9.2. Der Aufgabe-Lösungs-Ansatz bei Mischerfindungen
In T 641/00 (ABl. 2003, 352) befasste sich die Kammer mit der Frage der Formulierung der technischen Aufgabe bei Mischerfindungen. Die zu lösende technische Aufgabe ist zwar nicht so zu formulieren, dass sie Lösungsansätze enthält oder die Lösung teilweise vorwegnimmt, doch scheidet ein Merkmal nur deshalb, weil es im Anspruch vorkommt, nicht automatisch für die Formulierung der Aufgabe aus. Insbesondere wenn der Anspruch auf eine Zielsetzung auf einem nichttechnischen Gebiet verweist, darf diese Zielsetzung bei der Formulierung der Aufgabe als Teil der Rahmenbedingungen für die zu lösende technische Aufgabe aufgegriffen werden, um zu vermeiden, dass ein nichttechnischer Beitrag in die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit einfließt. Die Kammer verwies auf ihre Entscheidung T 1053/98, wo sie es für notwendig erachtet hatte, die technische Aufgabe so zu formulieren, dass die erfinderische Tätigkeit nicht ausschließlich durch nichttechnische Merkmale hergeleitet werden kann. Eine solche Formulierung der Aufgabe kann auf die nichttechnischen Seiten der Erfindung verweisen in dem vorgegebenen Rahmen, in dem die technische Aufgabe gestellt wurde. Die Kammer erachtete es daher als zulässig, eine Zielsetzung auf einem nichttechnischen Gebiet bei der Formulierung der Aufgabe als Teil der Rahmenbedingungen für die zu lösende technische Aufgabe anzugeben, insbesondere als eine zwingend zu erfüllende Vorgabe (s. z. B. T 2063/09).
In T 154/04 (ABl. 2008, 46) stellte die Kammer folgendes fest: Für die Zwecke des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes, muss es sich bei der Aufgabe um eine technische Aufgabe handeln, die einem Fachmann des betreffenden technischen Gebiets am relevanten Prioritätstag zur Lösung angetragen werden könnte (so auch T 641/00). Die technische Aufgabe kann unter Verweis auf eine Zielsetzung auf einem nichttechnischen Gebiet formuliert werden, die folglich nicht Teil des technischen Beitrags ist, den die Erfindung zum Stand der Technik leistet. Dies kann insbesondere durch die Definition einer zu erfüllenden Bedingung erreicht werden (auch wenn sich die Zielsetzung erst a posteriori in Kenntnis der Erfindung erschließt). Es ist schwierig, die technische Aufgabe zu definieren, wenn die eigentliche neue und kreative Idee, die den Kern der beanspruchten Erfindung ausmacht, völlig außerhalb jedes technischen Gebiets liegt, wie dies bei computerimplementierten Erfindungen häufig der Fall ist. Falls es überhaupt möglich ist, die Aufgabe zu definieren, ohne auf den nichttechnischen Teil der Erfindung Bezug zu nehmen, ist das Ergebnis im Allgemeinen entweder eine unverständliche Rumpfdefinition oder eine gekünstelte Aussage, die den tatsächlichen zum Stand der Technik geleisteten technischen Beitrag nicht angemessen wiedergibt.
In T 1284/04 war die Kammer der Auffassung, dass beim COMVIK-Ansatz die zwingend zu erfüllenden nichttechnischen Vorgaben nicht dem Stand der Technik zugerechnet werden, sondern vielmehr der Konzeptions- oder Motivationsphase, die gewöhnlich jeder Erfindung vorausgeht, da sie zu einem technischen Problem hinführen können, ohne zu seiner Lösung beizutragen. Derartige Gesichtspunkte sind bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit niemals berücksichtigt worden, ganz gleich, ob sie aus dem Stand der Technik bekannt gewesen sind oder nicht (s. z. B. T 958/03 und T 506/06).
In T 144/11 berief sich die Kammer auf die Feststellungen in T 1463/11, die gezeigt haben, dass sich die Grauzone zwischen technischen und nichttechnischen Merkmalen auch dadurch auflösen lässt, dass sorgfältig analysiert wird, welche Teile eines beanspruchten Merkmals auf einer Geschäftsanforderung beruhen. Eine logische und in der Praxis vorkommende Folge dieses Ansatzes ist, dass eine Aufgabe des Typs "Geschäftsanforderung umsetzen" normalerweise nie zu einem gewährbaren Anspruch führt. Entweder ist die Umsetzung naheliegend oder ohne technische Wirkung oder aber die Umsetzung hat eine technische Wirkung, anhand deren sich die Aufgabe im Wesentlichen zu "die Wirkung der Umsetzung erreichen" umformulieren lässt. Das Problem des Implementierungstyps ist allerdings nur ein Ausgangspunkt, der zur Beurteilung der Implementierung möglicherweise verändert werden muss. Es ist hilfreich, wenn die technische Aufgabe nicht von Anfang an erkennbar ist. Die Geschäftsanforderungen auf diese Weise zu prüfen und genau zu ermitteln, was umgesetzt werden soll, gewährleistet, dass alle technischen Gegenstände, die sich aus der Idee der Erfindung und ihrer Umsetzung ergeben, bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden.
