dass eine bestimmte Reihenfolge von Möglichkeiten geprüft wird, um den Mangel im Anspruch bzw. in den Ansprüchen zu beseitigen. Bei der ersten in Frage kommenden Lösung zur Beseitigung des Mangels (Änderung durch Einführung eines oder mehrerer ursprünglich offenbarter beschränkender Merkmale, durch die der Beschwerdeführer (Einsprechende) nicht schlechtergestellt würde als ohne die Beschwerde) handelt es sich de facto um eine Beschränkung des Schutzumfangs. Eine solche Beschränkung kann auch erreicht werden, indem man die alternative Ausführungsform, die zu dem Mangel geführt hat, in dem Anspruch streicht. Das Argument, die Beschränkung auf nur noch eine von zwei Alternativen enge den Schutzumfang so ein, dass es kommerziell uninteressant werde, stellt keinen triftigen Grund dar, um diese Lösung auszulassen und die nächste in G 1/99 genannte Lösungsmöglichkeit zu versuchen.
In T 1194/06 räumte der Beschwerdegegner (Patentinhaber) ein, dass eine Beschränkung auf dem in G 1/99 (ABl. 2001, 381) an erster Stelle genannten Weg möglich sei, machte jedoch geltend, dass dies zu einer erheblichen Einschränkung des Schutzbereichs der Ansprüche führen würde. Die Kammer war sich der Tatsache bewusst, dass der Beschwerdegegner einen Teil des durch das Patent in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung verliehenen Schutzes verlieren würde. Aus G 1/99 gehe jedoch klar hervor, dass die Beschwerdekammern sich an das Verschlechterungsverbot halten müssten und dass eine Ausnahme von diesem Grundsatz eng auszulegen sei. Der Entscheidung T 1194/06 zufolge lässt nichts darauf schließen, dass die Große Beschwerdekammer in G 1/99 selbst eine erhebliche Beschränkung des Schutzumfangs für inakzeptabel gehalten hätte.
In T 1033/08 wies die Kammer darauf hin, dass G 1/99 die Entscheidungen G 9/92 date: 1994-07-14 und G 4/93 entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners nicht ersetzt, sondern insofern ergänzt, als sie Anweisungen für die Zulassung einer Ausnahme von dem in diesen Entscheidungen festgelegten Grundsatz des Verbots der reformatio in peius gibt. Verschiedene Voraussetzungen müssen erfüllt sein. Ein im Einspruchsverfahren aufgenommenes beschränkendes Merkmal musste gestrichen werden, und diese Streichung war durch die Beschwerde bedingt, d. h. sie war notwendig und angemessen, weil sie mit einem Einspruchsgrund in Zusammenhang stand und durch ein neues Vorbringen des Beschwerdeführers oder eine andere Beurteilung der Sachlage durch die Beschwerdekammer verursacht wurde. Ohne die Streichung hätte das Patent widerrufen werden müssen. Durch die Aufnahme neuer Merkmale, die den Schutzbereich des Patents in der aufrechterhaltenen Fassung einschränken, hätte der Einwand nicht ausgeräumt werden können. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt waren, konnte ein Einwand entsprechend der zweiten Option von G 1/99 durch die Aufnahme neuer Merkmale ausgeräumt werden, die den Schutzbereich des Patents in der aufrechterhaltenen Fassung ohne Verstoß gegen Art. 123 (3) EPÜ erweitern.
In T 2129/14 ging es um eine unzulässige Änderung, die vier Elemente des beanspruchten Systems und deren Verhältnis zueinander betraf. Gegenüber dem Anspruch 1 des von der Einspruchsabteilung für gewährbar befundenen Antrags wurden im Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags drei Merkmale gestrichen. Damit wurde der Schutzbereich gegenüber dem Antrag erweitert, auf dessen Grundlage das Patent aufrechterhalten worden wäre, wenn der Einsprechende und alleinige Beschwerdeführer keine Beschwerde eingelegt hätte. Unter diesen Umständen war der Einsprechende und alleinige Beschwerdeführer schlechtergestellt, als wenn er keine Beschwerde eingelegt hätte. Die Kammer merkte an, dass es sich bei den drei in G 1/99 definierten Bedingungen um drei sequenzielle Bedingungen handle. In Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags seien Merkmale hinzugekommen, die auch das Verhältnis der vier Elemente des Systems zueinander beträfen. Jedes Erfordernis, das durch Streichung der unzulässigen Änderung verloren gegangen sei, müsse zusammen mit den hinzugekommenen Merkmalen im Lichte der in G 1/99 definierten Bedingungen betrachtet werden. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass die Änderungen die Bedingungen für die Ausnahmeregelung nach G 1/99 erfüllten – womit die Streichung der früheren unzulässigen Änderungen möglich wurde – und damit gewährbar waren.
- T 957/22