BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Juristischen Berschwerdekammer
Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer vom 27. Oktober 1993 - J 41/92 - 3.1.1
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | R. Schulte |
Mitglieder: | B. Schachenmann |
| G. Davies |
Anmelder: Marron Blanco, Jose Maria
Stichwort: Wiedereinsetzung/MARRON BLANCO
Artikel: 122 (1), (2), (3) EPÜ
Schlagwort: "Wiedereinsetzung, Mängel im Antrag" - "Wegfall des Hindernisses" - "Grundsatz des Vertrauensschutzes" - "Verpflichtung zur Warnung des Anmelders vor einem drohenden Rechtsverlust" - "alle gebotene Sorgfalt, zugelassener Vertreter"
Leitsatz
Von einem zugelassenen Vertreter, der eine Ein-Mann-Kanzlei unterhält, kann in der Regel erwartet werden, daß er eingedenk des Erfordernisses in Artikel 122 EPÜ, wonach alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet werden muß, Vorkehrungen dafür trifft, daß im Falle seiner Verhinderung durch Krankheit die Wahrung von Fristen durch Einspringen anderer Personen sichergestellt wird (vgl. Nr. 4.4 der Entscheidungsgründe).
Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 89 500 037.0 wurde am 20. März 1989 eingereicht. Die Jahresgebühr für das dritte Jahr war am 2. April 1991 fällig; die sechsmonatige Nachfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ lief am 2. Oktober 1991 ab. Der Gebührenbetrag wurde jedoch erst am 8. Oktober 1991 auf ein Bankkonto des EPA eingezahlt. Die Formalprüfungsstelle des EPA teilte deshalb dem Anmelder am 6. November 1991 nach Regel 69 (1) EPÜ mit, daß die europäische Anmeldung gemäß Artikel 86 (3) EPÜ als zurückgenommen gelte.
II. Die zugelassene Vertreterin bestätigte mit Schreiben vom 2. Januar 1992 nicht nur den Empfang dieser Mitteilung, sondern auch, daß die Anmeldung "aufrechterhalten" werde. Sie gab an, daß sie durch eine schwere Erkrankung gezwungen gewesen sei, ihre berufliche Tätigkeit für mehr als drei Monate zu unterbrechen. Nach ihrer Genesung seien alle zur Aufrechterhaltung der Anmeldung erforderlichen Schritte unternommen worden. Die Vertreterin fragte beim EPA an, "ob eine Verzugs- oder Zusatzgebühr entrichtet werden sollte".
III. Die Formalprüfungsstelle teilte der Vertreterin mit Bescheid vom 10. Februar 1992 mit, daß ihr Schreiben vom 2. Januar 1992 als Antrag auf Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPÜ angesehen werden könne, bisher aber noch keine Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet worden sei. Sie bezweifele aber, daß bezüglich der Entrichtung der Jahresgebühr alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt aufgewendet worden sei.
IV. Am 31. März 1992 wurde die Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet. In ihrer Erwiderung vom 8. April 1992 erklärte die Vertreterin, daß die Jahresgebühr für das dritte Jahr deshalb erst so spät gezahlt worden sei, weil es ihr vor dem Fälligkeitstermin vom 2. April 1991 nicht möglich gewesen sei, sich mit dem Anmelder/Beschwerdeführer in Verbindung zu setzen, da sich dieser damals auf einer Auslandsreise befunden habe. Später, d. h. "von Ende Juni bis Anfang Oktober 1991", sei sie wegen Krankheit verhindert gewesen, ihren Beruf auszuüben und insbesondere die Zahlung der Jahresgebühr rechtzeitig zu veranlassen.
V. Die Formalprüfungsstelle wies mit Entscheidung vom 19. Juni 1992 den Wiedereinsetzungsantrag mit der Begründung zurück, daß die Wiedereinsetzungsgebühr nicht innerhalb von zwei Monaten nach dem Wegfall des Hindernisses entrichtet worden sei. Daher sei es "irrelevant", ob bezüglich der Entrichtung der Jahresgebühr alle gebotene Sorgfalt beachtet worden sei.
