2. Prioritätsbegründende Anmeldung
In T 998/99 (ABl. 2005, 229) kam die Kammer zu dem Schluss, dass Art. 87 (1) EPÜ 1973 nicht die Möglichkeit vorsehe, für denselben Gegenstand und somit dieselbe Erfindung innerhalb der Prioritätsfrist mehrere Anmeldungen im selben Land auf der Grundlage desselben Prioritätsdokuments einzureichen. In späteren Entscheidungen wurde dieser restriktive Ansatz aber verworfen.
So stellte die Kammer in T 15/01 (ABl. 2006, 153) in Bezug auf die Erschöpfung des Prioritätsrechts fest, dass der Wortlaut von Art. 87 (1) EPÜ 1973 verschiedene Interpretationen zulasse. Da das EPÜ ein Sonderabkommen im Sinne von Art. 19 PVÜ darstelle, solle die darin enthaltene Vorschrift den in dieser Übereinkunft festgelegten Prioritätsgrundsätzen nicht entgegenstehen. Die aktuelle Fassung der Pariser Verbandsübereinkunft sehe insbesondere ausdrücklich die Möglichkeit vor, Mehrfach- und Teilprioritäten in Anspruch zu nehmen, und garantiere das Recht, Anmeldungen zu teilen, wobei auch für die Teilanmeldung das Prioritätsrecht der ursprünglichen Anmeldung erhalten bleibe (diese Grundsätze werden auch in Art. 76 (1) Satz 2 EPÜ 1973 und Art. 88 (2) und (3) EPÜ 1973 anerkannt). Die Kammer gelangte zu der Auffassung, dass die Prioritätsvorschriften der Pariser Verbandsübereinkunft auf eine Art und Weise auszulegen seien, die gewährleiste, dass der generelle Zweck, nämlich dem Anmelder die Erlangung internationalen Schutzes für seine Erfindung zu erleichtern, so weit wie möglich erfüllt werde. Die Kammer untersuchte auch die Umstände, unter denen sich die Frage der Erschöpfung stellen könnte, (nämlich Teilung des Gegenstands der prioritätsbegründenden Anmeldung, um einen Einwand wegen mangelnder Einheitlichkeit zu vermeiden, Einreichung einer mit einem Mangel behafteten Nachanmeldung und Beseitigung des Mangels durch eine zweite Nachanmeldung, Kombination des ursprünglich offenbarten Gegenstands mit weiteren Verbesserungen und zusätzlichen Ausführungsformen, die während der Prioritätsfrist entwickelt wurden) und analysierte im Anschluss die jeweiligen Interessen. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass ein und dasselbe Prioritätsrecht in mehr als einer europäischen Patentanmeldung wirksam beansprucht werden könne; eine Erschöpfung von Prioritätsrechten gebe es nicht. Auch in T 5/05 bestätigte die Kammer, dass weder dem EPÜ noch dem PVÜ zu entnehmen sei, dass es sich beim Prioritätsrecht um eine Ausnahmeregelung handle, die eng auszulegen sei und damit nur eine einmalige Ausübung des Prioritätsrechts für einen Vertragsstaat zulasse. Diese Entscheidungen wurden in T 1562/06 bestätigt.