In T 232/14 folgte die Kammer T 144/11 und befand, dass die Verwendung von Bereichen von Einheitenkennungen zur Etikettierung einer Reihe von (aufeinanderfolgenden) Produkt-Einheitenkennungen so allgemein, wie sie hier beansprucht wurde, an der Trennlinie zwischen technischen und nichttechnischen Gegenständen eher dem geschäftlichen Bereich zuzuordnen war. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers stellte die Kammer fest, dass die Bereiche von Einheitenkennungen für den Geschäftsmann durchaus von Bedeutung waren. Sie entsprachen Chargen von Einheiten, die an einer Fertigungsanlage produziert werden. Auch wenn die "Bestimmung von Bereichen von Einheitenkennungen" eine technische Wirkung erziele, wie z. B. einen verringerten Bedarf an Datenspeicher und -bandbreite, sei es eine gestalterische Routineangelegenheit für den Fachmann, einen Softwareprogrammierer oder einen Datenbankexperten, ausgehend vom allgemeinen Fachwissen das erste und das letzte Element einer Liste von Gegenständen zu speichern an Stelle der gesamten Liste.
In T 2052/12 hatte die Erfindung Parkuhren zum Gegenstand, die Geldbeträge auf Chipkarten gutschreiben, aber auch eine Rückzahlungsgrenze auf der Chipkarte speichern, um Diebstahl vorzubeugen. Die Kammer stellte fest, das beanspruchte Verfahren umfasse von einem Datenträger ausgeführte technische Merkmale, insbesondere die Speicherung, Festlegung und Reduzierung der Rückzahlungsgrenze, die Überprüfung des Rückzahlungswerts und dessen Addition zum Speicherwert sowie die Überprüfung wichtiger Informationen zur Feststellung der Kreditierungsbefugnis der Kommunikationseinrichtung. Die Kammer befand, diese technischen Merkmale brächten technische Wirkungen mit sich, die über die bloße Umsetzung des beanspruchten Verfahrens hinausgingen, sodass die den nichttechnischen Merkmalen entsprechenden Ziele erreicht würden.
In der Sache T 581/14 war die Kammer der Auffassung, dass die Reduzierung der rechnerischen Komplexität ein technisches Ziel sein kann.
In T 2314/16 betraf die Erfindung die Verteilung von Boni an Teilnehmer eines angeschlossenen Marketingsystems, wobei ein Influencer (in Anspruch 1 "Nutzer" genannt) einen Bonus dafür erhielt, dass er ein Produkt oder eine Dienstleistung in einem Blog oder in den sozialen Medien bewarb. Den teilnehmenden Influencern wurde jeweils ein Abschnitt eines auf einer Website angezeigten Werbebanners zugewiesen. Die Besucher der Website konnten die Nutzerbereiche nicht sehen, sondern nur das Werbebanner. Wenn der Besucher auf das Banner klickte, erhielt der Nutzer, dessen Abschnitt angeklickt wurde, einen Bonus, der entsprechend der Größe der Bildabschnitte verteilt wurde. Die Teilbereiche wurden so zugewiesen, dass die Verteilungsquoten des Bonus dem Umfang des Werbebeitrags des einzelnen Nutzers entsprachen. Die Kammer erklärte, dass die Beschreibung der Geschäftsmethode mit der Ermittlung der Verteilungsquote für den Bonus endete. Die Merkmale der Aufteilung des Werbebereichs in Teilbereiche und der Zuweisung eines jeden Teilbereichs zu einem bestimmten Nutzer, sodass dieser einen Bonus erhielt, wenn sein Teilbereich angeklickt wurde, beruhten auf technischen Überlegungen des Webpage-Systems. Geschäftliche Überlegungen spielten dabei keine Rolle. Um zu dieser Idee zu gelangen, benötigte man ein Verständnis für den Aufbau einer Website und insbesondere für die Funktionsweise einer verweissensitiven Grafik. Dieses Merkmal konnte somit nicht Teil der nichttechnischen Anforderungen sein. Es war vielmehr Teil der Lösung, die auf Naheliegen zu prüfen war.
In T 550/14 lehnte es die Kammer in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung ab, Kriterien zu definieren, anhand deren die Prüfungsabteilung belegen solle, dass ein Merkmal nichttechnisch sei. Wie in T 2314/16 ausgeführt, habe die Rechtsprechung im Laufe der Jahre jedoch Leitlinien für die Beurteilung der Technizität entwickelt, so zuletzt den in T 1463/11 entwickelten Diskussionsrahmen als Hilfestellung bei der Entscheidung, ob grenzwertige Anspruchsmerkmale technisch oder nichttechnisch sind. Prüfungsabteilungen riet sie, möglichst nach einem Dokument als Ausgangspunkt zu suchen, das bereits einige der mutmaßlichen nichttechnischen Merkmale offenbart, und so eine Diskussion dieser Merkmale zu vermeiden (s. z. B. T 756/06 oder T 368/05).
- T 1049/19
Catchwords:
If the claimed non-technical features do not interact with claimed technical features such that they produce a further technical effect, for the assessment of inventive step one may - either include the corresponding aim to be achieved in a non-technical field in the formulation of the problem as part of the framework of the technical problem that is to be solved, - or else take the corresponding business scenario as the starting point for the problem and solution approach (see reasons 3.2.2).
- Jahresbericht: Rechtsprechung 2022
- Zusammenfassungen der Entscheidungen in der Verfahrensprache