VI. Am 18. August 1992 wurde gegen die Entscheidung der Formalprüfungsstelle Beschwerde eingelegt. Es wurde beantragt, daß die Entscheidung "geändert" und der Beschwerdeführer wieder in seine Rechte eingesetzt werden sollte. Zur Stützung des Antrags wurde vorgebracht, daß durch die Mitteilung nach Regel 69 (1) EPÜ vom 6. November 1991 das Hindernis nicht beseitigt worden sei. Zwar sei damals einer der Gründe für die Fristversäumung (die Krankheit der Vertreterin) weggefallen, der zweite Grund aber (die häufige Abwesenheit des Anmelders) habe jedoch bis zum 28. März 1992 fortbestanden, als es der Vertreterin endlich gelungen sei, sich mit dem Beschwerdeführer in Verbindung zu setzen. Somit sei die Wiedereinsetzungsgebühr rechtzeitig entrichtet worden. Es wurden keine neuen Tatsachen oder Argumente vorgebracht, um glaubhaft zu machen, daß der Beschwerdeführer trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt die Frist für die Zahlung der Jahresgebühr nicht habe einhalten können.
VII. Am 15. März 1993 stellte die Juristische Beschwerdekammer in einem Bescheid nach Artikel 110 (2) EPÜ fest, daß der Wiedereinsetzungsantrag gemäß den in der Entscheidung T 14/89 (ABl. EPA 1990, 432) aufgestellten Grundsätzen zulässig sei. Sie bezweifelte jedoch, daß er hinreichend begründet sei, und forderte den Beschwerdeführer auf, nähere Angaben über die Krankheit der Vertreterin und die Maßnahmen zu machen, die zur Wahrung der in diesem Zeitraum ablaufenden Fristen getroffen worden waren.
VIII. Die Vertreterin erklärte in ihrer Erwiderung vom 15. Mai 1993, daß sie in ihrer Kanzlei allein sei und keine Hilfskräfte beschäftige. Deshalb hätte sich während ihrer Krankheit auch niemand um die Patentsachen kümmern können. Zwar gebe es in ihrer Kanzlei ein System zur Fristenüberwachung, doch sei niemand da gewesen, der es hätte bedienen können. Die plötzliche schwere Erkrankung habe sie daran gehindert, rechtzeitig dafür zu sorgen, daß die während ihrer Krankheit ablaufenden Fristen gewahrt würden.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Als erstes ist die Frage zu klären, ob der Antrag auf Wiedereinsetzung zulässig ist.
Gemäß Artikel 122 (2) EPÜ ist der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses schriftlich einzureichen. Er gilt erst als gestellt, wenn die Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet worden ist (Art. 122 (3) EPÜ).
2.1 Die Juristische Beschwerdekammer schließt sich der Auffassung der ersten Instanz an, daß das Schreiben der zugelassenen Vertreterin vom 2. Januar 1992 eindeutig als Wiedereinsetzungsantrag zu erkennen war, auch wenn er nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet worden war.
2.2 Die erste Instanz erachtete jedoch diesen Antrag für unzulässig, weil die Wiedereinsetzungsgebühr nicht innerhalb der in Artikel 122 (2) EPÜ vorgeschriebenen Frist von zwei Monaten entrichtet worden sei. Diese zweimonatige Frist beginnt mit dem Wegfall des Hindernisses, also in der Regel an dem Tag, an dem der für die Anmeldung zuständigen Person bewußt wird, daß eine Frist nicht eingehalten worden ist (vgl. z. B. die Entscheidung J 27/90 der Juristischen Beschwerdekammer, ABl. EPA 1993, 422). Im vorliegenden Fall ist dies der Tag, an dem die zugelassene Vertreterin die Mitteilung nach Regel 69 (1) EPÜ erhielt, also spätestens der 16. November 1991. Da davon auszugehen ist, daß der Vertreter befugt ist, Verfahrenshandlungen im Interesse des Anmelders vorzunehmen, ist eine etwaige Abwesenheit des Beschwerdeführers zu dem genannten Zeitpunkt ohne Bedeutung. Übrigens bedurfte es keinerlei Anweisungen des Beschwerdeführers, da die Jahresgebühren bereits entrichtet worden waren. Die zweimonatige Frist nach Artikel 122 (2) EPÜ lief demnach am Montag, den 17. Januar 1992 ab.
