5.5.2 Sorgfaltspflicht des zugelassenen Vertreters
In J 11/06 stellte die Juristische Kammer fest, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Juristischen Kammer in Anlehnung an die Entscheidung J 27/90 der bestellte zugelassene Vertreter auch dann im Verfahren vor dem EPA verantwortlich bleibt, wenn die Jahresgebühren von einem Dritten entrichtet werden, und die zur Gewährleistung der Zahlung erforderlichen Schritte vorzunehmen hat, wenn eine solche beabsichtigt ist (ebenso J 1/07, J 4/07, J 12/10, J 5/13).
In J 4/07 musste der zugelassene Vertreter davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer beabsichtigte, die Streitanmeldung weiterzuverfolgen. Unter diesen Umständen sei es nicht ausreichend gewesen, dass er lediglich – mehr als vier Monate vor dem Ablauf der betreffenden Frist – eine einzige Erinnerung geschickt habe.
In J 12/10 bestätigte die Juristische Kammer, dass nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ein zugelassener Vertreter nach seiner Bestellung – auch wenn die Jahresgebühren von jemand anderem entrichtet werden – in vollem Umfang für die Anmeldung zuständig ist, wozu auch die Verpflichtung gehört, Fristen zu überwachen, den Anmelder zu erinnern usw.
In J 5/13 erklärte die Juristische Kammer, dass der Umfang der Pflichten des Vertreters allerdings davon abhängt, was zwischen dem Vertreter und seinem Mandanten vereinbart ist. Von einem bestellten Vertreter, dessen Vollmacht nichts zur Zahlung der Jahresgebühren enthält und der keine Geldmittel für diesen Zweck erhalten hat, kann nicht erwartet werden, dass er die Gebühren für den Anmelder aus der eigenen Tasche vorstreckt (J 16/93, J 19/04, J 1/07). Vielmehr hat er nur eine "sekundäre Verantwortung" (s. J 1/07), den Anmelder angemessen zu beraten, wenn dieser auf ihn zukommt oder wenn er selbst auf ein Problem aufmerksam wird, das sich auf die Position des Anmelders in Bezug auf die Patentanmeldung auswirken könnte. So besteht die Verantwortung des Vertreters vor allem darin, die wirkliche Absicht seines Mandanten bezüglich der Zahlung der Jahresgebühren herauszufinden (s. J 16/93). Der Umfang der Pflichten eines Vertreters, der lediglich eine solche "sekundäre Verantwortung" für die Unterrichtung und Beratung seines Mandanten über die Fälligkeit von Jahresgebühren hat, ist nicht mit den Pflichten vergleichbar, die er hätte, wenn er für die Zahlung verantwortlich wäre. Im vorliegenden Fall ist der Vertreter seiner Verantwortung durch seine wiederholten Schreiben an die zuständige Person im Unternehmen des Beschwerdeführers nachgekommen.
In J 19/04 entschied die Juristische Kammer, dass die Vorgehensweise des Vertreters danach zu beurteilen sei, inwiefern er alles Gebotene getan habe, um den wahren Willen seines Mandanten zu erforschen (s. auch J 1/07, T 1426/14). Dabei komme es nicht entscheidend auf die Zahl der versandten (unbeantworteten) Erinnerungen an, sondern darauf, wann diese Erinnerungen im Verhältnis zum Zeitpunkt des Fristablaufs versandt worden seien, wie die Erinnerungen formuliert worden seien und welches die Pflichten des Vertreters im Verhältnis zu seinem Mandanten waren.
In T 942/12 war einem zugelassenen Vertreter ausdrücklich mitgeteilt worden, er brauche die Zahlung der Jahresgebühren nicht zu überwachen. Die Kammer befand, dass in einem solchen Fall die Sorgfaltspflicht nicht verlangt, dass er die Zahlungen trotzdem überwacht. Vom Vertreter kann nicht erwartet werden, dass er die Zahlung von Jahresgebühren auf eigene Kosten überwacht.
In T 629/15 unterschied die Kammer den Sachverhalt insofern von demjenigen in T 942/12, als keine ausdrückliche Anweisung erteilt wurde, die Entrichtung der Gebühren nicht zu überwachen. Unter diesen Umständen entschied die Kammer, dass der europäische Vertreter für die Gewährleistung der Zahlung zuständig blieb, obwohl der amerikanische Anmelder sowohl einen amerikanischen Vertreter als auch einen Dienstleister für die Entrichtung der Jahresgebühren einsetzte.
In T 338/98 wurde der Beschwerdeführer zunächst vom zugelassenen Vertreter A vertreten. Dieser wurde vom Beschwerdeführer gebeten, alle Akten einem neuen Vertreter B zu übergeben. Dabei wurde eine europäische Patentanmeldung übersehen. Den Vertretern war zwar bewusst, dass die Jahresgebühr für diese Anmeldung fällig war, sie konnten sich jedoch nicht darüber einigen, wer von ihnen für die Entrichtung der Jahresgebühr für diese Anmeldung zuständig sei, sodass die Gebühr nicht gezahlt wurde und die Anmeldung damit als zurückgenommen galt. Die Kammer hielt es unter diesen Umständen für wenig sinnvoll, die jeweiligen Zuständigkeiten der beiden Vertreter im Zeitraum der Übergabe des Patentportfolios formell abzugrenzen, weil eine solche Übergabe naturgemäß eine enge Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten voraussetze und natürlich zu einer Überschneidung von Zuständigkeiten führe. Die Tatsache, dass in diesem Fall die Vertreter unfähig gewesen seien, sich über die Vorgehensweise zu einigen, und dass der Beschwerdeführer weder über die ausstehende Jahresgebühr noch über das Verschwinden der entsprechenden Akte unterrichtet worden sei, sei nicht gerade ein Zeichen dafür, dass zu diesem Zeitpunkt alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet worden sei.
In T 1426/14 war der Verteter von der Absicht des Anmelders unterrichtet worden, die Jahresgebühr zu zahlen, und konnte sicher sein, dass der Anmelder von der laufenden Frist wusste. Die Kammer befand, dass der Vertreter, nachdem der Anmelder Kenntnisnahme und Zahlungsabsicht klar zum Ausdruck gebracht hatte, seiner Pflicht nachgekommen und die Verantwortung auf den Anmelder übergegangen war.