3. Klarheit der Ansprüche
Unbestimmte Merkmale werden unter folgenden Voraussetzungen zugelassen:
a) Es soll verhindert werden, dass der Umfang des Anspruchs unnötig eingeschränkt wird, und der Fachmann muss in der Lage sein, das Ergebnis durch einfaches Herumexperimentieren nachzuprüfen (T 88/87).
b) Die Bedeutung des Merkmals muss aus dem Anspruch selbst verständlich sein.
So war der Anspruch in T 487/89 dadurch gekennzeichnet, dass sowohl die Zähigkeit als auch die Festigkeit mit einer Untergrenze, aber ohne jegliche Obergrenze angegeben waren. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass solche "in einer Richtung offenen" Parameter stets zu beanstanden sind, wenn sie sich auf ein reines Wunschmerkmal beziehen. Die Kammer entschied, dass, ob das Fehlen einer Ober- oder Untergrenze in einem Anspruch im Einzelfall akzeptiert werden könne, hänge von allen sonstigen Begleitumständen ab. Wenn der Anspruch wie im vorliegenden Fall darauf ausgerichtet sei, Werte abzudecken, die unter Berücksichtigung seiner sonstigen Parameter so weit wie irgend möglich über einer angegebenen Untergrenze liegen sollten, dann seien solche in einer Richtung offenen Parameter in der Regel nicht zu beanstanden. Diese Entscheidung wurde durch T 129/88 (ABl. 1993, 598), T 87/84, T 92/84, T 136/84, T 297/90 und T 1018/05 bestätigt; in den letzten beiden Entscheidungen allerdings unter dem Aspekt der ausreichenden Offenbarung (s. auch T 989/95; zustimmend aber ohne Anwendung der einschlägigen Entscheidung T 487/89). In T 586/97 hingegen wurde die Tatsache, dass ein unabhängiger Anspruch keine Obergrenze für die Menge eines schädlichen, aber notwendigen Bestandteils der beanspruchten chemischen Zusammensetzung angab, als nicht mit dem in der Beschreibung genannten Zweck der Erfindung vereinbar angesehen, nämlich, den Anteil des unerwünschten Inhaltsstoffes in der beanspruchten Zusammensetzung zu reduzieren. Das Erfordernis des Art. 84, Satz 2 EPÜ 1973 sei somit nicht erfüllt.
In T 227/91 (ABl. 1994, 491) war in den Ansprüchen die Dicke einer Beschichtung durch eine Formel mit zwei Parametern a und t definiert. Der Parameter a stand für die Wärmeleitzahl der Beschichtung und war damit ein Merkmal der Vorrichtung selbst. Der Parameter t entsprach der effektiven Impulsdauer des Lasers und hing mit dessen Betriebsbedingungen, nicht jedoch mit der Bauart des Lasers oder der Vorrichtung zusammen. Die in den Ansprüchen definierte Beschichtungsdicke war also trotz allem an die Betriebsweise des Lasers, d. h. an einen vom Menschen bestimmten Faktor, gekoppelt, der für die Vorrichtung als solche ohne Belang war. Daher befand die Kammer den Schutzbereich des Anspruchsgegenstands für mehrdeutig und unklar.
In T 455/92 lautete der unabhängige Anspruch 2 wie folgt: "Bedeckung [...] für ein Presserzeugnis [...], gekennzeichnet durch a) eine Länge, die wenigstens dem Umfang der Mantelfläche des zu bedeckenden Presserzeugnisses entspricht, b) eine Gesamtbreite, die ausreicht, die Mantelfläche sowie beide Stirnflächen des Presserzeugnisses zu bedecken, und c) eine Faltung derart, dass "[...] die Breite [...] der Breite der Mantelfläche des Presserzeugnisses entspricht [...]". Die Kammer sah keinen Verstoß gegen Art. 84 EPÜ 1973, da im vorliegenden Fall auf einen bekannten Gegenstand Bezug genommen worden sei und somit der Größenbereich insoweit abgrenzbar sei, dass er Verpackungsmaterial für andere Gegenstände ausschließe. Darüber hinaus sei es eine Selbstverständlichkeit für einen Fachmann auf diesem Gebiet, dass die Größe des Verpackungsmaterials (die Bedeckung) von dem zu verpackenden Gegenstand abhängig sei. In T 1020/13 wurde die Definition eines beanspruchten Gegenstands durch einen zweiten, nicht zum Anspruch gehörenden Gegenstand hingegen als Verstoß gegen Art. 84 EPÜ angesehen.
