4.4.5 Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 – neue Anträge
In den folgenden Fällen fanden Art. 13 (1) VOBK 2020 und Art. 13 VOBK 2007 aufgrund der Übergangsbestimmungen anstelle von Art. 13 (2) VOBK 2020 Anwendung, obwohl die betreffenden Anträge in der letzten Phase des Beschwerdeverfahrens (d. h. nach der Ladung zur mündlichen Verhandung) eingereicht wurden.
In T 136/16 übte die Kammer unter Berücksichtigung der in Art. 13 (1) VOBK 2020 aufgeführten Kriterien ihr Ermessen dahin gehend aus, den nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 1 nicht zuzulassen. Zum einen führte die vorgenommene Änderung prima facie zu einem neuen Einwand nach Art. 84 EPÜ. Zum anderen hätte diese Änderung nach Auffassung der Kammer bereits in einem früheren Stadium des Beschwerdeverfahrens erfolgen können und müssen. Bereits die Einspruchsabteilung hatte in der angefochtenen Entscheidung auf die zentrale Bedeutung der Auslegung eines streitigen Begriffs im Anspruch hingewiesen. Während die Einspruchsabteilung diesen Begriff eingeschränkt im Sinne des Absatzes 7 der Beschreibung verstanden hatte, hatte der Beschwerdeführer (Einsprechende) in der Beschwerdebegründung dieser engen Auslegung anhand anderer Passagen der Beschreibung detailliert widersprochen. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) hätte also bereits mit seiner Erwiderung Anlass gehabt, die vorgenommene Änderung durchzuführen, die auf dem zuvor umfänglich diskutierten Sachverhalt beruhte. Auch das Argument, dass die Vielzahl der vorgetragenen Angriffe ohne eine vorläufige Beurteilung der Kammer der Formulierung sinnvoller Hilfsanträge entgegengestanden hätte, überzeugte die Kammer im Hinblick auf die zentrale Bedeutung der Auslegung des betreffenden Begriffs in nahezu allen vorgetragenen Einwänden nicht. Zudem sah die Kammer unter diesen Umständen die Vorlage von Hilfsanträgen mit dieser Änderung erst zu diesem Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren als der Verfahrensökonomie abträglich an.
In T 1004/18 hob die Kammer hervor, dass der Beschwerdegegner (Patentinhaber) bereits aufgrund der Beschwerdebegründung damit rechnen musste, dass die Kammer entweder der Linie der Einspruchsabteilung oder derjenigen des Beschwerdeführers folgen würde, und somit die Formulierung von Hilfsanträgen als Rückzugposition bereits mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung hätte einreichen müssen.
Ebenso befand die Kammer in T 700/15, dass eine Mitteilung der Kammer, in der nur die bereits von der Einspruchsabteilung in der angegriffenen Entscheidung und von der Einsprechenden vertretene Auslegung zusammengefasst und wiedergegeben wurden, nicht aber neue Aspekte oder Argumente angeführt oder ein neuer Einwand erhoben werden, nicht als Rechtfertigung für die Einreichung neuer Hilfsanträge dienen kann, die schon früher hätten eingereicht werden können (mit Verweis auf Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, V.A.4.7).
Ein weiterer Fall, bei dem ein Einwand seit der Einreichung der Beschwerdebegründung in der Akte war und neue Anträge in Reaktion auf eine Erklärung der Kammer, in der dieser Einwand bekräftigt wurde, nach Art. 13 (1) VOBK 2020 nicht zugelassen wurden, ist z. B. T 1170/16.