6.3. Auswahl aus Parameterbereichen
In T 245/91 behauptete der Patentinhaber, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei die bewusste Auswahl eines kleinen Bereichs aus der sehr breiten Offenbarung besagter Entgegenhaltung. Die Kammer stellte fest, dass sich die meisten Bereiche in Anspruch 1 des Streitpatents dadurch erzielen ließen, dass man die in der erwähnten Entgegenhaltung offenbarten Bereiche um ca. 25 bis 80 % verkleinert und sie auf ihren zentralen Abschnitt beschränkt; in einer solchen Situation, in der mehrere Parameterbereiche zu berücksichtigen seien, müsse ein sorgfältiger Vergleich angestellt werden, um zu beurteilen, ob der Gegenstand der beanspruchten Erfindung dem Fachmann zugänglich war. Die Frage des Naheliegens sei dabei streng zu meiden. Die Kammer verwies auf die Entscheidung T 666/89 (ABl. 1993, 495) und betonte, dass nach dem Übereinkommen über die Neuheit unter Berücksichtigung des gesamten Informationsgehalts einer Entgegenhaltung entschieden werden müsse. Die Kammer war der Ansicht, dass der Fachmann die Kombination der relevanten Merkmale nicht ernsthaft in Betracht gezogen hätte und dass sie ihm nicht zugänglich war, da die Merkmale nicht deutlich aus der Entgegenhaltung hervorgingen und sich daher für eine eindeutige, implizite Offenbarung nicht anboten. Des Weiteren war die Zahl der Parameter zu betrachten, mit denen der beanspruchte Gegenstand definiert wurde, da jedes der Ethylenpolymere durch mehrere Parameter gekennzeichnet war. Die Kammer vertrat die Auffassung, selbst wenn die meisten dieser Parameterbereiche einem mehr oder weniger zentralen Abschnitt des Bereichs entsprächen, der den entsprechenden Parameter des Stoffs nach der Entgegenhaltung begrenze, sei der Umfang der beanspruchten Mischungen aufgrund der Zahl der beteiligten Parameter – nämlich mehr als 10 – in Wirklichkeit angesichts der Breite der Definition des bekannten Stoffs recht eng. Auch aus diesem Grund wurde das Argument einer impliziten Beschreibung dieser engen Auswahl in der Entgegenhaltung nicht akzeptiert (s. auch T 440/04, T 1196/05).
In T 653/93 behauptete der Beschwerdeführer, das Verfahren gemäß Anspruch 1 sei neu, da es sich auf eine Kombination von drei Verfahrensmerkmalen mit ausgewählten Bereichen und Produktmerkmalen mit bestimmten Begrenzungen beziehe und diese Kombination im angezogenen bekannten Dokument nicht offenbart sei. Die Beschwerdekammer hob hervor, dass bei solchen Sachverhalten die Frage der Neuheit nicht durch eine gesonderte Betrachtung der einzelnen Parameterbereiche beantwortet werden könne. Nach Auffassung der Kammer wäre diese Vorgehensweise künstlich und ungerechtfertigt, da nicht die spezifizierten Bereiche der drei entsprechenden Parameter oder ihre Agglomeration Gegenstand des Anspruchs 1 seien, sondern die Gruppe der durch die Kombination dieser drei Bereiche definierten Verfahren, die im Vergleich zu der in der Entgegenhaltung offenbarten ziemlich klein sei. Demzufolge sei die hier beanspruchte Gruppe von Verfahren, die durch die Kombination von drei spezifischen Verfahrensparametern gekennzeichnet seien, nicht ausdrücklich im bekannten Dokument offenbart worden und könne somit als Ergebnis einer "mehrfachen (hier dreifachen) Auswahl" bezeichnet werden. Die Neuheit der technischen Lehre des Anspruchs 1 sei durch Versuchsdaten belegt worden, die zeigten, dass man die mit den beanspruchten Verfahren hergestellten Produkte nicht mit den Verfahren hätte gewinnen können, die den beanspruchten zwar nahe kämen, aber dennoch außerhalb ihres Bereichs lägen. Demzufolge werde der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht als im entsprechenden Dokument des Stands der Technik offenbart angesehen (s. auch T 1095/18).
In T 65/96 war ein gummiverstärktes Copolymer, das eine Kombination der Merkmale aufwies, die die Lösung der technischen Aufgabe des angefochtenen Patents bildeten, in der Vorveröffentlichung D2 nicht genannt. Die Kammer verwarf das Argument des Beschwerdeführers (Einsprechenden), alle relevanten Parameter seien "innerhalb weniger Zeilen" aufgeführt, als irrelevant, weil die Position einer Offenbarung innerhalb eines Dokuments alleine nicht ausreiche, um den wirklichen Textzusammenhang der Parameter aufzuzeigen oder gar nachzuweisen, dass sie in Verbindung miteinander offenbart seien, wie dies die Lösung der technischen Aufgabe erfordere. In jedem Falle werde einer der Parameter in einem ganz anderen Teil der Offenbarung genannt. Außerdem zeige sich bei näherer Betrachtung von D2, dass die Parameter "Gummianteil" und "Teilchengröße des Gummi" nur als unabhängige Bereiche ohne jeden Hinweis darauf offenbart worden seien, inwieweit – und ob überhaupt – sie in Abhängigkeit voneinander variieren könnten. Auch wenn der Beschwerdegegner in der mündlichen Verhandlung einräumte, dass sich die in D2 offenbarten Bereiche teilweise mit den in der Lösung der technischen Aufgabe festgelegten Bereichen überschnitten, sei für diese Lösung doch erforderlich, dass gleichzeitig drei der Parameter bestimmte Werte erreichten. Die Kammer gelangte zu dem Schluss, dass die beanspruchte Lösung nicht willkürlich sei, weil sie im Vergleich mit den aus D2 bekannten Erzeugnissen eine bestimmte technische Aufgabe erfülle. In dem Maße, in dem sich die beanspruchte Lösung überhaupt mit der allgemeinen Offenbarung von D2 überschneide, stelle sie eine enge Auswahl daraus dar und erfülle alle Erfordernisse einer echten Auswahlerfindung (s. T 198/84, ABl. 1985, 209).
In T 1834/13 behauptete der Beschwerdeführer, dass D7 für den Anspruch 1 neuheitsschädlich sei, weil darin alle Merkmale des Anspruchs 1 beschrieben seien und somit ein Ausführungsbeispiel zwar nicht ausdrücklich offenbart, aber doch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei (implizite Offenbarung). Die Kammer bejahte, dass es einen Bereich der Überlappung gab; jedoch waren in D7 die Bänder gemäß Anspruch 1 als Konzept enthalten, aber nicht direkt und unmissverständlich beschrieben. Der Gegenstand des Anspruchs 1 war eine bestimmte Kombination, die aus einer Mehrfachauswahl aus den in D7 vorgeschlagenen Alternativen hervorging, aber für die es in D7 keinen Anreiz gab. Die Entscheidungen T 198/84 und T 65/96 waren hier nicht anzuwenden, weil sie keine Mehrfachauswahl betreffen.