In T 860/93 (ABl. 1995, 47) äußerte sich die Kammer folgendermaßen: Wird eine Eigenschaft in einem Anspruch als innerhalb eines bestimmten Zahlenbereichs liegend angegeben, so muss das Verfahren zur Bestimmung dieser Eigenschaft entweder allgemeines Fachwissen sein, sodass keine ausdrückliche Beschreibung erforderlich ist, oder es muss ein Verfahren zur Bestimmung dieser Eigenschaft angegeben werden (im Anschluss an T 124/85). Ist in einem Anspruch dagegen eine relative Eigenschaft angegeben – im vorliegenden Fall die Wasserlöslichkeit der Erzeugnisse – so kann die Angabe eines Verfahrens zu deren Bestimmung in der Regel entfallen (zum Begriff "löslich" s. auch T 785/92, T 939/98, T 125/15). In T 860/95 ("über einen langen Zeitraum"), T 649/97 ("transparent"), T 1041/98 ("dünne Platte"), T 193/01 ("dünner Film"), T 545/01 ("flach"), T 378/02 ("glatt"), T 2367/16 ("über Nacht") und T 2402/17 (Relation zwischen Begriffen "höhere" und "geringere Schwingungsanfälligkeit" und "kleinere Werte") bestätigten die Kammern, dass die Verwendung eines relativen Begriffs in einem Anspruch zugelassen werden kann, wenn sich dem Fachmann die Bedeutung dieses Begriffs in einem bestimmten Kontext erschließt. Verneint wurde die Deutlichkeit der betreffenden relativen Begriffe hingegen in T 728/98 ("im Wesentlichen rein"), T 174/02 ("kurz") und T 1640/11 ("Wert"), T 842/14 ("akkurat"), T 1963/17 ("im Wesentlichen simultan") und T 362/17 ("kurze [Geschichte des gesprochenen Worts]").
In der T 1888/12 zugrunde liegenden Anmeldung wurde in Anspruch 1 auf ISO-Normen unbestimmten Datums Bezug genommen. Die Kammer führte aus, dass solche Normen erfahrungsgemäß im Laufe der Zeit revidiert werden, wobei substantielle Änderungen nicht auszuschließen sind (s. T 783/05). Das Argument der Beschwerdeführerin, dass auf den Prioritätszeitpunkt der Anmeldung abzustellen sei, überzeugte die Kammer nicht, da die Beschreibung keinen derartigen Hinweis enthielt. Die Kammer sah die technischen Merkmale durch den allgemeinen Bezug auf die ISO-Normen als nicht ausreichend klar definiert an. In T 2187/09 entschied die Kammer jedoch, dass die im Anspruch genannte UNISIG-Norm nur den Rahmen für die Erfindung definierte. Aus der Sicht der Kammer waren die Details dieser Norm nicht erforderlich, um den Schutzumfang der Erfindung zu bestimmen und dem Fachmann die Erkenntnis zu ermöglichen, ob er innerhalb oder außerhalb des Schutzbereichs der Ansprüche arbeitet.
Nach T 3003/18 hängt die Klarheit eines Anspruchs, in dem eine Norm oder ein Standard angegeben wird, von der Sachlage und insbesondere vom beanspruchten Gegenstand ab. Der in Anspruch 1 genannte MTRJ-Stecker bezeichne eine bekannte standardisierte Steckerfamilie, die einerseits spezifische Merkmale aufweise, die innerhalb der Steckerfamilie variieren und sich mit der Zeit gemäß den verschiedenen spezifischen Versionen der betreffenden Standards oder Normen ändern könnten, und die andererseits eine Reihe gemeinsamer Merkmale aufweise, die einen vorgegebenen Grad an Kompatibilität und Austauschbarkeit zwischen den verschiedenen Steckern derselben Familie sicherstellten. Diese Stecker würden in Lehrbüchern, Nachschlagewerken und Ähnlichem ohne Verweis auf eine bestimmte Version der betreffenden Standards oder Normen generell als "MTRJ-Stecker" bezeichnet. Im vorliegenden Fall seien die im technischen Kontext des Anspruchs 1 relevanten Merkmale des MTRJ-Steckers die gemeinsamen Merkmale, und aus diesem Grund würde der Fachmann verstehen, was im beanspruchten Kontext damit gemeint sei, dass der optische Stecker ein MTRJ-Stecker sei.