1.2. Beschwerdekammern als rechtsprechende Organe
In G 1/86 befand die Große Beschwerdekammer Folgendes: "Aus den Bestimmungen des EPÜ, die die Unabhängigkeit der Mitglieder der Beschwerdekammern (Art. 23 EPÜ), deren Zuständigkeit und Arbeitsweise sowie die Art der von ihnen getroffenen Entscheidungen regeln, geht hervor, dass es sich bei den Kammern um Gerichte handelt, die dafür zu sorgen haben, dass das Recht bei der Anwendung des Europäischen Patentübereinkommens gewahrt bleibt. … Hinzu kommt, dass es gegen die Entscheidungen der Beschwerdekammern kein Rechtsmittel gibt. Letztinstanzliche Entscheidungen, die also ein Verfahren abschließen, bei dem es um die Überwachung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungshandlungen und um die Wahrung der Rechte des Einzelnen geht, können in den Vertragsstaaten der Europäischen Patentorganisation aber nur von Gerichten getroffen werden." Inzwischen ist bei der Revision des EPÜ im Jahr 2000 aber der Artikel 112a EPÜ eingeführt worden, der die Möglichkeit eröffnet, in Ausnahmefällen die Endentscheidungen der Beschwerdekammern zu überprüfen (s. Kapitel V.B.3.).
In T 1400/11 hielt die Kammer fest, dass das Beschwerdeverfahren gemäß den Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer G 7/91 und G 8/91 (ABl. 1993, 356, 346, Nr. 7 der Gründe, und 478), G 9/91 und G 10/91 (ABl. 1993, 408, 420, Nr. 18 der Gründe) und G 1/99 (ABl. 2001, 381, Nr. 6.6 der Gründe) als verwaltungsgerichtliches Verfahren anzusehen ist. S. auch Kapitel V.A.1. "Rechtlicher Charakter des Beschwerdeverfahrens". In G 2301/15 no link erklärte die Große Beschwerdekammer, dass die Funktion der Kammermitglieder als Richter allgemein anerkannt ist. In der Entscheidung G 2301/16, die denselben Fall betraf, erachtete die Große Beschwerdekammer das Schreiben des Amtspräsidenten vom 10. Juni 2016 als eine Verletzung des Art. 23 (3) EPÜ (richterliche Unabhängigkeit). Ihrer Meinung nach stand der vom Amtspräsidenten ausgeübte Druck im Widerspruch zu der im EPÜ garantierten richterlichen Unabhängigkeit der Großen Beschwerdekammer. Der Großen Beschwerdekammer wurde bei der Entscheidung über diesen Fall die richterliche Unabhängigkeit grundlegend verwehrt.