6. Rechtliches Gehör im Einspruchsverfahren
Bescheide, die vom Formalsachbearbeiter unterzeichnet sind und in denen der Beschwerdeführer aufgefordert wird, von den Argumenten des Einsprechenden "Kenntnis zu nehmen", stellen keine Mitteilungen der Einspruchsabteilung im Sinne von Art. 101 (1) EPÜ (Art. 101 (2) EPÜ 1973) dar, für die eine Erwiderungsfrist gesetzt werden muss. Es liegt im Ermessen des Empfängers eines solchen Bescheids, auf ihn zu erwidern, falls er dies für erforderlich hält. Will er auf ihn erwidern, kann dies aber aus bestimmten Gründen innerhalb einer angemessenen Frist nicht tun, so muss er die Einspruchsabteilung von seinen Schwierigkeiten unterrichten (vgl. T 582/95).
Mit der Frage einer angemessenen Fristsetzung, die dem Empfänger einer EPA-Mitteilung ausreichend Gelegenheit zur Erwiderung bietet, hat sich eine Reihe von Entscheidungen der Beschwerdekammern befasst:
In T 275/89 (ABl. 1992, 126) stellte die Kammer fest, dass die Einspruchsabteilung etwas mehr als einen Monat gewartet hatte, bevor sie ihre Entscheidung traf. Bei einem ohne Fristsetzung lediglich zur Kenntnisnahme zugestellten Schreiben sei eine einmonatige Frist (die vorliegend überschritten wurde) in der Regel noch ausreichend, auch in dieser Hinsicht den Erfordernissen des Art. 113 EPÜ (unverändert) zu entsprechen. Darüber hinaus waren die Dokumente, auf die sich die nun angefochtene Entscheidung stützte, sowie ihre sachliche und rechtliche Würdigung bereits im Einspruchsschriftsatz enthalten.
In T 263/93 stellte die Kammer Folgendes fest: gemäß dem in Art. 113 (1) EPÜ verankerten Gebot des rechtlichen Gehörs muss einem Beteiligten genügend Zeit für die Einreichung einer angemessenen Stellungnahme gelassen werden, falls ihm das EPA Einwendungen eines anderen Beteiligten übermittelt, ohne ihm ausdrücklich eine bestimmte Frist für seine Antwort zu setzen. Welche Frist zur Erwiderung ausreicht, ist eine Tatsachenfrage, die fallbezogen beantwortet werden muss. Die Kammer stellte ferner fest, dass eine vom EPA gesetzte Frist in der Regel zwei Monate nicht unterschreiten darf (R. 132 EPÜ, R. 84 EPÜ 1973). Im Kontext der Sache T 263/93, wo schwierige technische Fragen zu prüfen waren, kam die Kammer zu dem Schluss, dass die Einspruchsabteilung, um das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren zu wahren, mindestens zwei Monate hätte warten müssen, bevor sie eine Entscheidung auf der Grundlage der in der Erwiderung erstmals erhobenen Einwände trifft. Dies wurde in T 1152/14 bestätigt.
Die zwischen dem Zustellungsdatum der Erwiderung des Patentinhabers zum Einspruchsschriftsatz des Einsprechenden und dem Entscheidungszeitpunkt liegende Zeitspanne von mehr als einem Monat war nach Ansicht der Kammer in T 494/95 noch ausreichend dafür, dem Beschwerdeführer (Einsprechenden) entweder eine realistische Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben oder ihm die Möglichkeit zu geben, zumindest die Absicht einer Stellungnahme anzukündigen oder eine mündliche Verhandlung zu beantragen. Die Kammer stellte fest, dass sich sowohl aus R. 57 (3) EPÜ 1973 (R. 79 (3) EPÜ) als auch aus der Information "Einspruchsverfahren im EPA" (vgl. ABl. 1989, 417) sowie aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt, dass im Falle, dass keine mündliche Verhandlung stattfindet und die Entscheidung nur auf Gründe gestützt wird, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, bereits nach Ablauf der Frist für die Stellungnahme durch den Patentinhaber eine Entscheidung getroffen werden kann.
In T 914/98 stellte die Kammer fest, dass der Zeitraum von siebzehn Tagen, der zwischen dem Eingang der Erwiderung der Beschwerdegegner bei den Beschwerdeführern und der Abgabe der Entscheidung an die interne Poststelle des EPA verging, eindeutig zu kurz sei, als dass die Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit zu einer Stellungnahme gehabt hätten. Die Beschwerdeführer hätten angesichts der Rechtsprechung nicht damit rechnen können, dass eine Entscheidung so rasch ergeht.
In T 2243/18 hielt die Kammer allerdings fest, dass die Einspruchsabteilung nach dem EPÜ nicht verpflichtet ist, nach Eingang der Einspruchsschrift und der Erwiderung des Patentinhabers zu warten, ob weitere Ausführungen der Beteiligten eingehen. Die Beteiligten sollten im Gegenteil davon ausgehen, dass die Einspruchsabteilung jederzeit nach Erhalt der Erwiderung des Patentinhabers die nächste Verfahrenshandlung (meist die Ladung zur mündlichen Verhandlung) vorbereitet (siehe Mitteilung des EPA über das Einspruchsverfahren ab 1. Juli 2016, ABl. 2016, A42, Nr. 3).