4.4.5 Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 – neue Anträge
In T 1187/15 reichte der Beschwerdeführer (Anmelder) während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer den Hilfsantrag XI ein, und zwar in Reaktion auf die Schlussfolgerung, zu der die Kammer in der mündlichen Verhandlung gelangt war, dass Anspruch 1 der in der Akte befindlichen Anträge nicht den Erfordernissen des Art. 123 (2) EPÜ entsprach. Bei der Ausübung ihres Ermessens nach Art. 13 (1) VOBK 2020 berücksichtigte die Kammer unter anderem, ob der Beteiligte aufgezeigt hatte, dass die Änderungen prima facie die von der Kammer aufgeworfenen Fragen ausräumen und keinen Anlass zu neuen Einwänden geben. Die Kammer merkte an, dass dieser Punkt auch ein Schlüsselkriterium war, das in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern über die Ausübung des Ermessens einer Kammer nach Art. 13 (1) VOBK 2007 entwickelt worden war (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Aufl. 2019, V.A.4.4.2). Art. 13 VOBK 2007 war auch auf den vorliegenden Fall anwendbar (Art. 25 (3) VOBK 2020). Die Kammer stellte fest, dass der Hilfsantrag XI prima facie die Einwände nach Art. 123 (2) EPÜ nicht ausräumte, da das Weglassen bestimmter Merkmale eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung darstellte. In Anbetracht dessen und der Tatsache, dass der Beschwerdeführer Gelegenheit gehabt hatte, auf die von der Kammer von Amts wegen aufgeworfenen Fragen zu reagieren, übte die Kammer ihr Ermessen aus, den Hilfsantrag XI nicht zum Verfahren zuzulassen. Darüber hinaus wies die Kammer den Antrag des Beschwerdeführers auf eine weitere Unterbrechung zur Vorbereitung eines weiteren Antrags zurück, der den Hilfsantrag XI ersetzen würde. Es sei mit dem Grundsatz der Verfahrensökonomie nicht vereinbar, die mündliche Verhandlung so durchzuführen, dass dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben werde, wiederholt neue Anträge zu stellen, bis eine für die Kammer annehmbare Fassung der Ansprüche gefunden werde.
In T 1338/16 (bei dem, gemäß Art. 25 (3) VOBK 2020, Art. 13 (2) VOBK 2020 für das in Erwiderung auf die Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2007 eingereichte Vorbringen noch nicht anzuwenden war) kam die Kammer angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers zu dem Schluss, dass die Änderungen im Hauptantrag und in den Hilfsanträgen 1 bis 3 vorrangig darauf gerichtet waren, die Einwände im Hinblick auf die Erweiterung des Gegenstands, Klarheit und Stützung auszuräumen, jedoch prima facie die Einwände der Kammer gegen die Patentierbarkeit nach Art. 54 und 56 EPÜ nicht ausräumten. Deshalb machte die Kammer von ihrem Ermessen nach Art. 13 (1) VOBK 2020 Gebrauch, diese Anträge im Verfahren nicht zuzulassen.
Auch in T 700/15 kam die Kammer (bezüglich der Anträge 1', 1'0, 1'a, etc.) zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer (Patentinhaber) nicht im Sinne von Art. 13 (1) VOBK 2020 aufgezeigt hatte, dass die Änderung in den Hilfsanträgen prima facie von der Kammer aufgeworfene Fragen ausräumte. Weitere Entscheidungen zum Erfordernis der Angabe von Gründen, warum die erhobenen Einwände ausgeräumt werden, sind in Kapitel V.A.4.4.4 c) "Substantiierung der Änderung einer Patentanmeldung oder eines Patents" aufgeführt.