2.3 Der Wiedereinsetzungsantrag ging beim EPA am 3. Januar 1992 ein, also 14 Tage vor Ablauf der zweimonatigen Frist nach Artikel 122 (2) EPÜ. Aus dem Antrag ging jedoch nicht hervor, daß die Vertreterin die Wiedereinsetzungsgebühr zu entrichten beabsichtigte. Sie bat vielmehr das EPA, ihr mitzuteilen, "ob eine Verzugs- oder Zusatzgebühr entrichtet werden sollte". Dies war für die Eingangsstelle ein klarer Hinweis, daß der zugelassenen Vertreterin nicht bewußt war, daß eine Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet werden mußte. Da die zweimonatige Frist erst in 14 Tagen abgelaufen wäre, hätte der Mangel noch ohne weiteres behoben werden können, wenn das EPA der Bitte der Vertreterin entsprochen und ihr einen aufklärenden Hinweis übermittelt hätte.
2.4 Nach Auffassung der Kammer können die Benutzer des EPÜ ihre eigene Verantwortung für die Erfüllung der Übereinkommensvorschriften nicht einfach dadurch auf das EPA abwälzen, daß sie dieses darum bitten, sie auf alle Mängel hinzuweisen, die im Laufe des Verfahrens auftreten könnten. Ist jedoch ein Mangel für das EPA leicht erkennbar und ohne weiteres fristgerecht zu beheben, so erfordert es der Grundsatz des Vertrauensschutzes, daß das EPA einen warnenden Hinweis gibt (im Anschluß an die Entscheidungen T 14/89, ABl. EPA 1990, 432 sowie J 13/90, ABl. EPA 1994, 456). Die Juristische Beschwerdekammer geht deshalb davon aus, daß die Vertreterin unter den gegebenen Umständen zu Recht erwarten konnte, daß das EPA sie auf ihre ausdrückliche Bitte hin auf die noch ausstehende Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr aufmerksam machen würde.
2.5 Wenn der Anmelder einen warnenden Hinweis erwarten kann, ihn aber nicht innerhalb der zu wahrenden Frist erhält, muß das EPA eine Frist setzen, innerhalb deren der Anmelder den Mangel beheben und die Verfahrenshandlung fristgerecht vornehmen kann (vgl. Entscheidung J 13/90). Dies ist im vorliegenden Fall nicht mehr nötig, da der Beschwerdeführer nach Erhalt des Bescheids vom 10. Februar 1992, mit dem er über die noch ausstehende Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr unterrichtet worden war, die Gebühr innerhalb der ihm im Bescheid gesetzten Frist für die Stellungnahme entrichtet hat.
2.6 Aus diesen Gründen hält die Kammer den Wiedereinsetzungsantrag im Gegensatz zu der in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung für zulässig.
3. Nun könnte die Juristische Beschwerdekammer die Angelegenheit zur sachlichen Prüfung des Wiedereinsetzungsantrags an die erste Instanz zurückverweisen. Sie hat jedoch in Ausübung des ihr in Artikel 111 (1) EPÜ eingeräumten Ermessens beschlossen, dies aus den nachstehenden Gründen nicht zu tun. Die erste Instanz hat sich in ihrer Entscheidung vom 19. Juni 1992 auf eine kurze Erörterung der Frage beschränkt, ob gemäß Artikel 122 (1) EPÜ alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet worden sei (vgl. Entscheidung vom 19. Juni 1992, S. 5). Aus dem Bescheid vom 10. Februar 1992 geht allerdings auch hervor, daß dem Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Aus der Akte ist ferner ersichtlich, daß die erste Instanz seine Argumentation gebührend berücksichtigt hat, aber zu der Schlußfolgerung gelangt ist, daß sie nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden sei. Die Kammer ist daher davon überzeugt, daß dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben wurde, seinen Fall in zwei Instanzen vorzutragen.
4. Die Juristische Beschwerdekammer wendet sich nun der Frage zu, ob im Hinblick auf die fristgerechte Entrichtung der Jahresgebühr für das dritte Jahr alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet worden ist (Art. 122 (1) EPÜ).
4.1 Den Angaben der Vertreterin zufolge war die Versäumung der Frist auf das Zusammentreffen von zwei Ereignissen zurückzuführen, nämlich die häufige Abwesenheit des Beschwerdeführers und ihre schwere Krankheit in der Zeit vom Juni bis Oktober 1991.
