A. Patentfähige Erfindungen
Dieser Abschnitt wurde aktualisiert, um die Rechtsprechung und Gesetzänderungen bis 31. Dezember 2023 zu berücksichtigen. Die vorherige Version dieses Abschnitts finden Sie in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage (PDF). |
Der technische Charakter als gesetzliche Voraussetzung für eine Erfindung wurde auf der Konferenz der Vertragsstaaten zur Revision des EPÜ vom 20. bis zum 29. November 2000 ausdrücklich bekräftigt.
Im Rahmen der Revision des EPÜ wurde Art. 52 (1) EPÜ an Art. 27 (1) Satz 1 TRIPs angepasst, um den Begriff "Technik" in der grundlegenden Bestimmung des materiellen europäischen Patentrechts zu verankern, den Anwendungsbereich des EPÜ klar zu umreißen und augenfällig zum Ausdruck zu bringen, dass der Patentschutz grundsätzlich technischen Erfindungen aller Art offensteht. Die Neufassung von Art. 52 (1) EPÜ bringt klar zum Ausdruck, dass der Patentschutz Schöpfungen auf dem Gebiet der Technik vorbehalten ist (ABl. SA 4/2007, 56). Der revidierte Art. 52 EPÜ findet Anwendung auf europäische Patente und europäische Patentanmeldungen, die am 13. Dezember 2007 bereits erteilt bzw. anhängig waren sowie auf Anmeldungen, die ab diesem Tag eingereicht werden.
Es entspricht der europäischen Rechtstradition, dass der Patentschutz technischen Schöpfungen vorbehalten ist. In der Tat war immer unstreitig, dass Schöpfungen in den Bereichen der Technik nach dem EPÜ schutzfähig sind (s. z. B. T 22/85, ABl. 1990, 12; T 154/04, ABl. 2008, 46). Die Verwendung des Begriffs "Erfindung" in Art. 52 (1) EPÜ 1973 in Verbindung mit den sogenannten "Ausschlussbestimmungen" des Art. 52 (2) und (3) EPÜ 1973 ist von den Beschwerdekammern so ausgelegt worden, dass er ein Erfordernis des technischen Charakters oder etwas Technisches impliziert, das durch eine beanspruchte Erfindung zu erfüllen ist, damit diese patentfähig ist (T 931/95, T 1173/97 und T 935/97).
Eine Erfindung kann daher eine Erfindung im Sinne des Art. 52 (1) EPÜ sein, wenn durch sie z. B. eine technische Wirkung erzielt wird oder technische Überlegungen erforderlich sind, um sie auszuführen. In T 1173/97 (ABl. 1999, 609) und T 935/97 stellte die Kammer fest, dass bei der Anwendung des EPÜ der technische Charakter einer Erfindung durchweg als wesentliche Voraussetzung für ihre Patentierbarkeit anerkannt wird. In T 931/95 (ABl. 2001, 441) kam die Kammer zu dem Schluss, dass es ein implizites Erfordernis des EPÜ ist, dass eine Erfindung technischen Charakter aufweisen muss, um eine Erfindung im Sinne des Art. 52 (1) EPÜ 1973 zu sein (s. auch T 1543/06).
In T 154/04 (ABl. 2008, 46) fasste die Kammer die wichtigsten Grundsätze der einschlägigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern zusammen. Sie befand, dass eine implizite Bedingung für eine "Erfindung" im Sinne von Art. 52 (1) EPÜ 1973 ihr technischer Charakter ist (Erfordernis der "Technizität"). Art. 52 (2) EPÜ 1973 steht der Patentfähigkeit von Gegenständen oder Tätigkeiten mit technischem Charakter auch dann nicht entgegen, wenn sie sich auf in dieser Vorschrift angegebene Sachverhalte beziehen, da diese nur "als solche" ausgeschlossen sind (Art. 52 (3) EPÜ 1973).
Bei der Prüfung der Patentfähigkeit einer Erfindung in Bezug auf einen Anspruch sind die technischen Merkmale der Erfindung, d. h. die Merkmale, die zum technischen Charakter der Erfindung beitragen, durch Auslegung des Anspruchs zu bestimmen (s. auch T 931/95, ABl. 2001, 441, T 914/02 und T 1543/06). Die Kammer erklärte, Art. 52 (3) EPÜ 1973 sollte eindeutig gewährleisten, dass alles, was zuvor nach den herkömmlichen Patentierungskriterien eine patentfähige Erfindung gewesen war, auch nach dem EPÜ patentierbar bleiben sollte.
In T 619/02 (ABl. 2007, 63) stellte die Kammer fest, dass der technische Charakter einer Erfindung, wie seit Langem anerkannt (s. dazu die Entscheidungen T 22/85, ABl. 1990, 12, T 931/95, ABl. 2001, 441 und T 258/03, ABl. 2004, 575), eine grundlegende Voraussetzung ist, die in Art. 52 EPÜ 1973 verankert und in Art. 52 (1) EPÜ als ausdrückliches Erfordernis formuliert ist. Der technische Charakter ist also eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass eine Erfindung nach dem EPÜ patentfähig ist.
Außerdem stellte die Kammer fest, dass eine technische Erfindung im allgemeinen Wortsinn generell nützlich und praktisch ist, was aber nicht unbedingt umgekehrt gilt, d. h. nicht jede "praktische Technik" und nicht alle praktischen oder nützlichen Gegenstände oder Tätigkeiten sind zwangsläufig technisch im patentrechtlichen Sinne (T 388/04, ABl. 2007, 16). Es ist festzustellen, dass "nützlich" in einigen nationalen Patentrechtssystemen als Entsprechung zu dem in Art. 57 EPÜ 1973 enthaltenen Erfordernis der gewerblichen Anwendbarkeit verwendet wird (s. Anm. 5 zu Art. 27 (1) TRIPs); diese spezielle Bedeutung des Begriffs verleiht auch nicht unbedingt technischen Charakter. Demnach sind Überlegungen zum nützlichen oder praktischen Charakter kein Ersatz und kein äquivalentes Kriterium für das im EPÜ verankerte Erfordernis des technischen Charakters. Auch wenn die gewerbliche Anwendbarkeit und der technische Charakter einer Erfindung eng miteinander zusammenhängen (T 854/90), sind sie doch keine Synonyme, sondern zwei voneinander getrennte, nicht äquivalente Erfordernisse nach dem EPÜ 1973 (T 953/94).