5.12. Kriterien für die Berücksichtigung geänderter Ansprüche
Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern zur VOBK 2003 und VOBK 2007 kommt es für die Zulässigkeit von Änderungen unter anderem darauf an, ob geänderte Ansprüche gegenüber dem vorher beanspruchten Gegenstand konvergieren oder aber divergieren, also den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs eines Hauptantrags in eine Richtung bzw. in Richtung eines Erfindungsgedankens zunehmend einschränkend weiterentwickeln oder etwa durch Aufnahme jeweils verschiedener Merkmale unterschiedliche Weiterentwicklungen verfolgen (T 240/04, T 1474/06, T 1685/07, T 980/08, T 1589/08, T 1690/08, T 1969/08, T 162/09, T 2513/11, T 310/17). Die Frage, ob die Ansprüche in den Hilfsanträgen konvergieren, ist in dem Sinne zu verstehen, dass der Gegenstand der nachgeordneten Anträge näher definiert wird, und zwar mit der Absicht, Einwände in Bezug auf die vorangehenden Anträge auszuräumen (T 1134/11).
In T 565/07 stellte die Kammer fest: Wenn es auch einem Patentinhaber im Rahmen der R. 80 EPÜ grundsätzlich gestattet sein muss, den Gegenstand des Patents durch Aufnahme der Merkmale eines abhängigen Anspruchs einzuschränken, um Einwänden gegen die Patentfähigkeit des erteilten unabhängigen Anspruchs zu begegnen, so würde die mehrfache Anwendung dieses Rechts in unterschiedlicher Richtung beispielsweise in Form von parallelen oder nacheinander eingereichten Anträgen im Ergebnis dazu führen, dass der Patentinhaber der Kammer die Entscheidung überlässt, in welcher der verschiedenen Versionen das Patent aufrechterhalten werden soll. Dieses Ergebnis sei nicht mit der Vorschrift des Art. 113 (2) EPÜ zu vereinbaren (s. dazu T 382/96, T 446/00, T 1685/07).
In T 1685/07 stellte die Kammer fest, dass es für die Zulassung erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens eingeführter neuer Anträge (hier: erst nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung) von besonderer Bedeutung ist, ob der Anmelder bzw. Patentinhaber mit seinen verschiedenen Anträgen eine konsistente Verteidigungslinie verfolgt und nicht, zumal zum Ende des Beschwerdeverfahrens hin, durch einen "Schirm" divergierender Anspruchsfassungen sowohl für die andere Partei als auch für die Beschwerdekammer eine unübersichtliche und unzumutbare Verfahrenssituation schafft, in der es ihnen obliegt, aus einer Vielzahl von inkongruenten Anspruchsfassungen diejenige zu wählen, die letztendlich Bestand haben könnte.
In T 649/14 erklärte die Kammer, dass die Konvergenz von Anträgen nicht vom Tag ihrer Einreichung abhängt, sondern im jeweils aktuellen Verfahrensstadium gegeben sein sollte.
In T 100/13 stellte die Kammer zur Zulassung von erst nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträgen Folgendes fest: Reicht ein Patentinhaber erst sehr spät im Verfahren divergierende Hilfsanträge ein ohne jedwede Begründung zur Gewährbarkeit dieser Anträge gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik, so ist weder der Kammer noch der anderen Partei in diesem Verfahrensstadium zuzumuten, erstmals in der mündlichen Verhandlung eine Diskussion zur Patentfähigkeit dieser auf verschiedene Aspekte gerichteten Anträge zu führen.
In T 1750/08 ließ die Kammer den Hilfsantrag zu, weil die Änderung als weitere Einschränkung eines Merkmals anzusehen war, das der Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, zugrunde lag und das bereits im Rahmen der Diskussionen im Beschwerdeverfahren eine zentrale Rolle gespielt hatte (konvergierender Antrag).
In T 1903/13 hielt die Kammer im Orientierungssatz fest, dass es im Ermessen der Kammer liegt, Hilfsanträge nicht zuzulassen, deren Gegenstand vom Gegenstand höherrangiger Anträge abweicht, einschließlich solcher, die im Wesentlichen im erstinstanzlichen Verfahren eingereicht, mit der Erwiderung des Beschwerdegegners erneut eingereicht, aber von der erstinstanzlichen Abteilung nicht geprüft wurden.
In T 1280/14 beschränkte der Beschwerdegegner (Patentinhaber) erst in der mündlichen Verhandlung eine Vielzahl von divergierenden Verteidigungslinien, die von einer Hauptverteidigungslinie abwichen und bereits in der vorläufigen Stellungnahme der Kammer gerügt worden waren, auf zwei der divergierenden Verteidigungslinien. Nach Ansicht der Kammer hätte der Beschwerdegegner die Änderung seiner Anträge rechtzeitig, das heißt spätestens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung, bekannt geben müssen. Die Kammer kam zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdegegner die gebotene Verfahrensökonomie nicht beachtet hatte. Beide Hilfsanträge wurden nicht zum Verfahren zugelassen.
- T 1842/18
Catchword: Entscheidungsgründe 4
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- Zusammenfassungen der Entscheidungen in der Verfahrensprache