4.2 Das Argument der Abwesenheit des Beschwerdeführers wurde weder näher erläutert noch durch Beweismittel erhärtet. Der Beschwerdeführer war offensichtlich berufsbedingt viel auf Reisen. Dienstreisen gehörten zu seinem beruflichen Alltag. Die häufige Abwesenheit war daher nichts Überraschendes. Unter diesen Umständen kann von einem gewissenhaften, umsichtigen Anmelder erwartet werden, daß er die nötigen Vorkehrungen dagegen trifft, daß der Kontakt zum zugelassenen Vertreter für längere Zeit unterbrochen wird. Andernfalls müßte der Anmelder den Vertreter anweisen, bis auf weiteres alle zur Aufrechterhaltung seiner Patentanmeldung notwendigen Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Es ist jedoch nicht glaubhaft gemacht worden, daß der Beschwerdeführer eine dieser beiden Maßnahmen getroffen hat.
4.3 Aber selbst wenn er eine dieser Maßnahmen getroffen hätte, hätte sich eine Versäumung der Frist wohl kaum vermeiden lassen, da die Vertreterin infolge ihrer Krankheit noch nicht einmal den Versuch unternommen hat, sich innerhalb der entscheidenden drei Monate vor dem 2. Oktober 1991 mit dem Beschwerdeführer in Verbindung zu setzen. Daher erübrigt sich die Klärung der Frage, ob der Beschwerdeführer damals erreichbar gewesen wäre oder nicht.
4.4 Nach Auffassung der Kammer ist daher die Krankheit der zugelassenen Vertreterin der eigentliche Grund für die Versäumung der am 2. Oktober 1991 abgelaufenen Frist. Die zugelassene Vertreterin mußte ihre berufliche Tätigkeit von Juni bis Anfang Oktober 1991 unterbrechen. Auf eine Rückfrage der Kammer hin gab sie an, daß sie in ihrer Kanzlei alleine sei und niemanden gehabt habe, der während ihrer Krankheit das Fristenüberwachungssystem hätte bedienen oder für die Wahrung der Fristen hätte sorgen können. Daher stellt sich die Frage, ob angesichts der Krankheit der Vertreterin in dem fraglichen Zeitraum alle zur Abwendung eines Rechtsverlusts gebotene Sorgfalt beachtet worden ist. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann in der Regel erwartet werden, daß in einem großen Unternehmen, in dem immer eine beträchtliche Zahl von Terminen überwacht werden muß, zumindest ein wirksames System zur Vertretung von Angestellten im Falle der Abwesenheit aus Krankheits- oder sonstigen Gründen besteht (Entscheidung T 324/90, ABl. EPA 1993, 33). Die Kammer räumt ein, daß an allein arbeitende Vertreter, die eine weitaus kleinere Zahl von Terminen überwachen müssen, diesbezüglich weniger strenge Maßstäbe angelegt werden können. Es kann jedoch von einem umsichtigen, gewissenhaften Vertreter in jedem Falle erwartet werden, daß er einplant, daß er auch einmal krank werden und geraume Zeit nicht in der Lage sein kann, die Fristen zu überwachen. Unterhält ein zugelassener Vertreter eine Ein-Mann-Kanzlei, so sollte er deshalb Vorkehrungen dafür treffen, daß im Falle seiner Verhinderung durch Krankheit die Wahrung von Fristen durch Einspringen anderer Personen sichergestellt wird. Gibt es in der Kanzlei keinen Vertreter oder Assistenten, so könnte für diesen Zweck z. B. ein Kollege oder ein Berufsverband um Mithilfe gebeten werden.
Im vorliegenden Fall steht fest, daß keine Vorkehrungen zur Wahrung der Fristen während der Krankheit der Vertreterin getroffen worden waren. Das Fristenüberwachungssystem war rund drei Monate lang unbeaufsichtigt geblieben. Obwohl die zugelassene Vertreterin nur wenige europäische Patentanmeldungen zu bearbeiten hatte, mußte sie damit rechnen, daß in dem betreffenden Zeitraum Fristen ablaufen könnten.
4.5 Demnach muß die Juristische Beschwerdekammer zu dem Schluß gelangen, daß weder vom Beschwerdeführer noch von seiner zugelassenen Vertreterin alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt beachtet worden ist. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist wird deshalb zurückgewiesen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.